Abgedreht oder abgehoben?

The same procedure as every year! Warten am Flughafen auf den nächsten Trip nach Mali. Mali? Echt jetzt? Viele Patienten zogen in den letzten Tagen die Augenbrauen hoch, als sie von unseren Plänen hörten, dachten, dass man da überhaupt nicht mehr hin könnte. Ist das nicht völlig abgedreht? Rückzug der Blauhelme, erneuter Krieg gegen die Tuareg, andauernde Terrorismusbedrohung? Aber ja, man kann immer noch nach Mali reisen! Und wer weiß schon, was morgen ist? Daher machen wir uns erneut auf den Weg, wollen unsere Freunde, Mitchristen, Mitarbeiter, Partner treffen und gemeinsam überlegen, wie wir in Zukunft miteinander arbeiten können – wissend, dass wir nicht wissen, was sich in den nächsten Monaten entwickeln wird. Stabilisiert sich wider alle Voraussagen die Situation oder wird es vielleicht unsere letzte Reise nach Bamako?

Aber schreibe ich nicht seit Jahren immer dasselbe, wenn wir nach Mali aufbrechen? Wenn ich richtig mitgezählt habe, dann ist das die 20ste Reise seit wir 2014 die Aufgaben übernommen haben, als Teamleiter (manchmal ganz ohne deutsches Team) in Mali die Allianz-Mission zu vertreten. Jubiläum! Also feiern wir lieber, dass das all die Jahre möglich war – trotz Ebola, Corona, Al-Kaida und wie sie alle heißen!

Also heben wir ab – in einer guten Stunde von Leipzig aus über Istanbul nach Bamako. Und wir nehmen Euch mit – per Blog, das ist bequemer, freuen uns, wenn Ihr uns in Gedanken und Gebeten wieder begleitet.

 

Wohin geht’s?

Ein bisschen ratlos sitze ich vor meinem Computer. 3 Tage bin ich nun schon wieder in Deutschland und da muss ich doch noch so etwas wie einen Abschlussstatement verfassen. Irgendwelche schlauen Gedanken, ein Resümee, ein Fazit…. Schon am Flughafen Bamako liefen meine Versuche ins Leere. Was soll ich auch schreiben? Schreibe ich nicht immer dasselbe am Schluss meiner Reisen? Ein bisschen melancholisch, ein bisschen Hoffnung, ein bisschen Frust?

Vieles an unseren Reisen ist mittlerweile Routine, der Klima- und Kulturwechsel hin und her, die Sitzungen und Treffen, die Schulbesuche, die Gespräche. Und doch gibt es immer wieder Überraschungen, immer wieder auch mal etwas, was neu ist und eben nicht Routine. Und immer wieder ist es ein nach Hause kommen – hin wie her. Aber das in Worte zu fassen…

Ist Mali auf einem guten Weg oder eher auf einem schlechten? Wer mag das schon beurteilen? Unsere europäische Sichtweise ist sehr begrenzt und entspricht oft nicht dem, was viele Malier denken. Sie gehen ihren eigenen Weg und viele der alten Klischees – auch der politischen – greifen nicht mehr. Ob der in eine richtige Richtung führt, ist nicht von uns zu beurteilen.

Was soll ich also sagen, was schreiben? Wie heißt es so schön: „Wenn man keine Ahnung hat – einfach mal die Klappe halten!“

Na denn, dann will ich das mal berücksichtigen!

