eng, laut, erfrischend

Sonntagmorgen in einer Gemeinde etwas außerhalb von Bamako:

Das Begrüßungsteam weist uns unsere Plätze zu: Karsten, der die Predigt halten wird, sitzt mit dem Pastor und den Ältesten vorne -der Gemeinde gegenüber. Manuel kommt nach links auf die Seite der Männer, ich nach rechts auf die Seite der Frauen und Kinder. Einmal mehr tauche ich in ein Meer an Farben ein, die bunten, aufwändig genähten Kleider der Frauen! Mehrere Paare großer dunkler Kinderaugen fixieren mich.

Als der Gottesdienst recht pünktlich beginnt, ist der Gemeindesaal schon recht voll. Das scheint mir ungewöhnlich, denn meistens kommen vor allem die Frauen erst nach und nach an. Ich beobachte fasziniert und amüsiert, wie immer noch Platz geschaffen wird. Das „Platzanweise-Team“ hat gut zu tun.

Kurze Zeit später wird das Platzproblem von vorne thematisiert: Der Pastor appelliert an die Mitglieder aufmerksam auf Gäste zu achten. Letztens seien Besucher gekommen, hätten gesehen, dass kein Platz mehr war und seien wieder gegangen. Das ginge nicht! Zur Not müsse der Chor (der im vorderen Seitenteil seinen festen Platz hat) diesen Bereich freimachen und nur zum Singen reinkommen. Das sei doch kein Problem, oder? – fragt er seine Gemeinde. Nein, kein Problem, wird ihm laut bestätigt.

Das Problem des zu klein gewordenen Raumes sei nicht einfach und schnell zu lösen. Bis sie gemeinsam eine Lösung gefunden hätten, zu der sie auch gemeinsam (durch Spenden für eine bauliche Erweiterung -Anm. der Redaktion 😉) beitragen könnten, müssten sie zusammenrücken und auch immer mal Platz für andere machen.

Wie viele Gemeinden in Deutschland hätten gerne dieses Problem?

Die 90 Minuten bis zur Predigt sind mit viel Gesang gefüllt. Während die Männer hier recht ruhig sitzen und singen, ist auf unserer Seite viel Bewegung. Mehrere Frauen stehen auf, klatschen im Rhythmus und tanzen im Rahmen dessen, was in den engen Reihen möglich ist.

Die Frau vor mir mit dem Baby auf dem Schoß bittet eine andere hinter ihr, den Reißverschluss ihres Kleides zu öffnen, damit sie ihr Kind besser stillen kann. Ich genieße dieses natürliche, unkomplizierte Miteinander.

Nach einigen gemeinsamen Lieder ist der Chor an der Reihe. Die meisten hier haben deutlich kräftigere Singstimmen als wir und regelmäßig frage ich mich, ob das Mikro wirklich nötig ist. Ein interessantes Phänomen ist auch, dass die Lieder von Sängern angestimmt werden. Das stammt aus der Zeit, als die Begleitung nur aus Rhythmusinstrumenten bestand. Für die inzwischen hinzugekommenen Gitarristen und Pianisten ist die Herausforderung oft groß, sich dann nachträglich „einzuklinken“.

Heute fällt mir die Lautstärke wieder stark auf. Liegt es an den vielen kleinen Kindern um mich herum, die mich an meine Enkel in dem Alter erinnern? Unsere Kinder (ihre Eltern) hätten beim Einsetzen der Musik panikartig den Raum mit ihnen verlassen, um ihre zarten Ohren zu schonen! Die Kids hier sind es offensichtlich gewohnt, keines wirkt auf mich irgendwie verstört.

Nach 90 Minuten verlassen dann ca. 40 Kinder den Raum zum Kindergottesdienst. Dadurch entsteht freier Platz und einige rutschen gerne wieder etwas auseinander.

Da Karsten nicht in der üblichen Sprache der Gemeinde, sondern auf Französisch predigt, dauert dies mit der nötigen Übersetzung auch seine Zeit.

Nach dem Gottesdienst spreche ich mit einem Mitglied der Gemeindeleitung über das schnelle Wachstum der Gemeinde in den letzten Jahren. Die meisten sind- wie er und seine Familie- zugezogen, weil sie in diesem Stadtteil ein Grundstück gekauft und darauf gebaut haben. Wie an vielen Orten „verschieben“ sich so die Mitglieder von einer Gemeinde in eine andere.

