Das geht auf (k)eine Kuhhaut

Handarbeit in Afrika – das hat mich schon immer begeistert. Wie mit wenigen Mitteln wunderschöne Dinge hergestellt werden und das fast nur mit lokalen Materialien. Ich erinnere mich, wie wir in Kamerun einmal einen Bronzegießer bei der Herstellung einer kleinen Vase beobachten konnten und dieses hübsche Unikat immer noch besitzen. Jetzt aber ist es erneut die malische Musik bzw. die Instrumentenherstellung, die mich in ihren Bann zieht. Im März habe ich am Schlachthof eine Kuhhaut gekauft und sie in der heißen Sonne erst mal getrocknet. Diesmal konnte ich sie zu Modibo, einen Gerber, bringen. In der Sonne hängen unterschiedliche Fälle, auf dem Boden ein Haufen von Tierhaaren. Ich erkläre ihm, dass ich die Kuhhaut für die Herstellung einer Kora, der west-afrikanischen Stegharfe, benötige. Er weiß sofort, worum es geht: je nachdem, wofür das Leder gebraucht wird, ist die Aufarbeitung unterschiedlich. Verschiedene Trommeln, eine Kora, eine N’goni oder eine Tasche – Leder ist nicht gleich Leder. Ich frage ihn, wie er meine Kuhhaut denn aufarbeitet. Zunächst käme sie, so erklärt er mir, in eine Flüssigkeit, deren Zusammensetzung mir als Laien nichts sagt. Dadurch würde sie die Haare verlieren. Dann käme sie in Hühnerkot, damit sie die richtige Elastizität bekommt. Hühnerkot? Man fragt sich bei solchen Techniken doch immer wieder, wie die Leute auf so etwas gekommen sind!? Danach wird sie zum Trocknen aufgehängt und das ganze dauert vier Tage.

 

 

Und schon beim letzten Mal durfte ich zuschauen, wie dann aus dem Fell eine Kora gebaut wird: die nun in leicht gesalzenem Wasser wieder dehnbar gemachte Haut wird um eine Kalebasse gelegt und Stück für Stück gespannt. Dann werden ein Querholz und die zwei Handhalter durch das Fell geschoben, mit kleinen Nägeln die Haut befestigt, zugeschnitten und das Ganze zum Trocknen aufgehängt; dann kommen der Hals (in der modernen Fassung mit Gitarrenstimmwirbeln) und die 21 Saiten aus Angelschnur. Und schon ist dieses warm klingende Instrument fertig. … keine Ahnung, ob Euch das interessiert, mich begeistert dieses Handwerk, das, wie so oft, beim Zuschauen ganz einfach aussieht und in der Praxis doch eine hohe Professionalität benötigt – das hört man sofort am Klang!

Aber auch ich war handwerklich aktiv: Nachdem mein Aquaponikprojekt die letzten Monate schlummerte, habe ich diesmal immer wieder ausprobiert, gesägt, gebohrt, geschraubt, geklebt, bis es jetzt ENDLICH funktioniert: das Wasser läuft hoch bis zu einer gewissen Höhe und fließt dann wieder komplett ab (Ebbe- und Flutsystem). Jetzt können die Fische kommen und der Salat angepflanzt werden. Nur leider ist unsere Zeit schon fast wieder um und ich werde wohl mit den Ergebnissen warten müssen, bis ich im März wieder im Lande bin. Vielleicht gibt es dann ja die Möglichkeit die Früchte (bzw. die Fische) meiner Arbeit genießen zu können.

 

Voilà – ma maman… Da ist meine Mama!

Mit diesen Worten kommt heute eine junge Frau im Hof der Kirche auf mich zu, wo wir auf den Beginn des Gottesdienstes warten. Wir umarmen uns herzlich!

Wer uns beide sieht, würde wohl keine Ähnlichkeit zwischen uns finden. Auch ist nicht eine unserer Töchter uns mal eben nachgereist…

Suzan, so heißt sie, ist die Frau von Etienne, einem unserer engsten Mitarbeiter. Als er bei der Alllianz-Mission anfing, war er noch Single. Netterweise haben die beiden ihre Hochzeit dann auf einen Zeitpunkt gelegt, an dem wir gerade in Mali waren und mitfeiern konnten.

