Voilà – ma maman… Da ist meine Mama!

Mit diesen Worten kommt heute eine junge Frau im Hof der Kirche auf mich zu, wo wir auf den Beginn des Gottesdienstes warten. Wir umarmen uns herzlich!

Wer uns beide sieht, würde wohl keine Ähnlichkeit zwischen uns finden. Auch ist nicht eine unserer Töchter uns mal eben nachgereist…

Suzan, so heißt sie, ist die Frau von Etienne, einem unserer engsten Mitarbeiter. Als er bei der Alllianz-Mission anfing, war er noch Single. Netterweise haben die beiden ihre Hochzeit dann auf einen Zeitpunkt gelegt, an dem wir gerade in Mali waren und mitfeiern konnten.

Seitdem haben wir uns gar nicht so oft gesehen, aber über Etienne besteht ein herzliches Verhältnis. Macht mich das schon zu ihrer Mama? Ja…und die Tatsache, dass hier ältere Frauen allgemein gerne und respektvoll „Mama“ genannt werden.

Wenn die Frauen im Gottesdienst ein Lied vortragen, wird angekündigt, dass nun „nos mamans – unsere Mütter“ nach vorne kommen.

Ich finde dies wunderschön, denn es drückt Herzlichkeit und Wertschätzung aus.

Nicht selten wird man als „Weißer“ auf der Straße (nicht in den Gemeinden!) von jüngeren sehr „flapsig“ angesprochen. Das hat auch damit zu tun, dass wir in den hiesigen Kulturen keine definierte Rolle haben. Aber es kommt ebenso vor, dass mich völlig Fremde (vorwiegend Jüngere) mit Mama und Karsten mit Papa ansprechen.

Dahinter steht die Überzeugung, dass Erziehung von allen, nicht nur von den biologischen Eltern geschieht und dass Älteren grundsätzlich Respekt gebührt.

Dankbar für die herzliche Begegnung gehe ich mit Suzan in den Gottesdienstraum und setze mich mit ihr auf die Seite der Frauen. Wieder einmal tauche ich ein in ein Meer an wunderschönen Menschen, sorgfältig bis aufwändig gekleidet in bunte Stoffe.

Und hier auf dieser Seite sitzen vor allem die verheirateten Frauen, Mamas und Omas, kleine Kinder auf jedem 2. Schoß, mit häufigem Wechsel hin und her. Darin sind malische Kinder unkompliziert.

Unverheiratete junge Frauen sitzen auf der anderen Seite oder vorne im Chor, der besondere Plätze gegenüber der Gemeinde hat.

Ich bin gespannt auf den Gottesdienst, denn die Gemeinde ist in einem Trauerprozess.

Gestern ist eine 16jährige nach längerer Krankheit verstorben, ebenso ein in Mali bekannter Evangelist, aber vor allem der Tod des jungen Mädchens lastet auf der Gemeinde.

Da ich Bambara, die Sprache, in der der Gottesdienst stattfindet, nur sehr wenig verstehe, versuche ich mir manches aus dem Kontext zu erschließen und achte auf nonverbales. Alle Lieder sind ruhig und tendenziell langsam. Ich vermute, dass das mit den Todesfällen zu tun hat, denn meistens geht es in den malischen Gottesdiensten musikalisch lebendig, laut und rhythmisch zu.

Für die Ansagen, Informationen und Gebetsanliegen kommt ein junger Mann nach vorne, der zunehmend Schwierigkeiten hat, zu sprechen. Immer wieder korrigiert er sich und setzt neu an beim Sprechen. Die Frauen um mich herum werden unruhig und geben leise Kommentare ab. Tatsächlich geht dann der Sohn des Pastors, der Karsten später auch bei der Predigt übersetzen wird, nach vorne und übernimmt diesen Teil.

Ich frage meine Nachbarin nach dem Grund und sie meint, dass er emotional überfordert war, die Details für die Beerdigung des Mädchens am nächsten Tag zu kommunizieren. Solche Emotionen sind mir in diesem Rahmen noch nicht oft begegnet und es berührt mich, wie der junge Mann um seine Fassung gerungen hat.

Die Jugend wird gebeten, morgen früh pünktlich um 7 Uhr zu kommen, um das Grab auszuheben und nachmittags um 15h soll die Beerdigung stattfinden. Der Pastor bittet danach nochmal um eine rege Beteiligung und Unterstützung. Hier gibt es kein Beerdigungsinstitut, alles wird von der Gemeinde und von Freunden organisiert und durchgeführt.

Es ist immer wieder bereichernd hier ein wenig einzutauchen in eine Gesellschaft, in der vieles anders, aber vieles auch ähnlich ist. Emotionen sind universell, auch wenn sie kulturell geprägt unterschiedlich ausgedrückt werden.

Zurück zum Anfang: Meine Erfahrung in Deutschland: Wenn ich in eine übervolle Bahn steige und jemand steht auf, um mir (mit meinem grauen Haupt🙂) einen Sitzplatz anzubieten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es jemand mit Migrationshintergrund ist. Letztens sah ich eine neue Werbung in unserer Straßenbahn: Auf dem Bild war ein junger Mann und darunter stand: Stell’ dir vor, deine Oma steigt ein und alle stehen auf!

Eine solche „Werbung“ wär in Mali (noch) nicht nötig! Hier würden viele junge Menschen für mich aufstehen und sagen: Hier, Mama, setz’ dich!

 

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