Danach haben einige Frauen für uns gekocht. Eine große Platte mit tollem Salat und eine Platte mit Hühnchen und Pommes. Wir sitzen alle um eine Bank zwischen uns und essen mit der Hand von den Platten. Da wir nicht alle gleichzeitig an alles drankommen, schlägt Djob, der Pastor, vor, dass wir mit der Salatplatte beginnen. Das wird auch angenommen, aber nach einigen Minuten wird zwar spaßig, aber wohl doch mit einem ernsten Hintergrund, die Befürchtung geäußert, dass wir uns an dem „Grünfutter“ sattessen und dann nicht mehr zu dem „eigentlichen“ Essen kommen. Also werden die Platten getauscht und es ist offensichtlich, was unsere malischen Brüder lieber essen…🙂 Dass wir uns in Deutschland größtenteils fleischlos ernähren, thematisieren wir hier eher nicht.

Der Pastor ist gleichzeitig ein Missionar aus Kamerun, der von einer dänischen Missionsgesellschaft nach Mali gesandt wurde. Im nächsten Jahr wird er mit seiner Familie in den Senegal weiterziehen. Warum? Zum einen reagiert die Missionsleitung auf die sich weiter verschlechternde Sicherheitslage. Man will vermeiden, dass die Mitarbeiter „Hals über Kopf“ eine Arbeit verlassen müssen. Und zum Zweiten liegt Job die Gründung und Unterstützung kleiner Gemeinden am Herzen. Hier ist viel gewachsen, reife Christen gehören zur Gemeinde.

Wir freuen uns über seine engagierte Art und klare Überzeugung. Und sein lautes, herzliches Lachen steckt an und tut gut!

 

Pastor, Gärtner, Fischzüchter

David kennen wir schon viele Jahre. Gemeinsam haben wir in den 90ern unsere ersten Jahre in Sévaré im Nordosten des Landes verbracht – er als Pastor in seiner ersten Stelle nach der theologischen Ausbildung, wir als frisch eingeflogene Missionare. Nun ist er schon seit Jahren Pastor einer Kirche in Bamako. Immer wieder sind wir beeindruckt davon, wie offen er für Neues ist. Wir genießen den Austausch mit ihm, weil man auch mal miteinander Ideen entwickeln, ins „Unreine“ sprechen kann. Aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist David kreativ und probiert gerne Neues. Ein Pastorengehalt in Mali – davon kann in der Regel keiner seine Familie ernähren, besonders, wenn man noch erwachsene Kinder „durchfüttern“ muss. Also lässt sich jeder etwas einfallen, aber oft genug funktioniert das nicht so, wie man sich das wünscht. Heute werden wir Zeuge von dem, wie David sein Gehalt aufbessert:

Da ist zunächst einmal sein Salatprojekt: Neben Wohn- und Gemeindegrundstück hat er ein Stück Land genutzt und pflanzt dort Salatköpfe. Gedüngt wird nur mit natürlichem Material und das Wasser zum Gießen kommt nicht aus dem verdreckten Fluss oder sonstigen zweifelhaften Quellen, sondern aus seinem sauberen Brunnen. Auch verwendet er keine Insektizide. Da die Leute hier mehr und mehr darauf achten gesunde Lebensmittel zu sich zu nehmen, kommt mittlerweile das halbe Stadtviertel zu ihm, um Salat zu kaufen. Das bringt Geld in die Haushaltskasse und außerdem nimmt es Berührungsängste, denn so kommen ständig Leute auf das Grundstück der christlichen Kirche und machen ein Schwätzchen mit dem Pastor oder seiner Frau.

Dieses Jahr aber hat David noch etwas anderes ausprobiert: Fischzucht. Fisch ist sehr begehrt in Mali und der Niger wird immer fischärmer durch zu geringe Regenfälle und Überfischung. David hat nun in seinem Hof ein Becken aufgestellt, in das er kleine Fische setzt und sie aufzieht. Alle paar Tage wird das Wasser gewechselt. Das nimmt er, um den Salat zu gießen und hat dadurch ohne zusätzlichen Aufwand wertvollen Dünger. Nach der ersten Aufzuchtperiode tummelten sich 413 kg Fisch in dem Becken. Das meiste davon wurde verkauft, ein Teil selbst verzehrt und manches vor dem Verkauf geräuchert.

Nur ein einziger Durchgang reichte, um vom Gewinn die gesamten Investitionskosten, die neuen Setzlinge und Futter für die zweite Aufzucht zu finanzieren. Wenn das mal kein florierendes Geschäft ist…

Aber David denkt nicht nur an seine eigenen Einnahmen. Ihm ist es ein Anliegen, dass die jungen Leute in seiner Kirche auf eigenen Füßen stehen können: „Mali bildet viel zu viele junge Leute für Berufe aus, die keiner gebrauchen kann. Wir haben z.B. hunderte von studierten Soziologen, die keine Arbeit finden und frustriert auf der Straße stehen. Wer aber ein vernünftiges Handwerk gelernt hat, der wird in Mali immer eine ausreichend bezahlte Beschäftigung finden!“, sagt er und lässt sich gerne über die Schulter schauen von solchen, die bei ihm abgucken wollen.