Basteltag

Eines der Dinge, die mir schwer fallen bei meinen Besuchen hier ist, dass ich kaum mehr Gelegenheit habe, Dinge selbst zu machen, kreativ zu werden, mal was auszuprobieren. Das war vorgestern anders. Schon lange ist es uns ein Anliegen Wege zu finden, wie Malier mit einfachen Mitteln ihrer Nahrung verbessern und zu einem besseren Einkommen kommen können. In Leipzig hatte ich Gelegenheit mit engagierten Leuten in Kontakt zu kommen, die sich gerade darüber Gedanken machen und Wege testen, die auch in Afrika durchführbar sind. Über Aquaponik (eine Kombination aus Fischzucht und Gemüseanbau), Hydroponik (effektiver Gemüseanbau ohne Bodennutzung) kamen wir schließlich zu einem Konzept, wie man Gemüse anbauen kann mit weniger Wasser und weniger Dünger: Wicking-bed – nennt sich diese Methode. Und nach einigen Gesprächen und Vorbereitungen machte ich mich mit Solo, Etienne und Pastor David daran, das einmal in Mali auszuprobieren. Erinnert Ihr Euch noch an David und seine Fischzucht? Die Setzlinge, die ich beim letzten Besuch im November gesehen habe, sind mittlerweile groß und werden bereits verkauft – beeindruckend! Und da David auch schon lange Salat anbaut, war schnell klar, dass man bei ihm das „Wicking-bed“ gut testen könnte:

Ein 10 Meter langer Graben wird ausgehoben, eine Folie eingezogen und mit einem Aufbau verschiedener lokal verfügbarer Materialien ein Beet geschaffen, in dem Wasser und Nährstoffe zirkulieren, statt verloren zu gehen.

Die erste Hürde war der Einkauf der Materialien. Solo, ein „alter“ Freund, verbrachte einen halben Tag damit, die verschiedenen Fässer und Rohre zu suchen und zu kaufen – das hatte ich mir einfacher vorgestellt und wir mussten viel improvisieren, damit wir das einigermaßen hin bekamen. Dann wurde gebastelt: Rohre kombiniert, ein Fass präpariert – alles mit ganz einfachem Werkzeug.  

Das Ausheben des Grabens gestaltete sich ebenfalls schwieriger als gedacht, da der Boden nach 20 cm felsig wurde. Letztlich mussten ein paar Arbeiter angestellt werden, die in der heißen Sonne weiter gegraben haben – ebenfalls alles Handarbeit.

Leider werden wir es nicht schaffen bis zum Ende meines Aufenthaltes das Wicking-bed fertig zu stellen. Aber da wir alles miteinander besprochen haben, wird es auch über die Entfernung gelingen. Wir sind sehr gespannt, wie effektiv die Technik wirklich ist und ob sich die Mühe gelohnt hat. Spaß gemacht hat es auf jeden Fall, einmal nicht nur mit anderen über die Arbeit zu sprechen, sondern selbst Hand anzulegen!

Ostern 23

Als wir vor vielen Jahren noch dauerhaft in Mali lebten, fuhren wir am Ostermorgen für gewöhnlich in eine hügelige Gegend nicht weit von unserem Zuhause und erinnerten uns beim Sonnenaufgang an die Auferstehung Jesu. Heute trafen wir uns, Gerlind in Leipzig und ich auf dem Dach unserer Zentrale in Bamako per Facetime, um auch auf die Distanz beim malischen Sonnenaufgang um 6:24 h das Osterfest zu beginnen. Allerdings weckte mich der Muezzin schon mindestens eine Stunde früher, schließlich frühstücken die Muslime im Ramadan ja nach dem Morgengebt und noch vor dem Sonnenaufgang.

