Der Eckstein und einfache Leute

ReginaAnne-Marie

Anfang der Woche konnte ich (Gerlind) Regina und Anne Marie bei einem Besuch begleiten. Die beiden arbeiten schwerpunktmäßig in der Sprachforschung und Bibelübersetzung für das Fischervolk der Bozo. Meistens sitzt man hier bei solchen Besuchen im Hof, was ich sehr genieße. In diesem Hof wohnen allerdings mehrere Familien, sodass wir in das kleine Wohnzimmer geführt werden. Das Zimmer ist relativ dunkel, weil es kein Fenster gibt. Wo keine Öffnung ist, bleiben Hitze und Staub besser draußen. Wir sitzen mit der Mutter, zwei erwachsenen Söhnen und einer weiteren Verwandten zusammen. Weitere Kinder gehen aus und ein, eines schläft neben uns auf dem Sofa ein. Insgesamt leben z.Zt. 21 Personen hier. Ich frage erstaunt, wie groß die Wohnung ist, da es mir so aussieht, dass hinter dem Wohnzimmer nur ein, vielleicht noch zwei Zimmer liegen. Draußen hätten sie noch ein kleines Zimmer, da würden die 15 Jungen schlafen. Ah….

Die ganze Zeit läuft der Fernseher, das ist üblich hier. Als Beobachterin stört es mich heute nicht, aber konzentrieren könnte ich mich so nicht. Anne Marie kommt hier regelmäßig zum Sprache lernen hin. Nach einer Zeit des Smaltalks holt sie einen Bibeltext (Apg 4) heraus, den sie gerne von den „Muttersprachlern“ getestet haben möchte. Und schon sind wir mittendrin in einer spannenden Bibelarbeit. Was heißt in diesem Bozodialekt „Eckstein“ und wie kann man erklären, dass dieses Bild für Christus gebraucht wird. Ah, Matas Mann ist Maurer, das hilft natürlich! Es ist interessant zu beobachten, wie engagiert die 4 Personen miteinander reden und nach dem passenden Ausdruck suchen… und gleichzeitig werden biblische Inhalte vermittelt. Ich verstehe kein Wort von dieser Sprache, aber allein die Beobachtung der Dynamik fasziniert mich. Und wenn es mal langweilig werden sollte, ist da ja immer noch der Fernseher…;-)

SchulbankAls man sich auf einen verständlichen Begriff geeinigt hat und dieser notiert wurde, geht’s weiter: Die Pharisäer wunderten sich über die Predigt von Petrus und Johannes, da sie eigentlich „einfache“ Leute waren. Ja, das klingt im Deutschen und für Deutsche „ganz einfach“. Interessanterweise kommen unsere Sprachhelfer ganz schnell auf Schulabbrecher, bzw. Leute, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht lange zur Schule gegangen sind. Solche gibt es bei uns in Deutschland ja nicht so viele, in Mali aber in hoher Zahl. Und die beiden Frauen vor uns sind vermutlich auch nie zur Schule gegangen. Spannend mit „einfachen“ Leuten herauszufinden, wie man für sie am besten „einfache Leute“ ausdrückt und im Moment sind sie eindeutig die „Experten“!

Ich bewundere meine Kollegen in der Sprachforschung, eine Arbeit, in der ich mir mich überhaupt nicht vorstellen kann. Und mich begeistert, wie Gott hier hochbegabte und gut ausgebildete Leute mit „einfachen“ zusammen bringt und arbeiten lässt und alle darin bereichert werden.

Die Bibel in seiner Muttersprache lesen oder hören zu können ist ein Privileg. Dieses Bewusstsein ist vielen von uns Deutschen verloren gegangen. Ich habe allein in meinem eBook 3 verschiedene Übersetzungen, ganz zu schweigen von den weiteren im Regal. Ein immenser Reichtum! Und eine krasse Ungleichheit. Ein Reichtum, den ich mit den Bozos und Milliarden anderen Menschen nicht teilen kann, in dem ich ihnen eine meiner Bibeln in die Hand drücke mit Worten, die sie weder lesen noch verstehen können. Ich bin sehr dankbar für Kolleginnen wie Regina und Anne Marie, die bereit sind, einen langen, mühsamen und angefochtenen Weg mit „einfachen Menschen“ zu gehen, weil sie den kennen, den Gott zum „Eckstein“ gesetzt hat.

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