Paco ist Schreiner, aber sein eigentlicher Beruf ist es, Kindern, die in Bamako auf der Straße leben, ein Zuhause zu geben. Er kommt aus Burkina Faso, so wie auch seine junge Frau. Beide waren – wie alle „Hauseltern“ bei ihrer Organisation „REMAR“ – selbst Straßenkinder, haben dann Menschen gefunden, die sie wertgeschätzt und die ihnen Jesu Liebe vorgelebt haben und sind dabeigeblieben um selbst Kinder ohne Heim aufzunehmen. Den Bock zum Gärtner gemacht? Ganz im Gegenteil! Heute besuche ich zwei der „Großfamilien“ von REMAR und da sitzen mir Ex-Drogensüchtige, Prostituierte, Diebe u.s.w. gegenüber, die mit ganzen Herzen und ganzem Einsatz das weitergeben wollen, was sie selbst empfangen haben. Kein Gehalt – sie bekommen Essen, Kleidung, ein Dach über dem Kopf und was man sonst noch zum Leben braucht, aber sie verdienen nichts. Sozialversicherung? Wer nichts verdient ist auch nicht versichert! Alles Geld, was durch irgendwelche Arbeiten verdient wird, geben sie ab für die Arbeit. Und sie sind eine große Familie – das ist kein Heim für Ausgestoßene, sondern die Straßenkinder gehören mit dazu genauso wie die eigenen Kinder. Und auch hier, wie wohl überall, wo Menschen mit diesen Kindern arbeiten, braucht man einen langen Atem und die Fähigkeit viele Rückschläge verdauen zu können: der Sog der Straße bleibt und viele Kinder hauen wieder ab, wählen das demütigende Leben mit Drogen, Freiern und Kleindiebstählen statt die Wärme einer Familie. Aber, wie gesagt, Paco ist Schreiner. „Wenn die jungen Leute nichts zu tun haben, keine Perspektive bekommen, dann landen sie früher oder später alle wieder auf der Straße.“ Deshalb bringt er ihnen sein Handwerk bei. Mit ausgesprochen einfachen Mitteln und Abfallholz schreinern sie Möbelstücke, die zwar nicht viel einbringen, aber ihnen Fähigkeiten beibringen, mit denen sie sich später selbst versorgen können. Ich darf zuschauen, wie Paco mit 2 seiner Jungs einen Fernsehtisch zusammenzimmert. Als er zur Säge greift, wird mir klar, wie einfach seine
Werkzeuge sind: sie knabbert sich mehr durchs Holz als dass sie schneidet. Ich stelle ihm ein paar Fragen zu seinem Leben, seiner Arbeit und darf Fotos machen, während seine Frau im Hof ihre Tochter einseift und Enten gemütlich ein Schlammbad nehmen – typisches malisches Hofleben. Wovon Paco träumt? Eine richtige Lehrwerkstatt, wo sie Holz lagern und Möbel so bauen können, dass die Kids lernen mit richtigen Werkzeugen umzugehen und sehen, dass es etwas einbringt.
Unsicher, unsicherer, am unsichersten…
Was ist hier eigentlich los in Mali? Ständig hören wir und sagen es auch so weiter, dass sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert hat und man fragt sich, ob denn das überhaupt noch geht. Heute Morgen saß ich lange mit einem der verantwortlichen Pastoren unserer Partnerkirche zusammen und eine meiner ersten Fragen war, wie er denn die Situation einschätzt und auch da war zu hören, dass es immer schwieriger wird. Daher fasse ich hier mal zusammen, was ich von dem Einen oder Anderen so verstanden habe:
In einigen Gebieten Malis herrscht schlicht Anarchie. Der Staat mit Polizei und Militär hat sich nahezu komplett aus diesen Gebieten zurückgezogen. Die gewählten Bürgermeister der Dörfer und Kleinstädte wohnen aus Angst vor Anschlägen in größeren Städten und reisen nur hier und da mal kurz in „ihre“ Dörfer. In diesen Gebieten herrschen zum Teil Islamisten aber auch traditionelle Strukturen werden wiederbelebt. So ist es in einigen Dörfern die Kaste der Jäger, die praktisch die Rolle der Polizei spielt. In manchen Gebieten herrschen alle oder keiner – jeder macht, was er für richtig hält mit Selbstjustiz oder auch gar keiner Justiz. (Zum Glück beschränkt sich dieser Zustand noch nur auf einige Gebiete im Land!)
