Eigentlich gehe ich nur noch aus Tradition und Freundschaft zu ihm, denn sein Baguette ist noch bröseliger als das, was ich um die Ecke kaufen kann. Aber wir kennen uns nun schon so viele Jahre und das Schwätzchen durch das rußgeschwärzte Loch, das seiner Backstube als Verkaufsfenster dient, ist mir immer wieder Motivation genug.
Beim letzten Mal muss er mich enttäuschen: alles Brot schon verkauft! Um so entspannter können wir uns unterhalten, denn ich halte ihn so nicht von der Arbeit ab und Kunden, die nach mir kommen, ziehen nach einem kurzen „nichts mehr da“ wieder ab.
So erzählt mir Coulibaly vom Tod seiner Frau vor ein paar Monaten und wie er sich jetzt mit seinen Kindern durchschlägt. Stolz holt er mir Abschlusszeugnisse von seinen Söhnen hervor und erzählt mir, was die so lernen und arbeiten. Die Dokumente hat er sorgfältig gefaltet in einem französisch-arabischen Koran liegen, der in einer Schublade der Backstube deponiert ist. Ja, er würde den Koran lesen, aber nicht auf Arabisch.
Gestern besuche ich ihn erneut. Wieder begrüßt er mich mit den Worten: „Du hast echt Pech, das Brot ist schon wieder verkauft.“ Aber ich komme gar nicht wegen des Brotes. Heute habe ich eine Bibel auf Französisch für ihn mitgebracht und reiche sie ihm durch die Maueröffnung. „Eine Bibel!“ sagt er, „Stehen da auch die 12 Gesetze zu einem guten Leben drin?“ Auch wenn es nur 10 sind, zeige ich ihm die Stelle und lege das Lesezeichen hinein. Dann erkläre ich ihm den Unterschied im Aufbau zwischen Koran und Bibel, die ja viele verschiedene Bücher hat und diese wieder in „Suren“ aufgeteilt sind, ebenso den Unterschied zwischen altem und neuem Testament.
Wenn ich das nächste Mal komme, unterhalten wir uns drüber. „Ja, dann stellst Du mir Fragen dazu“, lacht er, aber ich meine, es sei vielleicht besser, wenn er mir Fragen stellt. „Wie die mit den 12 Gesetzen zu einem guten Leben – na die hast Du ja schon mal beantworten können… Ja, ich lese darin, aber erst nach dem Ramadan, denn wenn ich jetzt darin lesen, behalte ich eh nichts!“