Hofleben

Ich wage mich raus aus Bamako und verbringe das Wochenende in San, ungefähr 400 km nordöstlich der Hauptstadt. Ich sitze bei Pastor Ezéchiel im Hof. Hier leben außer ihm und seiner Frau noch einige Kinder und Enkel und dazu noch andere Verwandte, die man vom Dorf zu ihm geschickt hat, damit sie in San zur Schule gehen können. Einige Kids spielen Fußball, ein paar Schweine laufen fröhlich grunzend dazwischen, Hühner in Hülle und Fülle – auch einfach so mittendrin. Ein paar Mädels fegen die Kirche, einen roher Zementbau, damit sie morgen für den Gottesdienst sauber ist. Ein übermütiges Schaf jagt einen Hahn, der das offensichtlich nicht gewohnt ist. Die Männer sitzen auf mit Nylon bespannten Stühlen und schwatzen munter. Ein paar Frauen kochen in aller Ruhe auf dem offenen Feuer. Mit einem aufgesägten Speiseölkanister wird Wasser aus dem Brunnen geholt und auf den sandigen Boden geschüttet, damit ein wenig Kühle aufsteigt.

Als es dunkel wird, kommt die junge Gemeinde zur Chorprobe für den Gottesdienst – wenigstens heißt das offiziell so, aber es kommen fast alle Jugendliche. Ein paar Lieder werden irgendwie geübt, aber vor allem wird getanzt, was das Zeug hält – da geht richtig die Post ab: Tanz zur Kirchenmusik im Mondschein. Es ist eine so angenehme, fröhliche und entspannte Atmosphäre…

… und nicht einmal hundert Kilometer weg von hier passieren fast wöchentlich Anschläge, sterben Menschen, trauen sich viele Leute nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus.

Der Kontrast könnte nicht größer sein – so friedlich hier und so gewalttätig um die Ecke. Was passiert hier nur in Mali?

 

Generationskonflikt

Doch noch ein Schlaglicht aus der Sitzung des Leitungskomitees: Alle 5 Jahre werden die verschiedenen Kirchengremien neu gewählt. Angefangen bei der Ortsgemeinde geht es weiter auf regionaler Ebene und die Regionalvertreter wählen dann das nationale Komitee – Jugend, Frauen, Kindermitarbeiter, Kirchenleitung – alles wird neu besetzt.

Als wir zusammen sitzen und jeder aus seinem Arbeitsbereich berichtet, wird klar, dass die Jugend einer Region die Wahl ihrer Vertreter online durchgeführt hat. Seit Corona hat sich auch in Mali viel verändert und gerade die jungen Leute sind mit Onlinetreffen schnell vertraut gewesen. Aber die „Alten“: Skandal! Wie kann man eine Leitungswahl online durchführen? Das gab es noch nie und das stünde auch nirgends geschrieben. Also: das geht auf keinen Fall durch! Die Wahl müsse auf jeden Fall wiederholt werden! Da sind sich alle schnell einig. Dann aber wird klar, dass die Vertreter der Regionen ja schon das nationale Jugendkomitee gewählt haben und wenn die regionale Wahl annulliert wird, dann muss ja auch auf nationaler Ebene neu gewählt werden, weil die Delegierten ja gar nicht berechtigt waren zu wählen.

Ich weiß nicht, wie es jetzt weiter geht. Wird echt neu gewählt? Dann riskiert man, dass die schon Gewählten aus Protest das Handtuch werfen und nicht erneut zur Wahl antreten. Und für die jungen Leute ist der Umgang mit Zoom, Signal oder WhatsApp so normal geworden, dass es für sie kaum nachvollziehbar ist, wo denn das Problem liegt. Die ältere Generation aber misstraut diesen sozialen Medien – zumal sie die Technik auch oft nicht beherrschen – da wird es noch viel Gesprächsstoff geben!

 

 

Karité

Ich könnte Euch berichten von der gestrigen 8-stündigen Marathonsitzung des nationalen Kirchenleitungskomitees bei 40°C und dröhnendem Generator – aber da das wenig spannend ist, erzähle ich Euch lieber von unserem Dorfaufenthalt und speziell davon, wie man Karitébutter gewinnt.