Niemand kann mehr auseinanderhalten, wer eigentlich was ist. Da gibt es die gut bewaffneten Jihadisten, die für viele Anschläge verantwortlich sind. Aber dann sind da genauso auch zwischenethnische Konflikte, die jahrelang ein gewisses Gleichgewicht hatten, jetzt aber bei fehlender staatlicher Autorität ausgetragen werden. Und dann gibt es „einfach“ Racheakte, zwischen einzelnen Personen oder Familien, zwischen den Viehhirten und den Forstwirten – oft seit Jahren angestaute Wut, die jetzt zum Ausbruch kommt, weil niemand da ist, der einschreiten kann. Und zuletzt freuen sich die „ganz normalen Kriminellen“ an der allgemeinen Unsicherheit. Und „Allahu Akbar“ kann ja jeder schreien – ob das dann irgendwas mit seinen Motiven zu tun hat, weiß ja auch bei den Attentaten in Europa oft keiner.
Wie kommt man aus diesem – im wahrsten Sinne des Wortes – Teufelskreis wieder heraus? Der Staat hat keine wirkliche Antwort darauf, sondern zieht sich eher zurück. Wir beten, hoffen und glauben, dass Gott interveniert und wir versuchen als Christen Frieden und Versöhnung zu praktizieren – schließlich ist Jesus der Friedefürst!
P.S.: Dass mein Koffer wieder da ist, ist zwar schön, aber in diesem Kontext eigentlich völlig unwichtig!
Kinder, Kinder…

Gottesdienst in der Gemeinde Quinzambougou (wollt Ihr mal „googeln“, wo das ist?): Und wie fast jedes Mal, wenn ich da bin, werden auch heute wieder ein recht frisch geborener Säugling und seine Eltern gesegnet. Mittlerweile hat es sich durchgesetzt, dass nicht jeder danach eine Party schmeißen muss und so lassen auch die, die weniger Geld haben, ihre Kinder im Gottesdienst segnen. Früher hat der soziale Druck manchmal dazu geführt, dass das Kind solange nicht in der Gemeinde gesegnet wurde, bis genug Geld für ein Fest zur Verfügung stand (erinnert irgendwie an manche deutsche Vorstellung vom Heiraten…). Aber die Ältesten und Pastoren haben lange sensibilisiert und das scheint nun kein Thema mehr zu sein. Dieses fröhliche Segensgebet und so manch andere Situation im Gottesdienst lassen mich nachdenken über Kinder in Mali:
Fast die Hälfte der Menschen, die hier leben sind jünger als 15 Jahre und somit spielen Kinder eine ganz andere Rolle als im relativ kinderarmen Deutschland. Und ich stelle fest, wir ambivalent vieles im Leben der Kinder hier von mir empfunden wird:
Kinder sind immer mit dabei, ob im Gottesdienst, in der Familie, bei Freunden und oft selbst bei der

Arbeit. Säuglinge auf den Rücken geschnallt, Kleinkinder mal spielend in einer Ecke, mal auf dem Schoß der Eltern und da hat keiner etwas dagegen – das empfinde ich als sehr natürlich: Kinder als Teil der Gesellschaft – egal wo und wann. Die andere Seite der Medaille ist, dass es für Kinder dann aber auch oft nichts Eigenes gibt, was eher ihrem Alter und ihrem Auffassungsvermögen entspricht. Selbst im Kindergottesdienst, den es in den meisten Gemeinden gibt, scheint das Programm manchmal nur eine Kopie dessen der Erwachsenen zu sein und wenig kreativ auf die Kinder abgestimmt.