2,5 Stunden später fand ich mich dann zum Gottesdienst in Quinzambougou ein (macht nichts, wenn ihr jetzt nicht spontan wisst, wie man das ausspricht 😊). Schon bei der Begrüßung stöhnen etliche Malier – auch ihnen ist heiß. Zwar erreichen die Temperaturen gerade noch nicht die 40°C, aber der Himmel ist bedeckt und das Klima drückend – man schwitzt, ohne sich auch nur ein bisschen bewegt zu haben. Dann aber geht das Programm los und da ist von Müdigkeit nichts mehr zu spüren: Die Stimmung ist fröhlich, es wird viel gesungen und dabei getanzt, gebetet, auswendig gelernte Bibelverse aufgesagt. Nicht wie vermutet vier, sondern gleich fünf Chöre geben ihr Bestes, um Gott zu loben und ihrer Freude Ausdruck zu verleihen. Die Ventilatoren haben mehr psychologische Wirkung, denn die warme Luft wird nur ein bisschen rumgerührt. Auch ist die Kirche viel zu klein für alle Besucher. Draußen wurde ein Zelt aufgebaut und auch unter Bäumen und überall sonst, wo man Schatten findet, sitzen die Gottesdienstbesucher. Eigentlich hatte sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen angemeldet, um einen Teil des Gottesdienstes zu filmen und dann auszustrahlen, nur es tauchte niemand auf – aber scheinbar sind solche Fehlankündigungen nicht selten, so dass das hier niemanden groß verwundert. Nach fast zwei Stunden beginnt die Predigt und trotz der Hitze und des langen Programms sehe ich niemanden, der eindöst…

Nach 160 Minuten wird dann der Abschlusssegen gesprochen. Die Luft ist voller Schweißgeruch – da hilft auch kein noch so starkes Deo. Jetzt sind alle erschöpft… denke ich… aber dann spielt die Band eines der beliebtesten Osterlieder und während die einen den Weg nach draußen finden, entwickeln die jungen Leute (und nicht nur die!) eine Energie, die ich nicht mehr für möglich gehalten hätte: als wären sie gerade erst warmgelaufen, feiern sie den Sieg Jesu über den Tod mit Tanzen, Singen, Klatschen, Jubeln, Springen… (Und wer das ein bisschen nachempfinden will, der findet hier ein Video – aber dann bitte nicht auf dem Smartphone schauen, sondern am besten mit Kopfhörern – auch wenn es völlig übersteuert ist – und größerem Bildschirm).

…und bisher ging ich immer davon aus, dass die deutsche Tradition mit dem Eierverstecken in Mali gänzlich unbekannt ist, aber da belehrte mich die Taube vor meinem Fenster jetzt eines Besseren! Nur das Färben wurde noch nicht ins Programm aufgenommen…

 

Le blanc

Am Karfreitag keine Treffen, keine Besprechungen. Ich heuere eines der gelben Taxis an und lasse mich zum Nationalpark fahren: immer wieder eine wohltuende Abwechslung bei all dem Staub und der Trockenheit in diese Oase des Grüns zu fahren. Ich höre die Matthäuspassion in einer modernen Fassung. Keine Ahnung, ob dieser Park vorher schon mal mit J.S. Bach in Kontakt gekommen ist. Ich genieße die Ruhe, das Vogelgezwitscher, die Natur, die Musik, das Gespräch mit Gott.

Eine Gruppe von Vorschülern – alle mit grünen T-Shirts ausgerüstet – kommt an meiner Parkbank vorbei. Die ersten entdecken mich und rufen, wie sie das immer tun, „Toubabou“ – die hier gängige Bezeichnung für alle hellhäutigen Ausländer. Die Vorschullehrerin aber korrigiert sie schnell: „Wie heißt das richtig?“ 2 oder 3 versuchen es nochmal mit Toubabou – vielleicht war die Aussprache nicht richtig, aber als Madame insistiert, kommt dann aus aller Munde: „Bonjour Monsieur!“. Na also, denke ich, klingt schon netter. Aber Madame ist nicht zufrieden: „Wie heißt das richtig? Was sagt man?“ … ratlose Kindergesichter. Sie wieder: „Le blanc!“ (der Weiße), und die Kinder wiederholen im Chor: „Le blanc“, Sie wieder: „Le blanc“, die Kinder im Chor „Le blanc!“ und so geht das noch 3,4 x hin und her. Madame lächelt zufrieden – die heutige Französischlektion mit Anschauungsmaterial war offensichtlich erfolgreich.

