Nun, Berge im wörtlichen Sinne gibt es hier keine – Gradwanderungen im übertragenen Sinne aber ständig: Was ist noch machbar, was nicht? Was kann man riskieren, was sollte man lieber lassen? Wo sind wir gerufen, weiter am Ball zu bleiben und wo ist es Zeit, das Feld zu räumen. Nicht zum ersten Mal denke ich über diese Fragen nach, nicht zum ersten Mal schreibe ich darüber. Aber immer wieder kommen wir hier in Situationen, in denen wir uns darüber neu Gedanken machen müssen. Und das natürlich nicht nur als „Tubabs“ (wie wir Bleichgesichter hier genannt werden).
Vor einigen Jahren konnten wir für eine abgelegene Krankenstation, in der wir schon seit Beginn der Arbeit der Allianz-Mission in Mali tätig sind, einen Land Cruiser als Krankentransportfahrzeug finanzieren. Die Pisten bis zum nächsten Krankenhaus sind so schlecht, dass man mit einem normalen Auto besonders zur Regenzeit keine Chance hat durchzukommen. Viele Evakuierungsfahrten konnten so schon gemacht werden. D., der Fahrer, kennt sich gut aus, kennt alle Schleichwege und wie man die tiefen Regenlöcher umfahren kann. Notwendige Kaiserschnitte. Eileiterschwangerschaften, Blinddarmentzündungen, eingeklemmte Leistenbrüche – alles lebensgefährliche Situationen, die in der Krankenstation vor Ort nicht behandelt werden können und die eine Evakuierungsfahrt dringend erforderlich machen.
Nun wimmelt es aber in diesem Gebiet von sogenannten Jihadisten. Oft sind die Wege vermint und natürlich weiß keiner, wann und wo man über so eine Mine fährt. Dazu kommt, dass der Land Cruiser eines der solidesten und geländegängigsten Fahrzeuge überhaupt für diese Gegenden ist und in der Vergangenheit sind schon etliche davon von Extremisten gestohlen worden, was bedeutet, dass sich einem unterwegs ein Mann mit einer AK-47 in den Weg stellt und man Auto und Schlüssel abgibt und zu Fuß nach Hause geht.
Ist das noch zu verantworten? Sollte man den Land-Cruiser nicht lieber an einen sicheren Ort bringen, bis sich die Lage beruhigt hat? Sollte D. nicht zu Hause bleiben, statt sich immer wieder in Lebensgefahr zu begeben? Und gleichzeitig die Frage, ob es denn zu verantworten ist Frauen unter der Geburt verbluten oder einen Familienvater mit eingeklemmtem Darm seinem Schicksal zu überlassen: „Tut uns leid, das ist uns zu gefährlich“.
Darauf gibt es keine einfachen Antworten, kein „ja“ oder „nein“, kein „immer“ oder „nie“. Vielleicht sind wir später klüger, vielleicht aber auch nicht. Im Moment gehen D. und unsere einheimischen Mitarbeiter das Risiko weiter ein – das Risko den teuren Land Cruiser oder sogar das eigene Leben zu verlieren. Und wir beten dafür, dass Gott über beides seine schützende Hand hält und ihnen deutlich macht, wenn sie ihre derzeitige Entscheidung ändern sollen.
Gerade am Karfreitag sind mir diese Fragen besonders nah – an dem Tag, an dem Gott seinen Sohn nicht nur einer potenziellen Gefahr ausgesetzt hat, sondern ihn für uns hat sterben lassen!