Seitdem haben wir uns gar nicht so oft gesehen, aber über Etienne besteht ein herzliches Verhältnis. Macht mich das schon zu ihrer Mama? Ja…und die Tatsache, dass hier ältere Frauen allgemein gerne und respektvoll „Mama“ genannt werden.

Wenn die Frauen im Gottesdienst ein Lied vortragen, wird angekündigt, dass nun „nos mamans – unsere Mütter“ nach vorne kommen.

Ich finde dies wunderschön, denn es drückt Herzlichkeit und Wertschätzung aus.

Nicht selten wird man als „Weißer“ auf der Straße (nicht in den Gemeinden!) von jüngeren sehr „flapsig“ angesprochen. Das hat auch damit zu tun, dass wir in den hiesigen Kulturen keine definierte Rolle haben. Aber es kommt ebenso vor, dass mich völlig Fremde (vorwiegend Jüngere) mit Mama und Karsten mit Papa ansprechen.

Dahinter steht die Überzeugung, dass Erziehung von allen, nicht nur von den biologischen Eltern geschieht und dass Älteren grundsätzlich Respekt gebührt.

Dankbar für die herzliche Begegnung gehe ich mit Suzan in den Gottesdienstraum und setze mich mit ihr auf die Seite der Frauen. Wieder einmal tauche ich ein in ein Meer an wunderschönen Menschen, sorgfältig bis aufwändig gekleidet in bunte Stoffe.

Und hier auf dieser Seite sitzen vor allem die verheirateten Frauen, Mamas und Omas, kleine Kinder auf jedem 2. Schoß, mit häufigem Wechsel hin und her. Darin sind malische Kinder unkompliziert.

Unverheiratete junge Frauen sitzen auf der anderen Seite oder vorne im Chor, der besondere Plätze gegenüber der Gemeinde hat.

Ich bin gespannt auf den Gottesdienst, denn die Gemeinde ist in einem Trauerprozess.

Gestern ist eine 16jährige nach längerer Krankheit verstorben, ebenso ein in Mali bekannter Evangelist, aber vor allem der Tod des jungen Mädchens lastet auf der Gemeinde.

Da ich Bambara, die Sprache, in der der Gottesdienst stattfindet, nur sehr wenig verstehe, versuche ich mir manches aus dem Kontext zu erschließen und achte auf nonverbales. Alle Lieder sind ruhig und tendenziell langsam. Ich vermute, dass das mit den Todesfällen zu tun hat, denn meistens geht es in den malischen Gottesdiensten musikalisch lebendig, laut und rhythmisch zu.

Für die Ansagen, Informationen und Gebetsanliegen kommt ein junger Mann nach vorne, der zunehmend Schwierigkeiten hat, zu sprechen. Immer wieder korrigiert er sich und setzt neu an beim Sprechen. Die Frauen um mich herum werden unruhig und geben leise Kommentare ab. Tatsächlich geht dann der Sohn des Pastors, der Karsten später auch bei der Predigt übersetzen wird, nach vorne und übernimmt diesen Teil.

Ich frage meine Nachbarin nach dem Grund und sie meint, dass er emotional überfordert war, die Details für die Beerdigung des Mädchens am nächsten Tag zu kommunizieren. Solche Emotionen sind mir in diesem Rahmen noch nicht oft begegnet und es berührt mich, wie der junge Mann um seine Fassung gerungen hat.

Die Jugend wird gebeten, morgen früh pünktlich um 7 Uhr zu kommen, um das Grab auszuheben und nachmittags um 15h soll die Beerdigung stattfinden. Der Pastor bittet danach nochmal um eine rege Beteiligung und Unterstützung. Hier gibt es kein Beerdigungsinstitut, alles wird von der Gemeinde und von Freunden organisiert und durchgeführt.

Es ist immer wieder bereichernd hier ein wenig einzutauchen in eine Gesellschaft, in der vieles anders, aber vieles auch ähnlich ist. Emotionen sind universell, auch wenn sie kulturell geprägt unterschiedlich ausgedrückt werden.