… bis ich sie höflich frage, ob ich sie jetzt auch „La noire“ (die Schwarze) nennen darf. „Nein, nein…“, sagt sie und wirkt dann etwas verunsichert. Derweil traut sich eines der Kinder mit seinem Finger meinen Fuß zu berühren: die Farbe scheint echt zu sein! Madame versucht sich wieder zu fangen, na ja, es ginge ja nur um die Farbe, beteuert sie und wir verabschieden uns freundlich. Aber ging es wirklich nur um die Farbe?

Gradwanderungen

Nun, Berge im wörtlichen Sinne gibt es hier keine – Gradwanderungen im übertragenen Sinne aber ständig: Was ist noch machbar, was nicht? Was kann man riskieren, was sollte man lieber lassen? Wo sind wir gerufen, weiter am Ball zu bleiben und wo ist es Zeit, das Feld zu räumen. Nicht zum ersten Mal denke ich über diese Fragen nach, nicht zum ersten Mal schreibe ich darüber. Aber immer wieder kommen wir hier in Situationen, in denen wir uns darüber neu Gedanken machen müssen. Und das natürlich nicht nur als „Tubabs“ (wie wir Bleichgesichter hier genannt werden).

Vor einigen Jahren konnten wir für eine abgelegene Krankenstation, in der wir schon seit Beginn der Arbeit der Allianz-Mission in Mali tätig sind, einen Land Cruiser als Krankentransportfahrzeug finanzieren. Die Pisten bis zum nächsten Krankenhaus sind so schlecht, dass man mit einem normalen Auto besonders zur Regenzeit keine Chance hat durchzukommen. Viele Evakuierungsfahrten konnten so schon gemacht werden. D., der Fahrer, kennt sich gut aus, kennt alle Schleichwege und wie man die tiefen Regenlöcher umfahren kann. Notwendige Kaiserschnitte. Eileiterschwangerschaften, Blinddarmentzündungen, eingeklemmte Leistenbrüche – alles lebensgefährliche Situationen, die in der Krankenstation vor Ort nicht behandelt werden können und die eine Evakuierungsfahrt dringend erforderlich machen.

Nun wimmelt es aber in diesem Gebiet von sogenannten Jihadisten. Oft sind die Wege vermint und natürlich weiß keiner, wann und wo man über so eine Mine fährt. Dazu kommt, dass der Land Cruiser eines der solidesten und geländegängigsten Fahrzeuge überhaupt für diese Gegenden ist und in der Vergangenheit sind schon etliche davon von Extremisten gestohlen worden, was bedeutet, dass sich einem unterwegs ein Mann mit einer AK-47 in den Weg stellt und man Auto und Schlüssel abgibt und zu Fuß nach Hause geht.

Ist das noch zu verantworten? Sollte man den Land-Cruiser nicht lieber an einen sicheren Ort bringen, bis sich die Lage beruhigt hat? Sollte D. nicht zu Hause bleiben, statt sich immer wieder in Lebensgefahr zu begeben? Und gleichzeitig die Frage, ob es denn zu verantworten ist Frauen unter der Geburt verbluten oder einen Familienvater mit eingeklemmtem Darm seinem Schicksal zu überlassen: „Tut uns leid, das ist uns zu gefährlich“.

Darauf gibt es keine einfachen Antworten, kein „ja“ oder „nein“, kein „immer“ oder „nie“. Vielleicht sind wir später klüger, vielleicht aber auch nicht. Im Moment gehen D. und unsere einheimischen Mitarbeiter das Risiko weiter ein – das Risko den teuren Land Cruiser oder sogar das eigene Leben zu verlieren. Und wir beten dafür, dass Gott über beides seine schützende Hand hält und ihnen deutlich macht, wenn sie ihre derzeitige Entscheidung ändern sollen.

Gerade am Karfreitag sind mir diese Fragen besonders nah – an dem Tag, an dem Gott seinen Sohn nicht nur einer potenziellen Gefahr ausgesetzt hat, sondern ihn für uns hat sterben lassen!