 

 

Düstere Aussichten?

Verantwortliche Mitarbeiter der evangelischen Allianz in Mali sitzen zusammen und überlegen gemeinsam, was auf uns als Kirche zukommen kann. Was da zusammen getragen wird, ist nicht gerade ermutigend: Zum ersten Mal verschwand mitten in Bamako ein europäischer katholischer Priester. Auch wenn sich bisher niemand dazu bekannt hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er entführt wurde. Aber wer steckt dahinter? Kriminelle? Leute, die noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen hatten? Islamisten? Lange Zeit haben die islamistischen Bewegungen in West-Afrika die Kirchen einigermaßen in Ruhe gelassen. Das scheint sich aber immer mehr zu ändern. Ein mehrheitlich christliches Dorf wurde vor wenigen Wochen mit Gewalt dazu aufgefordert, seinem Glauben zu entsagen und den Islam anzunehmen. In einem anderen Dorf wurden, so hört man, alle Männer, egal welcher Religion sie angehörten, getötet. Manchmal hat man Augenzeugen, die einem aus erster Hand Bericht erstatten können, manchmal sind es nur Gerüchte, die schwer nachzuprüfen sind.

Auch der Ton mancher bisher eher moderater Imame wird schärfer und sie greifen die Christen in ihren Predigten offen an. Der neue Verfassungsentwurf, der gerade auf vielen Ebenen diskutiert wird, sieht weiterhin vor, dass Mali ein laizistischer Staat (Trennung von Staat und Religion) bleibt, aber viele Kräfte kritisieren das und versuchen durchzusetzen, dass der Islam Staatsreligion wird.

Christen stellen sich darauf ein, dass es schwerer wird ihren Glauben hier in Mali frei zu leben. Aus dem Norden und dem Zentrum des Landes flüchten immer mehr Menschen in den Süden und in die großen Städte, darunter viele Christen, die sich bedroht sehen. Die Kirchen in Bamako bereiten sich darauf vor, wie sie die Flüchtlinge in Zukunft aufnehmen können. Auch im Nachbarland Burkina-Faso sieht es nicht besser aus: man zeigt uns eine Liste von über 170 namentlich genannten Pastoren, die ihre Dörfer verlassen mussten und in umliegende Städte geflüchtet sind.

Das sind noch schleichende Entwicklungen, aber es ist unübersehbar, dass das tolerante Mali, in dem wir früher gelebt haben, sich stark verändert. Wo geht das hin? Jesus sagt im Lukasevangelium: „Wenn diese Dinge zu geschehen beginnen, richtet euch auf und fasst Mut, denn dann ist eure Erlösung nahe.“ Diesen Mut, diese Gewissheit wünschen wir unseren malischen Mitchristen!

 

 

Abendlicher Freiluftgottesdienst

Manuel und Enoc nehmen mich mit zu einer abendlichen Gebetsversammlung. Keine Ahnung, was mich da erwartet. Das Ganze findet statt im Hof einer Frau, die als Unternehmerin tätig ist: ganz klein hat sie angefangen mit dem Verkauf von Kleie als Tierfutter mit einem winzigen Lädchen. Ihr Pastor hat ihr immer mal ein bisschen Geld zugesteckt, damit sie überhaupt erst mal mit diesem kleinen Gewerbe anfangen kann. Sie war fleißig und auch treu im Umgang mit dem Geld. Stück für Stück hat sie sich hochgearbeitet und hat mittlerweile auch für deutsche Verhältnisse viel Geld, mit dem sie jetzt wiederum großzügig die Arbeit der Kirche unterstützt.