Die Gesellschaft sieht sich in Mali mit verantwortlich für die Erziehung der Kinder und betrachtet das nicht nur als

Aufgabe von Eltern und Schule. Es besteht eine große Offenheit Kindern Liebe und Zuneigung zu zeigen, auch wenn man nicht mit ihnen verwandt ist und genauso nehmen auch Außenstehende an der Erziehung teil – was manchmal sehr entspannend aber wohl auch in Mali nicht immer nur eine Freude für die Eltern ist.
Gerade in der Familie ist die Konzentration auf die Eltern wesentlich weniger ausgeprägt als bei uns. Tanten, Onkel, Oma, Opa, die Geschwister u.s.w. sind oft wichtige Bezugspersonen für die Kinder und sie lernen früh ein wesentlich breiteres Umfeld an Vertrauenspersonen zu haben. Die Ferien im Dorf bei der Oma zu verbringen ist völlig normal, den Neffen bei sich aufzunehmen, wenn im Dorf der Eltern keine Schule ist, ebenfalls. Aber andererseits findet man auch z.B. Mädchen, die zur Tante geschickt werden, dort aufwachsen aber eigentlich eher als Haushaltshilfe fungieren.
… nichts hier ist einfach nur gut oder schlecht, aber wenn ich den Schlagzeuger sehe, wie er mit seinen Kindern auf dem Schoß den Chor begleitet, dann wünsche ich mir, dass wir von dieser malischen Selbstverständlichkeit lernen können.

P.S.: mein Koffer Nr 2 irrt immer noch in der Weltgeschichte rum.
Mal ein bisschen anders reisen…
Diesmal nicht über Istanbul oder Paris, sondern günstig und auf relativ direktem Wege über Tunis und Dakar nach Bamako. Pünktlich in Tunis angekommen werden mir am Transitschalter erst mal mein Pass und meine Bordkarte abgenommen. Es gäbe da ein Problem mit dem Intranet ist die mir nicht ganz einsichtige Erklärung. Also sitze ich erst einmal 1,5 Stunden rum ohne zu wissen, was denn jetzt kommt, aber da alle freundlich und entspannt sind, bin ich das halt auch. Irgendwann wandert dann jemand mit den eingesammelten Pässen zwischen den wartenden Passagieren herum, ruft sowas ähnliches wie unsere Namen auf und drückt uns die Papiere wieder in die Hand und wir dürfen weiter gehen, bis zum Gate etwa 30 Meter entfernt. Mit reichlich Verspätung steigen wir in den Bus, fahren zum Flieger und warten. Eine Dame in Sicherheitsweste geht ins Flugzeug und kommt dann auch nach 10 Minuten wieder raus. Wir müssen im Bus bleiben. Irgendwas ist wohl nicht ganz so wie geplant. Aber was?? Dann setzt sich der Bus plötzlich wieder in Bewegung. Haben wir vor dem falschen Flieger gehalten? Nein, scheinbar nicht, denn der Bus fährt gemütlich einmal um die Maschine herum um dann an derselben Stelle wieder zu halten. Sightseeing am Flughafen! Jetzt dürfen wir aussteigen, also doch noch! Als ich dann mühsam an meinem reservierten Platz angekommen bin, sagt mir die Stewardess, dass diese Plätze reserviert seien – ja, grundsätzlich bin ich da mit ihr einer Meinung, nur leider findet sie, dass die Reservierung nicht für mich ist. Sie hätten leider ein Netzproblem (wusste ich schon – wer hat das nicht?) und dadurch hätte die Hälfte der Leute einen reservierten Sitzplatz und die andere Hälfte nicht. Also: freie Platzwahl (außer eben in dem Bereich, in dem ich reserviert hatte). Macht aber nichts, ich finde noch einen netten Platz am Fenster. Die abgeschabten und mit Kuli beschmierten Kunstledersitze erinnern mich irgendwie an die Fernbusse in Mali. Kopfhörer? Musik? Bildschirm? Leider nicht – ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt, verwöhnt wie ich bin. Dafür sind die freundlichen Senegalesen neben mir aber umso unterhaltsamer und diskutieren und lachen den ganzen Flug über: gute Stimmung ist besser als Fernsehen! Mit 1,5 Stunden Verspätung kommen wir in Dakar an. Wer nach