 

Jetzt endlich: Schulbesuch in San

Nachdem der Streik der Studenten im letzten Jahr unseren Besuch in der Schule in San vereitelt hatte, konnte ich jetzt endlich mit eigenen Augen sehen

Schulhof

und mit eigenen Ohren hören, dass der Schulbeginn dort Realität ist. Schon 2018 hatten wir das Schulgebäude gebaut, aber die ersten Versuche eines Schulstarts scheiterten, weil das neue Stadtviertel sich nicht so schnell entwickelte, wie wir gehofft hatten und die Familien von weiter weg ihre Kinder nicht schicken wollten, ohne zu wissen, ob die Schule auch wirklich einen guten Unterricht bieten würde. Die Gebäude und das große Grundstück waren ja eigentlich vielversprechend, aber das reichte noch nicht, um Vertrauen aufzubauen – aller Anfang ist schwer. Wie schon im November berichtet, half das beeindruckende Engagement von Herrn Dakouo, einem in San bekannten, erfahrenen Lehren in Rente, eine erste Klasse zusammen zu bekommen.

 

Gestern konnte ich dann endlich sehen, was mir bisher nur berichtet wurde: 15 fröhliche, lernwillige Kinder, zunächst verschüchtert durch den Weißen, der da plötzlich auftauchte, machen die ersten Schritte im Lesen, Schreiben, Rechnen. Es ist immer wieder eine Freude zu sehen, mit welcher Begeisterung die Kids dabei sind, wenn die Klassengröße überschaubar ist und die Lehrer engagiert sind. Frau Maiga hat auf jeden Fall einen guten Draht zu ihnen. Meistens hat man im Laufe eines Schuljahres einige Abgänge: die Eltern

Direktor Dakouo

finden die Schulbildung doch nicht mehr so wichtig, das Geld reicht nicht für die geringen Schulgebühren oder der Lehrer gefällt ihnen nicht – dann nehmen sie ihr Kind einfach aus der Schule, lassen es zu Hause oder schicken es woanders hin. Es spricht für Frau Maiga und Herrn Dakouo, dass alle 15 Kids, die das Schuljahr vor einem halben Jahr begonnen haben, noch dabei sind. (Ein 16tes Kind hatte sich zwar einschreiben lassen, ist aber nie erschienen).

Zur Pause singt Herr Dakouo mit ihnen ein fröhliches Lied von irgendeiner Maus und hat dabei eher etwas von einem warmherzigen Großvater als von einem Direktor (hier geht es zum Video).

Ich bin glücklich, dass sich – wenn auch erst nach vielen Jahren – die vielen Mühen, das Diskutieren, das Geldsammeln, das Planen, die Fehlschläge… gelohnt haben und der Start gemacht wurde. Und ich bin bewegt von dem beispielhaften Engagement von Herrn Dackouo und Frau Maiga!

Palmsonntag

Gestern war ich zum Gottesdienst in der Kirche in Moribabougou, einem Stadtviertel von Bamako. Dem Kirchenjahr entsprechend predigte ich über den Einzug Jesu in Jerusalem, wo er auf einem Esel in die Stadt reitet und die Menschen Palmzweige und Kleidung sozusagen als roten Teppich auf den Weg legen und seine Ankunft feiern – wenige Tage bevor sie „kreuzige ihn!“ rufen…

Vor vielen Jahren war ich einmal zum Palmsonntag in einer Kirche in Kampala, der Hauptstadt Ugandas und die Pastorin erläuterte den Gottesdienstbesuchern erst einmal, was denn ein Esel ist, da diese Tiere in Kampala wohl kaum gesehen werden – das ist in Mali nun wirklich nicht nötig. Und es weiß auch jeder, wie ein Palmzweig aussieht. Trotzdem dachte ich mir, ist es hilfreich, wenn ich zur Veranschaulichung einen mitbringe. Daher machte ich mich am Samstag mit einer Säge auf den Weg zur nächsten Palme und beschafft mir einen, der noch so gerade hinten auf unseren Pickup passte. Auf dem Weg zum Gottesdienst ging dann mein Blick nach hinten und ich stellte fest, dass da kein Palmzweig mehr zu sehen war: Unser fleißiger Wächter hatte ihn auf dem Auto entdeckt, sich gefragt, wie denn dieses dreckige Ding dahin gekommen ist und ihn kurzerhand entsorgt. So hielt ich unterwegs Ausschau nach einem Ersatz, fand aber keinen. Na, geht auch ohne…