Nun sitzen wir mit etwa 40 meist Kindern und Jugendlichen in einem bescheidenen Hof. Es wird gesungen und getanzt. Nach den Liedern erzählen manche über das, was sie mit Gott erlebt haben oder wofür sie gerne Gebetsunterstützung hätten: ein junger Mann berichtet, wie er nach langem Warten jetzt eine gute Arbeit bekommen hat, es wird für die Kranken gebetet, dafür, dass die ständigen Streiks der Lehrer oder Schüler aufhören und endlich wieder kontinuierlicher Unterricht möglich ist und natürlich für die Sicherheitslage in Mali… Hier und da läuft mal jemand eingewickelt in ein großes Stück Stoff vorbei, weil er sich gerade in der Open-Air-Dusche gewaschen hat. Es findet halt das ganze Leben im Hof statt. Die ersten Kinder schlafen ein und werden entweder einfach auf eine Matte gelegt oder ins Haus gebracht. Dann darf ich auch ein paar Worte sagen. Ich teile mit ihnen meine Freude, dass wir trotz aller Unterschiede – den sichtbaren wie den nicht ins Auge fallenden – eine Familie sind und obwohl wir uns nicht kennen, doch denselben himmlischen Vater haben. Pastor Enoc schließt dann noch ein paar Worte zu einem Bibeltext an, der die jungen Leute darauf vorbereitet, dass sie aufgrund ihres christlichen Glaubens verachtet, verfolgt und getötet werden können. Das scheint so gar nicht zu dem fröhlichen Abend zu passen. Aber es ist in Mali in vielen Teilen des Landes Realität und es macht keinen Sinn, davor die Augen zu schließen. Die jungen Leute hören aufmerksam zu. Wie wünsche ich mir, dass Gott sie vor dem bewahrt, was anderswo schon zum täglichen Leben gehört.

Am Schluss gibt es noch ein Geschenk für alle: die Hofbesitzerin hat T-Shirts mit dem Aufdruck: „Joyeux Noël“ (Frohe Weihnacht) gekauft und jeder (auch ich!) bekommt eines. Mit lautem Jubeln und Klatschen wird diese Überraschung gefeiert und gleich noch ein spontanes Lied angestimmt.

Dann fahren wir wieder zurück. Eine kurze Begegnung, nichts Besonders, aber sie hat mein Herz erreicht.

 

 

 

Nebenbeigespräche

Treffen mit dem Kirchenleitungskomitee: nicht mehr stickige Hauptstadt Bamako – stattdessen frische Luft am Rande de Nigerflusses in Segou. Nicht mehr schlafen bei Straßenlärm und Staub im Haus – stattdessen im Zelt auf dem Hof des Gemeindezentrums. Der Wechsel tut gut. Auf der Tagesordnung stehen viele wichtige und zum Teil auch anstrengende Gespräche aber auch wegweisende Überlegungen zur Zukunft der malischen Kirche. Zwischendurch und am Abend sitzen wir zusammen und unterhalten uns über ganz andere, manchmal viel spannendere Themen. Ein paar kleine Beispiele gefällig?

Das war für uns neu: bei einigen Ethnien geht traditionell der Brautvater nicht zur Hochzeit seiner Tochter (hat er jetzt ausgedient??). Er bleibt einfach zuhause – immerhin, man bringt ihm seine Portion des Hochzeitsessens, aber sonst hat er keine Funktion mehr bei Trauung und Fest. Die Mutter ist da, die

Wo ist der Brautvater?

Geschwister, die ganze Großfamilie – aber Papa sitzt zu Hause und tut nichts. Zwar halten sich da mittlerweile nicht mehr alle dran und das sei auch o.k., sagt uns M., der uns diese Geschichte erzählt, aber bei vielen wird das noch so gehandhabt. Er allerdings habe seine Tochter beim Einzug in die Kirche bis nach vorne gebracht und wurde dafür auch nicht schief angesehen.

E. erzählt uns von einer Karte, die ältere Leute vorzeigen können, damit sie beim Schlagestehen z.B. bei Behördengängen nach vorne gelassen werden. Das sorgt nicht bei allen Beteiligten immer für Freude und Verständnis. Bei einer Gelegenheit regt sich ein junger Mann darüber auf, der meint, er hätte es doch mindestens genauso eilig. E., der auch mit in der Reihe steht, ist da ganz praktisch und erläutert dem jungen Meckerer, dass es ja sein könne, der „Alte“ müsse mal auf Toilette, dann könne er das nicht halten und dann… Wie peinlich das doch wäre! Ein überzeugendes Argument, das sieht auch der junge Mann ein und wie zur Bestätigung passierte genau das und die Dunkelfärbung der Hose eines älteren Mannes unterstreicht die Erläuterungen von E., Sozialkunde mal ganz praktisch!