Bamako weiter fliegt, wird gebeten sitzen zu bleiben. Vom Fenster aus müssen wir zusehen, wie unser Gepäck, das sich nicht wehren kann, das Gepäckband runterfährt. Unten angekommen schauen dann zum Glück noch Leute nach und schicken die Hälfte der Koffer wieder nach oben. Ob meiner dabei ist, kann ich nicht sehen. Und nun steigen die Passagiere, die von Dakar nach Bamako fliegen, ein. Sie haben hier scheinbar kein Netzproblem, kommen mit Platzkarten in den Flieger und finden überall schon Leute sitzen, die nicht weichen wollen. Es wird ein bisschen rumgeschimpft, aber irgendwie finden dann doch noch alle einen Platz und irgendwann, mitten in der Nacht, komme ich doch noch in Bamako an, wo mich Diallo, ein freundlicher Taxifahrer aus den Nachbarschaft unserer Zentrale mit seinem Golf 2 abholt. Na gut, ein Koffer hat das Hin und Her nicht bis Bamako geschafft, also stehe ich um 2 Uhr morgens vorher noch eine halbe Stunde an einem Schalter um meine Reklamation aufzugeben. Immerhin: ich bin da und die Reise war nicht langweilig!
Flüchtling
Da sitze ich im Zug nach Frankfurt um dann morgen den Flieger nach Mali zu nehmen, flüchte vor 13 °C minus in Leipzig um mich in den 40°C in Bamako zu baden. Schon seit Wochen freue ich mich auf die Wärme! Und ich flüchte mich vor den seit Wochen hustenden und schniefenden Patienten (sie mögen es mir verzeihen!) und der dieses Jahr wirklich besorgniserregenden Grippewelle in Deutschland. Ich mache mich aus dem Staub in den Staub, von Alltag zum Besonderen, vom Winterblues in den Brutkasten.
Und diesmal ist viel anders: Gerlind fliegt nicht mit und auch sonst werde ich in Mali keine anderen Missionare der AM antreffen. Und wie schon beim letzten Mal angekündigt, wird es aus Sicherheitsgründen diesmal nicht möglich sein in den Norden, nach Sévaré, zu fahren. Mali zu besuchen ohne in unserer alten Heimat sein zu können, das kann ich mir noch gar nicht vorstellen, aber die Empfehlungen unserer malischen Freunde war eindeutig: bitte diesmal nicht! Auch die Jahreshauptversammlung der malischen Kirche, die in 2 Wochen stattfindet, wurde vom Gemeindezentrum in Soufouroulaye – also im Norden – in die Hauptstadt Bamako verlegt, auch wenn das für viele der Delegierten deutlich teurer wird. Warum? Was hat sich denn geändert?
Die Überfälle auf alle möglichen Ziele werden immer unkontrollierbarer, die bewaffneten Gruppen immer unverfrorener und niemand hat so richtig eine Antwort darauf. Der malische Staat versucht mit diversen Einschränkungen Herr der Lage zu werden, aber wie will man in einem so großen Land kleine Banden von bewaffneten Motorradfahrern kontrollieren, die mitten in der Nacht eine Polizeistation aus dem Hinterhalt angreifen und auf alles schießen, was sich bewegt?
Seit ein paar Wochen ist es nun in einigen Teilen des Landes grundsätzlich verboten sich mit einem Pick-up oder einem Motorrad fortzubewegen – eben weil das die Haupttransportmittel der Rebellen, Banditen und Freiheitskämpfer sind. Mir ist noch völlig schleierhaft wie das Alltagsleben der Malier aussieht: wie geht das ohne Motorrad – das Hauptfortbewegungsmittel der meisten „normalen“ Leute oder Pick-ups, ohne die die meisten Hilfsorganisationen etc. ihre Arbeit gar nicht tun können. Ich bin gespannt, wie sich das Leben in Mali gestaltet…
Und so sitze ich hier im Zug und bereite meine Predigt für Sonntag vor zu Lukas 12,32. Da sagt Jesus zu seinen Jüngern: “Fürchte Dich nicht du kleine Herde, denn es hat Eurem Vater gefallen, Euch das Reich zu geben.“ Na, wenn das mal keine Ansage ist! Ich freue mich darauf zu sehen, was Gott bei allen äußeren Einschränkungen in Mali tut!