Zurück zum Anfang: Meine Erfahrung in Deutschland: Wenn ich in eine übervolle Bahn steige und jemand steht auf, um mir (mit meinem grauen Haupt🙂) einen Sitzplatz anzubieten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es jemand mit Migrationshintergrund ist. Letztens sah ich eine neue Werbung in unserer Straßenbahn: Auf dem Bild war ein junger Mann und darunter stand: Stell’ dir vor, deine Oma steigt ein und alle stehen auf!

Eine solche „Werbung“ wär in Mali (noch) nicht nötig! Hier würden viele junge Menschen für mich aufstehen und sagen: Hier, Mama, setz’ dich!

 

Erwachsenensport – in Afrika???

Als ich vor über 20 Jahren in Mali für meinen ersten und bislang auch einzigen Marathon trainiert habe, konnte ich mir das nur deshalb leisten, weil ich eine weiße Haut hatte. Da lässt man manches durchgehen – die Weißen haben ja viele komische Ideen. Jeden Tag, wenn andere nach der Arbeit gemütlich beieinander sitzen und Tee schlürfen durch die Gegend rennen ohne Ziel und Zweck, das war schon ein bisschen sehr seltsam. Erwachsene Menschen rennen nicht einfach so. Kinder tun das – vielleicht auch noch Jugendliche aber kein erwachsener Mann, der was auf sich hält.

Aber das hat sich geändert. Kultur wandelt sich! Immer mehr Menschen in Mali leiden unter den sogenannten Zivilisationskrankheiten: Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas und mehr und mehr setzt sich durch, dass das mit Ernährung aber auch mit fehlender Bewegung zu tun hat. Es freut mich sehr, dass wir jetzt immer öfter von gestandenen Männern (und manchmal auch Frauen) hören, die Sport treiben: mancher beginnt damit, dass er sein Motorrad stehen lässt und auch mal zu Fuß zur Arbeit geht. Das ist gar nicht so einfach, denn sobald ein Bekannter vorbei kommt, wird sofort angehalten: „Ist Dein Motorrad kaputt? Alles in Ordnung bei Dir? Komm ich nehme Dich gerne mit!“ Trotzdem fangen immer mehr Leute auch an zu laufen – Jogging, um den Bauch abzutrainieren, den Blutdruck zu verbessern. Der Arzt in mir ist beglückt: tatsächlich eine Bewusstseinsveränderung von wesentlichen Teilen der Gesellschaft hier!

Daniel erinnert mich an Amadou, der vor Jahren als Krankenpfleger in einem entlegenen Dorf arbeitete und der schon damals trainierte. Als Daniel im Dorf fragte, wie sie denn so mit ihm zufrieden wären, sagten die Dorfbewohner: „Der ist wirklich klasse, der macht eine super Arbeit! Aber etwas ist komisch, das kapieren wir nicht: Morgens rennt der immer, obwohl er gar nichts jagt und auch niemand hinter ihm her ist!?!“

Die alte Garde und die jungen Wilden

Am Freitag hatten wir – wie bei jedem Besuch – eine lange Sitzung des nationalen Kirchenleitungsgremiums. Die Länge der Zusammenkunft von ca. 8 Stunden war nicht neu aber die Zusammensetzung: Im Mai gab es Neuwahlen und eine Bedingung für die oberste Kirchenleitung war, dass niemand gewählt werden durfte, der während seines Mandats in Rente geht (eine solch sinnvolle Regelung würde man sich in manchen Staaten dieser Erde auch wünschen…) und so war, auch wenn noch das ein oder andere bekannte Gesicht da war, ein wahrer Generationswechsel zu sehen. An manchen Stellen wurde deutlich, dass da auch noch einiges ruckeln wird, bis die Equipe sich eingespielt hat, aber trotzdem weht auch ein angenehm frischer Wind. Gerade der Umgang mit den technischen Mitteln ist für die jüngere Generation völlig normal. So wurde vom neuen Sekretär sofort eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet und das Sitzungsprotokoll am nächsten Tag versandt mit der Bitte um Korrektur (- bisher wurde dies meist erst zu Beginn der nächsten Sitzung Monate später verteilt).