 Nicht gerechnet hatte ich allerdings mit dem Frauenchor. Die Damen waren nämlich sehr gut vorbereitet und als ihr Lied im Gottesdienst erklingen sollte, zückte jede einen grünen Zweig (wenn auch keinen Palmzweig) wedelte damit herum und so zogen sie in die Kirche ein.

Damit aber nicht genug: Eine der Frauen – sie war nicht gerade die schlankste – spielte den Esel und trug „Jesus“, der von einem Kind dargestellt wurde, während des Liedes durch den Raum.

Also, alle Sorge bezüglich Anschaulichkeit umsonst: die Frauen hatten mich mit ihrer Gesangs- und Theatereinlage weit übertroffen.

Fastenmonat Ramadan

Von 6:28 Uhr bis 18:43 in Bamako – nichts essen, nichts trinken – bei bis zu 40°C im Schatten. Nichts essen ist das eine, aber wirklich über 12 Stunden keine Flüssigkeit zu sich nehmen… Mich wundert es nicht, dass viele um die Mittagszeit irgendwo anhängen, halb wach, halb dahindämmernd, bis die Hitze etwas nachlässt und der Sonnenuntergang näher rückt. „Die ersten Tage sind die schwersten“, sagt man mir, „danach gewöhnt man sich dran.“ Ich bin mir nicht sicher. Aus der Zeit, in der wir noch dauerhaft in Mali gelebt haben, meine ich mich an anderes erinnern zu können – eine immer gereiztere Stimmung, je länger es dauerte. Ich treffe „meinen“ Taxifahrer, frage ihn, wie es ihm geht und erhalte die malische Standardantwort: „alles in Ordnung“. Ich werde ein bisschen konkreter und drücke mein Mitgefühl aus, dass es bei der Hitze sicher sehr schwer ist zu fasten und erhalte ein zustimmendes Nicken – ein bisschen erschöpft, aber freundlich.

Am frühen Abend (noch vor Sonnenuntergang) unterhalte ich mich mit dem Brotverkäufer. Nein, es ginge ihm absolut nicht schlecht, der Fastenmonat würde ihm vielmehr immer wieder Kraft geben. Bei der Verkäuferin der leckeren hackfleischgefüllten Teigbällchen ist angespannter Hochbetrieb. Noch mehr Menschen als sonst stehen Schlange, damit sie rechtzeitig mit ihrem Einkauf zu Hause sind. Fast schäme ich mich, dass ich auch anstehe und ich möchte die Fastenden vor lassen. Zu meiner Überraschung sagt ein Malier, als ich meine Portion erhalte und das Geld zücke, ich könne gehen, er würde für mich bezahlen. … das habe ich auch nicht oft erlebt… Kurz drauf ist die Sonne verschwunden und überall sitzen fröhliche Menschen, trinken, essen, schwatzen, lachen – entspannte Atmosphäre. Wieder komme ich am Taximann vorbei: „Komm essen“ ruft er mir fröhlich zu und ich winke dankend zurück.

Muslime in aller Welt fasten, weil das zu ihren religiösen Pflichten, den Säulen des Islam gehört. Ich bin froh, dass ich als Christ keine Leistungen erbringen muss, um Gott zu gefallen, dass, wenn ich selbst faste, es kein religiöses Gebot ist. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass es auch ein starkes Gemeinschaftsgefühl schafft, wenn überall auf der Welt Menschen zur selben Zeit fasten – täglich miteinander leiden, sich dann am Fastenbrechen erfreuen und nach einem Monat das Ende des Fastenmonats gemeinsam feiern. Dieser Aspekt könnte mir gefallen!

