Wir gehen – Ihr bleibt

Die drei Wochen sind mal wieder vorbei und in Kürze sitzen wir im Flieger, machen uns ab nach Deutschland, sind ein paar Wochen eingetaucht in malische Kultur, Sprache, Lebensweise. Ein November nicht im deutschen Schmuddelwetter, sondern in malischer Wärme. Das lassen wir jetzt wieder zurück: der Staub bleibt hier, die Hitze, die Malariamücken, der Muezzin der Nachbarmoschee. Wir lassen Coulibaly hier, den Brotverkäufer, der jedes Mal, wenn ich zu ihm komme, mit mir rumblödelt, dass ich doch nun endlich seinen Familiennamen annehmen soll; auch Gouro, den CD-Verkäufer, der schon vor 20 Jahren hier war, nur waren es damals Cassetten – jetzt sind es schwarzgebrannte CDs. Da kaum mehr Touristen da sind, frage ich mich öfter, wovon er eigentlich lebt – und ich glaube, das fragt er sich auch… Die bettelnden Koranschüler lassen wir zurück, die mit ihren Plastikeimerchen täglich von einem zum anderen ziehen und um umgerechnet 15 Cent betteln (die malischen „Hasse ma `n Euro“ – nur deutlich jünger). Auch Hadja und Amadou werden nicht mitkommen, unsere ehemaligen Nachbarn, die weiter in Sévaré wohnen, dort, wo wir nicht mehr hinkönnen und die sich jedes Mal riesig freuen, wenn wir von Bamako aus anrufen (oder manchmal auch von Deutschland). Wir sagen „Tschüss“ zu Diallo, dem Taxifahrer, der uns mit seinem uralten durchgerosteten VW-Golf zum Flughafen bringt und sich über die Polizeikontrollen ärgert, die durch das ständige Abbremsen und Anfahren seine Spritkosten erhöhen. Unsere Mitarbeiter, die Pastoren, unsere Freunde und Bekanntschaften völlig unterschiedlicher Couleur – sie alle bleiben hier in Mali, während wir mal wieder in den Flieger steigen und uns nach Deutschland begeben. Natürlich sind wir keine Malier, natürlich werden wir auch keine werden – aber irgendwie fühlt sich das unfair an: mal eben „Hallo“ zu sagen in einem Land, das zusehends unsicherer wird, das wirtschaftlich, politisch und mittlerweile auch sozial so viel Schwierigkeiten hat, wo aber kaum jemand einfach die Koffer packen und sagen kann: „Mir reicht’s, ich geh!“ – Außer man heißt z.B. Haidara und spielt so gut Fußball, dass RB-Leipzig einen einkauft. Kein Wunder, dass so viele hier Fußballer werden wollen… Sie alle bleiben hier, weil sie hier zu Hause sind, aber wohl auch, weil sie eh nicht anders können. Wir gehen. Manchmal frage ich mich, was aus mir wohl geworden wäre, wenn man mir von klein auf beigebracht hätte, dass es Gott gefällt, wenn man schon mit 8 oder 9 Jahren die Familie verlässt, um den Koran auswendig zu lernen und mit einem Eimerchen in scheinbar selbstgewählter Armut durch die Gegend zu ziehen. Wie hätte ich mich dann wohl entwickelt? Und wie würde ich dann solche Leute wie mich jetzt sehen, die ihre Koffer packen, mir die Hand schütteln und sagen: „Bis nächstes Jahr, so Gott will“. Ob ich dann jemals verstanden hätte, dass Gottes Gnade ausreicht, um sein Kind zu sein, dass er weder mein Auswendiglernen noch mein Betteleimerchen braucht, um mich zu lieben?

All diese Leute lassen wir zurück, froh wieder in die Heimat zu kommen, traurig, weil sie uns nicht egal sind, weil wir sie liebgewonnen haben und weiter lieben lernen.

 

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