Wenige Tage später waren wir in San bei Pastor Ezechiel und seiner Familie. Ezechiel ist Anfang 60, hatte vor ein paar Jahren einen Schlaganfall und hat seitdem einige Gänge zurückschalten müssen. Seine Frau Josephine hat offensichtlich Kniegelenkarthrose und es ist ein Jammer ihr zuzusehen. Nur mühsam quält sie sich aus einem Stuhl, läuft ein paar Schritte und lässt sich auf die nächste Sitzgelegenheit fallen. Aus dem Hof ist sie schon lange nicht mehr gekommen. Ich frage einen Mitarbeiter im Gesundheitswesen, ob es hier überhaupt möglich ist Kniegelenkprothesen einzusetzen, aber das scheint nicht der Fall zu sein – da bleibt nicht viel an Therapiemöglichkeiten übrig.  Pastor Abdias ist noch sehr mobil und aktiv, aber auch er hat deutliche gesundheitliche Einschränkungen: der Diabetes muss mit mehreren Medikamenten behandelt werden, hat aber wohl schon Schäden an den Augen hinterlassen.

So merken wir mehr und mehr, wie die erste Generation die Konsequenzen des Alters spürt und die Möglichkeiten immer eingeschränkter werden. Zwar hat die Kirchenleitung das Rentenalter ein paar Jahre heraufgesetzt, damit der Pastorenmangel nicht ganz so schwer zu verkraften ist, aber jünger ist dadurch auch niemand geworden. Und so tut es gut zu sehen, dass da junge engagierte Christen sind, die Verantwortung übernehmen, manche Dinge anders anpacken und so der Kirche helfen in dieser sich so schnell entwickelnden Zeit am Ball zu bleiben. Gleichzeitig aber begegnen sie den Älteren mit Respekt und Bescheidenheit, was den Übergang sehr erleichtert. Trotzdem: von mir aus dürften die Jungen ruhig noch ein bisschen wilder werden.

 

Eiergeschichten

Zwei Reisetage: gestern Aufbruch nach San – mal wieder – wenigstens bis dorthin dürfen wir noch, ohne zu viel zu riskieren. Aufbruch um 6:00 mit Fahrt in den Sonnenaufgang. Raus aus Bamako, der Smog lichtet sich, die Temperatur fällt auf erstaunliche 16°C. Nach 1,5 Stunde obligatorisches Frühstück in Fana: Nescafé, Brot, Omelette – warum liebe ich das eigentlich so? Weil es schon seit Jahren eine Tradition ist, wir die Leute dort kennen und sie uns, weil es das natürliche unkomplizierte Leben symbolisiert, dass es in Mali immer noch gibt und das uns vor 25 Jahren schon so gefallen hat.

Aber nanu – die schlichte Bretterbude hat sich verändert: jetzt ein abgeschlossenes Mini-Blechrestaurant mit gemauertem und mit Fliesen belegtem sauberen Tisch. Und statt unserer „Omelettefrau“ ist dort ein älterer Herr. Auf meine Frage, ob wir hier frühstücken können, zögert er leicht, stimmt dann aber freudig zu: 4 Gäste auf einmal – das lohnt sich! Wir nehmen Platz und er läuft raus, ruft uns kurz zu, er müsse nebenan nur ein paar Eier holen (aha, daher das Zögern) und rennt los, dreht nach ein paar Metern wieder um und ruft einem jungen Mann zu, dass er sich kurz sein Fahrrad ausleihen würde. Oh, denke ich, das kann dauern, aber schon nach wenigen Minuten kommt er zurück geradelt: auf einer Hand balanciert er eine Palette Eier, während er das Fahrrad durch die stark befahrene Straße steuert. Glücklich und unfallfrei angekommen, putzt er noch einmal den Tisch ab, schmeißt die Eier in die Pfanne, sucht verzweifelt nach einem zweiten Löffel, holt Chlorlösung fürs Händewaschwasser, ruft uns zwischendurch immer mal etwas zu, rührt den Nescafé an, schlägt den Zucker darin schaumig und serviert uns alles Stück für Stück mit atemberaubender Energie. Wir fragen ihn nach der Frau, die sonst immer da war und erfahren, dass er ihr Ehemann ist, länger auf Reisen war, aber jetzt wohl wieder das Geschäft führt. Sofort zückt er sein Handy, ruft seine Frau an und reicht „sie“ uns rüber, damit wir auch mit ihr ein paar Worte wechseln können. Dann bittet er Etienne, den er für unseren Chauffeur hält, doch seine Nummer aufzuschreiben und beim nächsten Mal vorher anzurufen, damit er schon alles vorbereiten kann. Dann würden wir sehen: alles noch viel schöner, auch der Boden gefliest und die Küche besser ausgestattet.