Und es geht doch!

Vor 2 Jahren haben wir begonnen ein Projekt zu entwerfen, damit wenig betuchte Mitglieder unserer Partnerkirche mit fast zinsfreien Kleinkrediten ihr Einkommen verbessern können. Ein ganzes Jahr haben die Vorbereitungen, Beratungen, Gespräche mit Kirchenvertretern gedauert. Ungeduldig fragten immer mehr Leute, wann es denn endlich los gehen würde. Zahlreich waren die mal laut mal leise geäußerten Kritiken: das Geld würden eh viele nicht zurückzahlen. Die Kredite würden die Menschen eher in Schwierigkeiten bringen als ihnen helfen, weil sie das Geld doch für etwas anderes ausgeben würden als für das geplante Kleinprojekt. Das maximal zur Verfügung gestellte Geld von 150 Euro sei viel zu gering, um damit wirklich etwas anfangen zu können und so weiter. Ein ganzes Buch und zahlreiche Artikel gibt es dazu, warum so etwas nicht funktionieren kann.

Und auch Etienne, der Hauptverantwortliche in diesem Projekt und ich waren unsicher, aber unsere Motivation war, dass vielen Menschen hier der Startpunkt fehlt, um zu etwas Geld zu kommen. Wenn man immer von einem Tag auf den anderen leben muss, dann gelingt es einfach nicht, das nötige Startkapital zusammen zu bekommen, um ein Miniunternehmen starten zu können.

Mit unglaublicher Geduld haben Etienne und Ely die Kirchen überall im Land besucht, haben das Projekt erklärt, haben Schulungen durchgeführt, wie man gut plant und berechnet, haben in jeder betroffenen Kirche ein Komitee eingesetzt, das die „kreditwürdigen“ und gleichzeitig bedürftigen Mitglieder auswählt und auch begleitet. Ganz unterschiedliche Ideen wurden verwirklicht: An- und Verkauf von Holzkohle, Herstellung von Erdnussbutter, Schuhverkauf, Kleintierzucht, ein Miniladen eröffnen…

Wenn die Kreditnehmer einer Kirche alles ordnungsgemäß zurückzahlen, wurde in Aussicht gestellt, dass im Jahr darauf erneut ein Kredit an sie vergeben wird, wenn das nicht der Fall ist, würden mindestens 3 Jahre keine Kredite mehr in diese Kirchgemeinde fließen – das klingt hart, aber eine gewisse soziale Motivation hilft oft.

Jetzt ist ein Jahr rum. Etienne kommt gerade von einer Reise zurück, bei der es um die Rückzahlung der Kredite ging und alle, ja alle ca. 30 Kreditnehmer haben ordnungsgemäß und pünktlich zurückgezahlt. Nur wenige haben Probleme mit ihrem Projekt gehabt, weil eine Ziege gestorben ist oder die eingekauften Waren viel teurer wurden als geplant. Fast alle haben Profit gemacht und ihr Leben ein bisschen verbessern können. Aber es sind ja nicht nur die 150 Euro gewesen. Sie haben gelernt – aus Erfolg wie aus Fehlern, sie sind ein Stück weiter gekommen darin, ihr Leben auch in finanziellen Dingen in die Hand zu nehmen und nicht auf die Hilfe anderer zu hoffen und sie können besser planen, durchrechnen, den zu erwartenden Erfolg abschätzen.

Etienne, Ely und ich sind sehr ermutigt: die lange Vorbereitung hat sich gelohnt! Ihr große Einsatz hat sich ausgezahlt! Die unzähligen Telefonate mit den Miniunternehmern waren nicht umsonst. Das Projekt kann in die nächste Phase gehen und ist nicht, wie manche zu Anfang dachten, zum Scheitern verurteilt. Ja, es geht doch!