R., eine gestandene und sehr gebildete Frau Ende 50 erläutert uns und dem dabei sitzenden Pastor, wie schwierig es für Frauen in der Menopause sei, was sie alles für Beschwerden hätten und dass man manches einfach nur ertragen müsse. Verständnisvoll nickt der Pastor, lächelt und fügt hinzu, dass man dann auch keine Freude mehr an dem hätte „wovon man den Namen jetzt nicht sagt…“ Es ist schon manchmal sehr verblüffend bodenständig, was hier so an Nebenbeigesprächen läuft…

Gespräche im vorweihnachtlichen Gemeindehaus in Segou

T., ein Pastor, der mit uns bisher nur selten ernsthafte Gespräche geführt hat, sondern lieber rumblödelt, spricht sehr leise und heiser – ganz anders als wir es sonst von ihm gewohnt sind. Wir fragen nach und er erzählt sehr offen, dass im vergangenen Jahr einige Familienmitglieder, darunter auch sein jüngerer Bruder, gestorben sind. Erst habe er den Stimmverlust, der nun schon einige Monate andauert und seine Arbeit als Pastor sehr erschwert, für eine organische Krankheit gehalten. Irgendwann aber wurde ihm klar, dass das eine Reaktion auf die schwere Belastung durch die Todesfälle in seiner Familie ist. Wir sind überrascht davon, wie offen er uns gegenüber eine mögliche psychosomatische Ursache thematisiert.

Oft sind es gerade diese kleinen Gespräche hier und da, die viel wichtiger sind als die offiziellen Sitzungen, um sich zu verstehen, Zwischentöne wahrzunehmen und sich weiter kennen zu lernen.

P.S.: unser Gepäck liegt oder fliegt immer noch an unbekannten Orten. Unsere Garderobe ist etwas reduziert, aber zum Glück trocknet ja hier alles schnell und wir hatten Zahnbürsten im Handgepäck 🙂

 

Kommunikation zum Verzweifeln

Auch das gehört zu unseren Aufgaben: die Scherben aufsammeln von dem, was in den letzten Monaten ohne direkte Begegnung kaputt gegangen ist. Wie schwer ist schon in Deutschland oft die Kommunikation. Wie leicht interpretieren wir Dinge, die wir möglicherweise falsch verstanden haben. Um wie viel komplizierter ist das, wenn zwei so verschiedene Kulturen miteinander im Gespräch sind und dann noch Monate dazwischen liegen, wo wir uns nicht sehen, wo wir nur schriftlich oder fernmündlich kommunizieren können.

Und so diente unser erstes Treffen heute in weiten Teilen dazu, Missverständnisse auf beiden Seiten auszuräumen, zu erklären, was sich wer wobei gedacht hat und wo wir aus unserer Sicht heraus die falschen Schlüsse gezogen haben. Manchmal bin ich dann kurz vor dem Verzweifeln, habe den Eindruck, dass diese Fehlschlüsse vorprogrammiert sind und unser Umgehen damit so hoffnungslos unterschiedlich. Und das, obwohl wir schon so viele Jahre miteinander unterwegs sind, uns eigentlich besser kennen und leichter verstehen sollten.

Und doch: Letztlich gelingt es uns dann trotzdem immer wieder uns gegenseitig zuzuhören, manche Missverständnisse auszuräumen, uns gegenseitig in unserer Andersartigkeit stehen zu lassen und uns als Brüder und Schwestern des einen Gottes zu begegnen. Da ist dann doch das über Jahre gewachsene Vertrauen, durch das es uns gelingt, die vielen kulturellen Unterschiede zwar nicht zu überwinden, aber zumindest mit ihnen leben zu können – wissend, dass dies auch in Zukunft nicht zu vermeiden ist.

Gepäck is‘ weg

Ankunft in Bamako um 1 Uhr nachts. 3 Stunden Flug nach Istanbul und dann noch einmal 6 Stunden bis nach Mali. Lesen, essen, Film schauen, vergeblich versuchen zu schlafen – irgendwie geht die Zeit dann rum. Und dann die üblichen Formalitäten: Nachweisen, dass man auch Corona-geimpft ist, Passkontrolle – mittlerweile sind so viele Visa von Mali in unserem Pass, dass man uns in Istanbul schon gefragt hat, warum wir uns nicht einen malischen Pass besorgen (wenn das so einfach wäre…) und dann das übliche Warten aufs Gepäck. Ein paar Koffer drehen Runde um Runde auf dem Gepäckband aber es kommen keinen neuen mehr dazu. Kennen wir schon, also warten wir brav. Skeptisch werden wir, als immer mehr Passagiere das Band verlassen und zum Reklamationsschalter gehen. Dann bleibt das Band irgendwann stehen. Tatsächlich: heute ist wohl (fast) gar kein Gepäck mitgenommen worden – alles wartet (hoffentlich) noch in Istanbul.