Ganze 3 Euro hat unser Frühstück für 4 Personen gekostet – das ist ja nun wirklich sehr sehr günstig, aber diese Fröhlichkeit, dieses Engagement, um uns freundlich, sauber und angemessen zu bewirten, dieses serviceorientierte Geschäftsmodell, diese Atmosphäre am Straßenrand von Fana, das ist einfach unbezahlbar!

 

Junge Konkurrenz

Großeltern – das ist ein Thema, über das wir früher kaum gesprochen haben, da wir und unsere Kollegen nicht in dieser Altersklasse zu finden waren. Jetzt allerdings ist die Frage nach den Enkeln eine ganz natürliche geworden. Interessanterweise liegen wir mit unseren 4 Kindern deutlich unter dem malischen Durchschnitt, aber mit unseren 11 Enkeln dafür ziemlich weit vorne im Vergleich mit unseren Freunden hier.

Eine Eigenheit der hiesigen Kultur haben wir letzte Tage ausführlich mit M. besprochen: Spaßeshalber werden hier die jeweils gleichgeschlechtlichen Enkel als Konkurrenz für den Ehepartner gesehen, sprich: Bekommt eine junge Frau einen Sohn, so wird gelästert, die Oma habe einen neuen Ehemann bekommen und ihr Gatte wird damit mächtig aufgezogen. Fährt nun die Oma zu Besuch zu ihrem Enkelsohn, muss sich der Opa ständig anhören, dass seine Frau ihn verlassen habe wegen des jungen Mannes – und der Opa selbst bezeichnet seinen Enkel als Rivalen (nicht, dass ich nicht verstehen könnte, dass die Enkel manches Mal die Aufmerksamkeit meiner Gattin stehlen können…). Genauso sind Oma und Enkelin Konkurrentinnen – aber interessanterweise nicht die gegengeschlechtlichen Enkel. Wenn die Enkel dann größer werden, bedeutet das auch, dass sie sich gegenüber Oma und Opa einiges rausnehmen können. Der junge Mann darf seinem Opa gegenüber freche Bemerkungen machen, sich über ihn lustig machen, ihn aufziehen so viel er möchte und der Opa darf nicht böse sein; genauso die Enkelin mit der Oma. Und doch – oder vielleicht gerade deshalb – haben die Beiden ein enges Verhältnis.

M. mit seinen 2 frischen Rivalen!

Ganz interessant in unseren Augen wird es dann, wenn eine(r) von den Großeltern verstorben ist: Jetzt holen sich z.B. die männlichen Enkel Kleidungsstücke des Opas, ziehen sie an, besorgen sich noch andere typische Gegenstände aus seinem Alltag und ahmen ihn vor der versammelten Trauergemeinde nach. M., dessen Vater Pastor war, erzählt, wie die Enkel nach der Beerdigung ihres Opas in dessen alten Klamotten mit Bibel unter dem Arm seinen charakteristischen Gang imitiert haben. Und das wird in keiner Weise als anstößig oder pietätlos betrachtet. Zunächst sind wir befremdet, dann aber merken wir, dass das letztlich nur eine andere Art der bei uns üblichen „Grußworte“ ist – wir erinnern uns verbal an Begebenheiten und Geschichten aus dem Leben des Verstorbenen, die Enkel hier tun dies in einer kleinen Theatervorstellung und bringen so ein Schmunzeln auf so manches Gesicht in der Trauergemeinschaft.

P.S. an meine Enkel: Glaubt mal ja nicht, das würde bei uns jetzt auch so gehen! 😉

 

Pastorengebet

Jeden Donnerstagvormittag treffen sich die Pastoren aus dem Raum Bamako, um miteinander zu beten. Und wo ich gerade da bin, darf ich gerne dabei sein. Auf meine Frage, wann es denn anfängt, geht ein Grinsen über Pastor D. Gesicht: „Na ja, eigentlich um 9:00, aber die Leute kommen da nicht so pünktlich. Wenn Du um 10:00 da bist, reicht das auf jeden Fall.“ Versteht sich – manche müssen um die 40 km fahren, um sich zu treffen.