Da waren’s plötzlich vier…
SIE: HIV-positiv, nicht verheiratet, betreut im AIDS-Projekt, Muslima. Dann schwanger von irgendeinem Kerl aus einem Dorf, der sich dann höflich zurückhält und damit nichts zu tun haben will.
ER: Christ, Mitarbeiter im AIDS-Projekt, 3 schon große Kinder und Eltern, die auch mitversorgt werden wollen.
Dann kommt der Anruf bei IHM kurz vor der Geburt mit der Frage von IHR, wie denn SEINE Frau mit Vornamen heißen würde. Da wird man hier schon hellhörig, denn mit der Namensgebung wird auch immer eine gewisse gesellschaftliche Verpflichtung verbunden.
Ein Mädchen kommt zur Welt, heißt nun so wie SEINE Frau – ist HIV-negativ. Gewollt hat sie eigentlich keiner, sie läuft halt so mit, mit kranker Mutter und verdünnisiertem Vater. Wächst so nebenbei mit auf. Der Mann, der dann irgendwann wieder in IHR Leben tritt, meint, SIE ja, aber ein Kind von einem anderen könne er nicht gebrauchen. Was tun, das Mädchen ist mittlerweile 7 Jahre alt? Aber da ist ja noch ER, von dessen Frau das Kind seinen Vornamen hat…
SIE: steht bei IHM im Hof, bringt das Mädchen, kann es nicht mehr gebrauchen. Sieht hier die letzte Möglichkeit.
ER: macht keine große Sache daraus, sondern nimmt das Kind auf in SEINE Familie, schult es ein, betrachtet es wie SEIN eigenes, erzieht es zusammen mit SEINER Frau – trotz allem, was schon gelaufen ist, erntet dafür manchen verständnislosen Blick (auch von den Christen), trotz aller sozialen mehr-oder-weniger-Verpflichtungen durch die Namensgebung.
Das war nicht vorgesehen, nicht gewünscht, nicht lange geplant und überlegt, einfach reagiert. Eine Zukunft im Leben dieses Kindes und die eigenen Interessen einfach außer Acht gelassen. Von heute auf morgen. Ja, das gibt es noch!
(P.S.: die Bilder zeigen natürlich nicht die Menschen aus der Geschichte)
I ni sini
… und heute konnten wir die Schule des I ni sini-Projektes (i-ni-sini.de) besuchen. Wir brechen um 7 Uhr auf, denn am Morgen ist der Verkehr in Bamako ziemlich dicht – da braucht es einige Zeit, bis wir im Viertel „Niamana“ ankommen. Und wir wollen den Start nicht verpassen, denn um Punkt 8 versammeln sich die Schüler und der Lehrer um den Fahnenmast, singen die Nationalhymne und hissen die malische Flagge. Na, der Gesang kommt noch etwas zögerlich, aber die Schule hat ja erst vor 4 Wochen begonnen, da ist noch Luft nach oben. Der Direktor, Yacouba, zeigt uns alles und dann dürfen wir zuschauen und Bilder machen während des Unterrichtes. Das Schulgrundstück ist sehr groß und die Toilette aus hygienischen Gründen genau auf der anderen Seite gegenüber der Klassenräume. Das ist für die Erstklässler schon ein ziemlich weiter Weg, wenn die Blase drückt und nach dem ersten Zwischenfall wurden dann kurzerhand in Klassennähe noch ein paar Ziegel in U-Form übereinandergestellt – als Miniklo für Kurzentschlossene.