Also stellen wir uns auch an am Schalter – aber wo ist hier das Ende der Schlange? Eine Traube von nahezu allen Passagieren versammelt sich um die 3-4 Mitarbeiter, die hinter eine Glasscheibe versuchen, Herr oder Frau der Lage zu werden. Ich stelle mich irgendwo hinten rein und hoffe, dass ich im Laufe der Zeit weiter nach vorne rücke – wird wohl eine lange Nacht werden. Zwischendurch plaudern wir mit den ebenfalls wartenden Maliern und dieses Kulturstudium ist wirklich interessant: Die Malier drücken und schieben, plaudern, rufen – klar, jeder wäre jetzt gerne mit seinem Koffer zu Hause, aber jetzt ist es halt so…, fühlt sich aber auch nicht viel anders an als am Eingang zum Stadion vor einem Fußballspiel. Und dann sind außer mir noch 3 Nicht-Schwarzafrikaner in der Traube und ihr Verhalten ist so völlig anders: einer, vermutlich ein Nordafrikaner, ist zwar insgesamt recht guter Stimmung, ruft aber ständig lautstark den Mitarbeitern zu, sie sollten doch mal endlich schneller arbeiten. Ein anderes „Bleichgesicht“ ist sichtlich genervt und gummelt ständig vor sich hin, mal lauter mal leiser, macht er seiner Unzufriedenheit Luft und drückt sich vorwärts zum Schalter. Eine Dame – vermutlich aus Asien steht schweigend in der Schlange, drängelt sich dann aber, als sich eine Gelegenheit bietet, kommentarlos vor. Da wiederum verstehen die Malier keinen Spaß und sofort wird geäußert, dass sie nicht denken solle, nur weil sie eine Weiße sei, könne sie sich über die Reihenfolge hinwegsetzen. Die Dame sagt dazu kein Wort, wartet nur stoisch auf ihre Papiere, bittet nicht um Entschuldigung. Das ärgert um so mehr, aber da sie eine Frau ist, äußert man zwar seinen Missmut, aber lässt die Sache nicht eskalieren.

Und wie habe ich mich verhalten? Na, das schreib ich natürlich nicht. War ich doch in erster Linie damit beschäftigt zu beobachten, wie verschieden man mit einer solchen Situation umgehen kann. Und dabei bewundere ich immer wieder diese malische Mischung aus Chaos und Gelassenheit

Wieder mal den deutschen Herbst verlassen

Erneut Flughafen – diesmal Berlin, erneut eine Reise nach Mali, erneut ein paar Wochen der Planung und ein paar Tage des Packens, Organisierens und Praxisarbeiten Abschließens hinter uns. Erneut Flüge hin und her umbuchen, weil Verbindungen mal wieder gestrichen wurden, erneut eine Fahrt mit dem Zug durch den ersten Schnee in der Erwartung auf Sonne und Schweiß. So richtig Vorfreude kommt da nicht auf, zu viel ist zu tun, zu umfangreich das, woran wir alles denken müssen…

Aber jetzt sind die Koffer aufgegeben, die Sicherheitskontrollen hinter uns und wir haben ein bisschen Zeit zum Ausruhen. Wenn die Stunde bis zum Anschlussflug in Istanbul nicht zu knapp ist, wird uns Manuel mit einem Freund heute um 2:00 Uhr nachts in Bamako abholen.

Und dann liegen knapp 3 Wochen vor uns mit Besuchen, Gesprächen, Projektbesichtigungen etc. Eine wichtige Frage, die diesmal intensiver auf dem Programm steht, ist die alternde Führungsriege sowohl in unserer malischer Partnerkirche als auch in der Hilfsorganisation. Wie kann es gelingen, dass die „alten Hasen“ sich langsam zurückziehen und jüngeren Mitarbeitern Verantwortung abgeben? Welche Schritte sind nötig, damit die kommenden Jahrzehnte mit neuem Schwung gestaltet werden können? Da die Malier schon 7-10 Jahre eher in Rente gehen als wir in Deutschland, stellen sich diese Fragen eben auch schon deutlich eher.

Aber auch ganz andere Dinge stehen an: nach Jahren der Vorbereitung ging dieses Jahr endlich die Schule des „Kinder-helfen-Kindern“-Projekt in San an den Start und 16 Erstklässler haben sich zum Schulbeginn eingeschrieben. Da freuen wir uns auf einen Besuch!

An vielem anderen lassen wir Euch gerne Stück für Stück teilhaben und wir freuen uns, wenn Ihr uns wieder begleitet – im Lesen, in Gedanken, in Gebeten.