Pünktlich um 10 bin ich da und finde erst einmal 3 Pastoren vor. Wir begrüßen alle im Hof und plaudern dann miteinander. Plaudern? Eigentlich nicht, denn schnell sind wir in einer heißen Diskussion über politische Ereignisse: Trump hat die Wahl gewonnen – wie es denn kommt, dass wir in Europa uns scheinbar gar nicht darüber freuen? Und so reden wir über dieselben Dinge, die auch in Amerika heiß diskutiert wurden. Hatten die Amerikaner letztlich nur die Wahl zwischen zwei Übeln? Können die Christen jemanden, der so ziemlich jeden biblischen Maßstab von gottesfürchtigem Leben in den Wind schlägt, nur deshalb als von Gott gesandt sehen, weil er Abtreibung nicht befürwortet? Und weiter geht es mit dem Ukrainekrieg: meine Gesprächspartner können nicht verstehen, warum wir die Ukraine unterstützen, und wir reden über Desinformation und Manipulation. Wieder einmal wird mir bewusst, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmung derselben Situationen sein kann und es ist lehrreich zu versuchen, die andere Seite zu verstehen.

Nach und nach trudeln dann die anderen ein, sodass wir letztlich zu zehnt sind. Um mehr Ruhe zu haben, ziehen wir vom Hof ins Kirchengebäude um. Gemeinsam reden wir über einen Bibeltext, beten dann für Mali, seine Regierung, den sozialen Frieden und anschließend für die verschiedenen Anliegen aus den Ortsgemeinden.

Und dann ist es schon nach 12. Die Frauen im Hof sind schon länger dabei ein Mittagessen vorzubereiten und so sitzen wir noch zusammen und diesmal plaudern wir wirklich: darüber, wie sie von Polizisten angehalten wurden, weil sie nicht angeschnallt waren und nochmal davon gekommen sind – oder wie sie mit irgendwelchen Tüchern oder Gürteln improvisiert haben, damit nicht auffiel, dass das Auto gar keine Gurte hat. Zwischendurch kommt Pastor A. mit einer großen blauen Plastiktüte an und holt diverse Dinge heraus, die er an seine Kollegen verkaufen möchte: ein paar Teegläser, Gürtel, ein Handyladegerät, ein paar Schuhe, Zahnbürsten, eine Powerbank… Ich fühle mich an die Hausierer von vor 50 Jahren erinnert. „Das mache ich schon seit meiner Kindheit – so verdiene ich ein paar Francs hier, ein paar Francs da“ und mit charmantem Humor wird er so einiges an seine Kollegen los.

… ein vielfältiges Treffen und für mich die Gelegenheit die meisten der Bamako-Pastoren einmal zu treffen.

 

 

Dogonland

Früher war es das Touristengebiet Malis – interessante, felsige Landschaft, bewegende Geschichte, spannende Kultur. Wer nach Mali reiste besuchte Timbuktu, die Moschee in Djenne und das Dogonland. Heute ist es der vermutlich gefährlichste Bereich in Mali und „Weiße“ trauen sich schon seit Jahren nicht mehr dorthin.

Der islamistische Terror scheint die Gegend komplett im Griff zu haben. Schwer bewaffnete Truppen verstecken sich in den Wäldern und greifen immer wieder Reisende oder auch ganze Dörfer an. Menschen werden verschleppt, getötet oder Geld erpresst. Felder, die kurz vor der Ernte stehen, werden einfach abgebrannt. Den Terroristen gegenüber steht vor allem die Kaste der Jäger, die versuchen die Bevölkerung zu schützen aber meist ihren Feinden weit unterlegen sind.