Die jetzt 13 Kinder haben natürlich wirklich gute Voraussetzungen (im Gegensatz zu einer Klasse mit über 100 Kindern) und so staunen wir, wie gut manche schon erste Buchstaben und Zahlen schreiben können. Na gut, nicht alle, irgendwie scheinen die Jungen da doch etwas langsamer zu sein. Und da die Schulsprache Französisch ist, die Kinder das aber noch nicht sprechen, wird ganz viel wiederholt: é,é,é,é,è,è,è,è, fenêtre, fenêtre, fenêtre. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist das schon… Das sind hier schon ganz andere Herausforderungen, wenn Kinder in die erste Klasse kommen – aber die 13 heute sind voll dabei und die Tatsache, dass hier noch ein paar Weiße mit Kameras rumlaufen, motiviert möglicherweise noch zusätzlich. Als wir gehen wollen bittet uns Yacouba noch mit ihnen zu beten. Das tut er sonst mit den Schülern jeden Morgen, aber wir haben ja heute das Programm etwas durcheinandergebracht…
Vollmond zum Abschied?
Wieder einmal dürfen wir in den wenigen Tagen, die wir hier in S. sind, nicht nur unser Dach, sondern darauf auch noch den Vollmond genießen. Diesmal als krönenden Abschluss.
Wer uns schon die ganzen Jahre auf diese Art begleitet, ist unser „Schwärmen“ entweder schon Leid oder er wartet nur darauf, endlich auch mal hier auf dem Dach unterm Sternenhimmel schlafen zu dürfen.🙂 Mit der Organisation einer solchen Reise werden wir aber wohl noch etwas warten müssen…
Ich, Gerlind, habe übrigens in diesen Nächten deutlich besser geschlafen! Danke für eure Gebete und die vielen netten Nachfragen. Vielleicht steige ich (uns) in Leipzig nachts auch mal auf‘s Dach…
Wieder einmal verlassen wir unser Haus und die Geschwister hier und wissen nicht, ob wir wiederkommen werden.
In den letzten Tagen haben uns verschiedene unserer Mitarbeiter vorsichtig angesprochen, dass sie es z.Zt. für zu gefährlich halten, dass wir herkommen.
So etwas zu sagen fällt den extrem gastfreundlichen Maliern sehr schwer, denn sie befürchten, man könnte verstehen, dass man nicht willkommen sei!
Aber wir wissen, dass dies nicht gemeint ist und in diesem Ansprechen Vertrauen in unsere Beziehung und die Sorge um uns zum Ausdruck kommt. Wir hätten diese Einschätzung auch gerne schon früher gehört, aber wir verstehen auch, dass sie so heikle Themen lieber in der persönlichen Begegnung ansprechen. Tja, nun sind wir da bzw. wenn ihr diese Zeilen lest, waren wir da und sind zurück in der Hauptstadt.
In diesen Tagen beginnt eine militärische Offensive gegen Islamisten und Rebellen in Teilen Malis und Nachbarländern. Die Malier erhoffen sich viel davon…
Wie wirbt die Bundeswehr gerade in D. für einen Einsatz in Mali? „Einsatz sagt mehr als tausend Worte“. Dem Satz an sich können wir zustimmen, aber wir wählen einen ganz anderen Rahmen!
Und? Werden wir im März, wenn die nächste Reise ansteht, wieder nach S. reisen?
Das weiss Gott allein und das ist genug.
Nachahmenswert
Gottesdienst in Ségou. Früher war der Anfang der Gottesdienste in Mali eher so eine Art Gleitzeit. Das ist zumindest in den Städten mittlerweile anders: Punkt 9:00 geht es los. Ein paar Musikstücke von Chor und Gemeinde, eine kurze Begrüßung und das Eingangsgebet. Aber natürlich, wie auch in Deutschland, Zuspätkommer gibt es immer. Und da haben sich die Leute in Ségou etwas einfallen lassen: Die, die nach dem Gebet kommen, müssen ein Lied singen! Und so sagt der Leiter nach ca. einer Stunde Gottesdienst, dass doch die „Schuldigen“ bitte aufstehen mögen um frisch improvisiert etwas vorzusingen. Das Ganze ist keine Strafexpedition, sondern wird mit einem gewissen Schmunzeln gestaltet. Und so passiert es dann auch, dass hier und da im Gottesdienstraum Leute aufstehen und miteinander vorsingen. Ob die beim nächsten Mal pünktlich kommen oder lieber schon mal vorsichtshalber etwas einstudieren?