Lieben Gruß – noch aus Berlin

Gerlind und Karsten

Ich erzähle auch nicht alles…

Nun bin ich wieder zurück in Leipzig an meinem Schreibtisch. Drei Wochen Mali liegen hinter mir. Gerade zischen Blitze und dröhnen Donner über meinem Kopf – das hätte ich mir in Mali gewünscht, wird aber wohl mindestens noch 6 Wochen dauern, bis der erste richtige Regen fällt. Bis dahin lass ich die Malier allein mit der Hitze, aber, wie ich am letzten Tag im Gespräch mit Etienne schon festgestellt habe, „geteiltes Leid ist halbes Leid“, stimmt leider bei den Temperaturen nicht. Also würde es ihnen auch nichts nützen, wenn ich mitschwitzen würde…

Ich habe Euch manches erzählt aus Mali: spannendes, witziges, nerviges – Dinge, die Mut machen wie solche, die einen eher frustriert sein lassen. Aber alles habe ich Euch natürlich nicht erzählt. Manches ist einfach nicht für öffentliche Ohren bestimmt und anderes lässt sich kaum vermitteln, wenn man nicht selbst in der Kultur gelebt hat. Besonders habe ich kaum etwas über die politischen Entwicklungen berichtet, obwohl das sehr häufig Thema war. Und das hat vor allem folgenden Grund:

Die Meinungen in Mali über das, was sich dort politisch ereignet, driften so auseinander, dass es nicht möglich ist, ein irgendwie einheitliches Bild zu bekommen. Gerüchte machen die Runde, Interpretationen werden zu vermeintlichen Tatsachen. Manche sind fast begeistert, andere ziehen den Kopf ein. Und bei dem, was vor Ort passiert, lerne ich mehr und mehr (und das nicht nur in Mali!), dass es keine „unabhängige Berichterstattung“ gibt, wie wir uns das so oft wünschen. Wir hören von erfolgreichen Schlägen gegen die Jihadisten und andere sprechen bei demselben Ereignis von Massakern gegen die Bevölkerung. Was stimmt? Keiner war dabei und keiner, der darüber berichtet, tut das, ohne irgendeine Intention. Weder Malier noch Ausländer haben eine neutrale Sicht. Und keiner, der nach Mali kommt, um zu helfen (zumindest auf politisch, militärischer Ebene), tut das aus Nächstenliebe. Egal ob Franzosen (die abziehen wollten und dann vielleicht lieber doch nicht), Chinesen (die in zumindest einem Viertel Bamakos zahlreicher sind als die Malier), Russen (von denen mittlerweile keiner mehr bezweifelt, dass sie im Land sind) und wer sonst noch immer: alle haben wirtschaftliche oder geo-politische Interessen, die wenig damit zu tun haben, was die „normale“ Bevölkerung Malis braucht. Wer sind die Guten und wer die Bösen? Nein, darüber schreibe ich nichts, denn, egal was ich alles gehört, gelesen und gesehen habe, es ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit und manchmal auch das Gegenteil davon.

Und auch den Maliern habe ich einiges über Deutschland und Europa erzählt: Wie sehr uns der Krieg zwischen Russland und der Ukraine betroffen macht und wie nah wir diesem Konflikt auch geografisch sind, wie Menschen in Deutschland ihr Heizöl nicht mehr bezahlen können, weil es 3 x soviel kostet wie noch vor 2 Jahren, wie Deutsche mit ihren Privatautos an die Grenze zur Ukraine fahren, um Lebensmittel und Medikamente zu bringen und vor dem Krieg geflüchtete Menschen mit zurück zu nehmen , wie Corona so verbreitet war, wie nie zuvor und doch keiner mehr „Lust“ hat, sich darüber aufzuregen.

Aber auch ihnen erzähle ich nicht alles. Dass zum Beispiel schon wieder das Clopapier in vielen Läden ausgegangen ist, weil panische Krisendeutsche es hamstern, oder dass ich aus Deutschland Schokoladenostereier für Manuel mitgebracht habe, damit der ein bisschen deutsche Ostern feiern kann (nein, das war NICHT seine Idee!).

Manches kann man erzählen, anderes behält man besser für sich und bespricht es mit Gott. Aber auch Er gibt mir keine objektive Berichterstattung. Wie sollte auch ein die Menschen liebender Gott objektiv sein? Oder ist vielleicht gerade das wahre Objektivität?