Ein Teil der Dörfer wurde mehr oder weniger gezwungen ein Abkommen zu unterzeichnen, das sie verpflichtet Abgaben – die Zakat – an die Terroristen zu entrichten. Dabei sind diese nicht zimperlich und nehmen auch schon mal 20% dessen, was die Menschen geerntet haben. Dazu kommt die Verpflichtung keinerlei Informationen an das Militär weiterzugeben und allein schon der Verdacht, dass man sich daran nicht gehalten hat, kann einem ganzen Dorf das Leben kosten. Die Zakat, die islamische Steuer, gilt ja eigentlich nur den Muslimen. Nun aber werden mehr und mehr die Christen gezwungen, Gelder an die Islamisten abzugeben: mal sind es 15.000 Francs, mal 25.000, mal 50.000 pro Person. Aber wie sollen Menschen, die sich fast nur von ihrem selbst Angebauten ernähren, so viel Geld aufbringen? Bezahlen, damit sie auf ihrem eigenen Land bleiben dürfen? Doch was gibt es für Alternativen? „Entweder ihr zahlt, ihr geht oder ihr werdet Muslime.“ Manchmal springen dann Verwandte aus Bamako ein, manchmal hilft nur noch die Flucht. Das Dogonland ist eines der Gebiete, wo in Mali die meisten Christen wohnen – jetzt werden sie mehr und mehr wie Fremde behandelt, geduldet und das nur, wenn sie zahlen.

Wo führt das hin? Die Christen im ganzen Land beten viel für Ihre Brüder und Schwestern, damit Gott, dessen Name von den Terroristen für ihre Zwecke missbraucht wird, diesem Terror ein Ende setzt.

 

Wäret ihr hier…

…was wäre Euch wohl aufgefallen im Gottesdienst gestern in Tanima, 50 km vom Zentrum Bamakos entfernt?

…vielleicht der einfache grob verputzte Zementbau mit Blechdach als Kirche.

… oder die FBI-Mütze des Gemeindeleiters.

… vielleicht auch die Länge des Gottesdienstes von 2,5 Stunden.

… oder der laute engagierte Gesang (Als wir den Weg zur Kirche nicht direkt finden, sagt Abdias: „Macht mal die Fenster am Auto runter, dann hören wir, wo die Kirche ist!“)

… oder der Nikolaus, der von der Kirchendecke herunter baumelt. (Wer den da wohl hingehängt hat und warum???)

…möglicherweise auch die braven Kinder, die den ganzen Gottesdienst über auf einer Matte sitzen.

…vermutlich auch die Ausdauer, mit der der Gitarrist in der falschen Tonart das Gemeindelied begleitet (oder eher die Ausdauer der Gemeinde, die nicht bereit ist, ihre Tonart zu ändern – oder merken sie es vielleicht gar nicht?)

…ganz sicher die Schuhmode – von hochhackigen Glitzerschuhen bis zu Badeschlappen.

… sehr wahrscheinlich auch der Tanz beim Singen der Lieder, (aber das erwarten ja die meisten in Afrika.)

… kann sein, dass es euch auch wundert, dass der Pastor seine WhatsApp-Nachrichten durchschaut, während der Chor singt. (Er hat nicht gemerkt, dass ich ihn erwischt habe!!)

… erstaunlich auch das Holzkohleöfchen vor der Trommel in der Gesangspause, damit das Fell durch die Hitze den richtigen Sound bekommt. (Welcher deutsche Schlagzeuger hat das schon mal ausprobiert?)

Vielleicht wären Euch aber auch ganz andere Dinge aufgefallen – unser Blick ist ja schon geprägt. Und ich frage mich, was wohl den Maliern aus Tanima auffallen würde, wenn sie zu uns in den Gottesdienst kämen!? Ihr könnt Euch ja mal im Perspektivwechsel versuchen…

 

 

 

Zu viel des Guten?

Heute berichtete uns Pastor Abdias folgende Begebenheit: In ein sehr islamisch geprägtes Dorf kamen malische Christen, erzählten von ihrem Glauben an Jesus und luden die Leute dort ein, dass sie mit ihren Sorgen und Problemen zu ihnen kommen könnten, damit sie für sie beteten. So kam eine Frau zu ihnen, die keine Kinder bekommen konnte und bat die Christen, dass sie für Nachwuchs beteten. Ein paar Monate später wurde sie schwanger und bekam Zwillinge. Einige Zeit später die nächste Schwangerschaft: wieder Zwillinge. Dann die dritte Schwangerschaft und auch diesmal kamen wieder 2 Kinder zur Welt. Erschöpft machte sich die nun 6-fache Mutter auf den Weg und suchte die Christen. Als sie sie gefunden hatte, bat sie: „Könnt Ihr bitte Eurem Jesus sagen, dass er ein bisschen langsamer machen soll?“