Muss immer alles gelingen?
Es war ein erster Versuch: das traditionelle Saatgut in Mali ist eigentlich für die schlechter werdenden Regenfälle nicht geeignet. Zu lange brauchen die Pflanzen um zur Reife zu gelangen und wenn längere Zeit kein Regen fällt, gehen sie ein – auch wenn sie danach wieder „begossen“ werden. Dabei kann man mittlerweile in Mali ausgewählten Samen kaufen, der resistenter ist und besseren Ertrag bringt. Das sind keine gentechnisch veränderten, sondern kontrollierte und selektionierte Saaten. Dieses Jahr haben unsere Mitarbeiter das Experiment gestartet Bauern zu überzeugen und anzuleiten, damit die Aussaat zu machen und nicht einfach weiter zu machen wie immer. Das Klima verändert sich, da muss sich auch die Landwirtschaft anpassen. Und das Gute an der Sache: Die Ernte kann über mehrere Jahre dazu benutzt werden um sie in der kommenden Regenzeit auszusäen.
Heute sind wir in verschiedene Dörfer gefahren um zu erfahren, wie dieses Pilotprojekt gelaufen ist. Schon im Vorfeld bereiten uns unsere Mitarbeiter darauf vor, dass die Ergebnisse nicht so sind, wie sie es sich gewünscht hatten. Gerne hätten sie uns große Berge an Hirse und Bohnen gezeigt, aber die Situation war anders: Zuerst dauerte es einige Zeit, bis wir wirklich zusagen konnten, dass das Geld für das Projekt zur Verfügung stand und dadurch musste alles schneller gemacht werden als geplant: der Kauf des Saatgutes, die Schulung der Bauern, die Absprachen mit der Dorfbevölkerung, die Verteilung der Saat. Somit fand die Aussaat dann auch später statt als eigentlich geplant. Das wäre alles kein Problem gewesen, aber dann war die Regenzeit außergewöhnlich schlecht und schon Mitte September kam kein Regen mehr. Viel von dem, was gesät wurde, kam nicht zur Reife. Pleite?
Als wir dann in die Dörfer fahren, bin ich überrascht, wie viel doch geworden ist. Ich sehe Bohnen und verschiedene Arten von Hirse mit reifen Körnern. Ein Bauer hat schon die Ernte geteilt und die Saat für nächstes Jahr zur Seite gelegt. Ich frage die Bauern, ob das denn hilfreich wäre mit dem neuen Saatgut, aber das ist für sie keine Frage: auch wenn an vielen Stellen das Wachstum nicht so war wie gewünscht: „Wenn wir mit unserem traditionellen Saatgut hier gesät hätten, dann wäre die Ernte bei dieser schlechten Regenzeit völlig ausgefallen.“
Und ich frage mich, wie denn unsere Mitarbeiter uns „Geldgeber“ in Europa wahrnehmen. Muss immer alles gelingen? Darf man auch experimentieren und dann das Gute behalten und das Schlechte verwerfen? Natürlich ist das schön, wenn man ein Projekt als vollen Erfolg zeigen kann – aber miteinander lernen und sich Mut zu machen, wenn Dinge nicht direkt perfekt laufen, ist das nicht genauso wichtig? Ich jedenfalls bin nicht enttäuscht und freue mich, dass das unserer Partnerorganisation nicht einfach die Flinte ins Korn schmeißen will. Eine „Daumen-hoch-Daumen-runter-Gesellschaft“ ist sicher nicht geeignet Maliern zu Seite zu stehen, wenn sie die Entwicklung ihres Landes vorwärtsbringen wollen.