Beersheba 3

Zweimal haben wir schon berichtet von diesem Projekt (19.11.19 und 19.03.20), das seit Jahren im Sénégal junge Leute in nachhaltiger Landwirtschaft ausbildet und sie gleichzeitig trainiert ihr Leben im Vertrauen auf Gott zu gestalten. Auch haben wir berichtet, dass hier seit ein paar Jahren daran gearbeitet wird, ebenfalls auf malischem Boden ein ähnliches Projekt aufzubauen. Und es geht weiter: Der erste Schritt ist, ein passendes Grundstück zu finden. Das geht so, dass man sich mit ein paar Dörfern verständigt, die dem Projekt von ihrem Umland einen Teil überlassen. Dazu sind lange Verhandlungen nötig, denn Grund und Boden sind ein zentrales Gut, das nicht mal eben so den Besitzer wechselt, sondern im ländlichen Bereich von einer Generation an die andere weiter gegeben wird. Daher heißt es erst einmal, die Menschen aus den Dörfern überzeugen, dass ihnen ein solches Projekt auf verschiedene Weise Nutzen bringt: junge Leute finden Arbeit, Bäume verändern das Mikroklima, eine Tiefbohrung bringt gutes Trinkwasser, viel verschiedenes Gemüse, Obst, Fleisch kann sozusagen nebenan gekauft werden und man braucht dafür nicht mehr weit zu fahren und auch von den Einkünften des Projektes bekommt das Dorf einen Anteil. Beide Seiten profitieren und wenn man übereinkommt, dann wird so eine Art Pachtvertrag geschlossen – das Grundstück wird nicht verkauft, sondern unter definierten Bedingungen für eine gewisse Zeit (in unserem Fall 45 Jahre) dem Projekt zur Verfügung gestellt – und es geht hier nicht um einen „Handtuchgarten“ hinterm Haus, sondern um über 50 Hektar.

Bei den Gesprächen mit dem Dorf Bougoula, ca. 1,5 Autostunden von Bamako entfernt, wurde deutlich, dass ein wirkliches Verstehen und Übereinkommen nicht von heute auf morgen machbar ist und so entschloss man sich, mit einer Delegation aus dem Dorf in den Sénégal zu fliegen, damit sie dort sehen können, wie ein solches Projekt funktioniert und auch, wie die Nachbardörfer davon profitieren.

Schließlich kam man überein und bei unserem letzten Besuch hatten wir die Möglichkeit, das Grundstück zu besichtigen und die Leute aus dem Dorf ein bisschen kennen zu lernen. Zuerst wollten sie mit uns das komplette Areal abschreiten, aber bei – wie gesagt – über 50 Hektar haben wir dann doch höflich verzichtet und uns mit einem Blick auf zwei Grenzsteine zufrieden gegeben.

Mittlerweile ist das ganze Grundstück umzäunt und eine Tiefbohrung mit Solarpumpe installiert. Eigentlich könnte es jetzt richtig losgehen, aber so einfach ist es dann doch nicht: trotz schriftlicher Vereinbarungen kommt es immer wieder zu Missverständnissen und Ansprüchen aus dem Dorf, die wir gestern im Kreis der Vereinsmitglieder lange diskutiert haben: ein Wächter wurde gebraucht und schwupp stand ein junger Mann aus dem Dorf auf der Matte und sie gingen davon aus, dass es ihr gutes Recht sei, ohne Rücksprache jemanden für diesen Job zu bestimmen. Da sie dann auch gleich das Gehalt festlegten, was so ca. 300% von einem normalen Wächtergehalt betrug, wurden die Motive schnell klar. Wie aber damit umgehen? Wie kann man deutlich machen, dass man sich nicht über den Tisch ziehen lässt aber gleichzeitig ein Vertrauensverhältnis aufbauen? Heftig wurden gestern die verschiedenen Meinungen diskutiert und in der nächsten Woche fährt eine Delegation ins Dorf, um dort zu verhandeln. Die Kuh ist noch nicht vom Eis, würde man in Deutschland sagen, was aber hier bei 40°C wirklich nicht viel Sinn macht.

Beerscheba – der Grundgedanke ist wirklich klasse und im Sénégal kann man sehen, dass es funktioniert. Wir beten dafür, dass die vielen Stolpersteine in Mali Stück für Stück aus dem Weg geräumt werden können, damit auch hier junge Leute eine gesunde wirtschaftliche wie geistliche Basis für ihr Leben vermittelt bekommen können!

Und wer Lust hat, dieses Projekt zu unterstützen, der kann das tun, indem er Ehrenmitglied im Verein wird. Mit 91,50 Euro jährlich seid Ihr dabei und ich halte Euch auf dem Laufenden über die weiteren Entwicklungen. Wer macht mit? Einfach eine kurze Mail schreiben…