Karitébutter? Interessanterweise bevorzugen die anglophilen Deutschen eher

Karitébaum

die Bezeichnung Sheabutter – das ist ein Produkt des Karitébaumes, der in einigen Ländern West-Afrikas wächst und dessen Öl häufig in Kosmetikprodukten zu finden ist. Aber wie kommt es da hinein? Das ist ein interessanter Prozess, mit dem vielen Frauen mit intensiver Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Aber eins nach dem anderen:

Kariténüsse

Da ist also zunächst die Kariténuss, die vom Baum geerntet wird und dann in inem Loch in der Erde gesammelt wird. Traditionell kommt sie dann auf einen Lehmofen, wo sie – wie soll man sagen? – geröstet, gebraten, geräuchert wird (in der moderneren Verarbeitung werden sie 20 Minuten in kochendes Wasser gelegt und dann wieder getrocknet). Alsdann muss man sie von ihrer Schale befreien und in einem Holzmörser stampfen (auch dazu gibt es heute Maschinen – aber vielfach wird es noch von Hand gemacht). Der nächste Schritt: der gestampften Nüssepampe wird Wasser zugeführt und das Ganze wie beim Bäcker der Teig vermengt und lange geschlagen. Dadurch trennen sich die ölhaltigen Bestandteile ab, werden abgeschöpft und dann erneut in einem großen Aluminiumtopf erhitzt. Erst jetzt ist der Prozess beendet und das Öl kann abgefüllt und verkauft werde. Ziemlich viel Arbeit für das Endprodukt, das hier auch gerne zum Kochen genutzt wird.

Nüssepampe
Nüssepampe schlagen
Abschöpfen

 

 

 

 

 

nochmal kochen

Im dörflichen Lager der Produktionsstätte, die wir besucht haben, stehen lauter blaue Fässer, die mit mehreren 100 Litern Karitébutter gefüllt sind. Sie exportieren in den Senegal und nach Europa. In Deutschland kostet das Kilo ca. 20 € – hier auf dem Dorf bezahlen wir 1,90 €. Wer da wohl alles noch mit verdient?!?

Endprodukt

 

Beerdigung im Dorf

Am Ende unseres 2-tägigen Aufenthaltes in Bougoula nehmen wir noch teil an einer islamischen Beerdigung. Ein Mann aus dem Dorf ist in der Nacht verstorben und um 14:00 ist die Beisetzung vorgesehen. Anders als in Deutschland, wo wir als Fremde, die den Verstorbenen nicht gekannt haben, auch an der Beerdigung nicht teilnehmen würden, ist es hier, wo wir Gäste im Dorf sind, als Zeichen der Anteilnahme wichtig, dass wir nicht einfach weiter unserer Arbeit nachgehen. Also machen wir uns um 14:00 auf den Weg zur Moschee und warten, bis dort die Gebete zu Ende gesprochen sind. Daraufhin wird direkt vor deren Tür der Leichnam in Tüchern aufgebahrt und ein paar Gebete gesprochen. Als sich dann die Menschen aufmachen zum Friedhof, folgen wir ihnen. Von überall her aus dem Dorf strömen nun die Männer zur Grabstätte, es sind wohl mehrere hundert, überall herrscht Schweigen. Dort angekommen bleiben manche in einiger Entfernung stehen, andere gehen bis zum Loch, das schon am Morgen in die Erde gegraben wurde und in das nun der Leichnam gelegt wird.

Vielleicht 15 Minuten stehen alle schweigend da, dann werden wohl noch Gebete gesprochen, denn viele knien sich nun hin.

Danach gehen alle zügig zum Dorfplatz zurück, dabei kommen wir an dem Hof vorbei, in dem die Frauen alle sitzen: sie nehmen nicht an der Beerdigung als solche teil, sondern haben sich dort separat versammelt.

Auf dem Dorfplatz sind Matten ausgelegt, auf denen schon einige meist alte Männer sitzen. Drum herum werden zahlreiche Blechstühle aufgestellt, auf die sich nun die Männer setzen. Einige der Alten sprechen ein paar Worte der Begrüßung, dabei reden sie selbst nur sehr leise und ein jüngerer Mann wiederholt ihre Worte für alle hörbar. Die Anwesenden legen derweil kleine Geldbeträge zusammen, mal umgerechnet nur ein paar Cent mal ein paar Euro – alles sehr unkompliziert in eine Büchse oder von einer Hand in die andere nach vorne gereicht. Dann werden kleine Heftchen unter den auf der Matte sitzenden ausgeteilt – offensichtlich Koranverse oder eine komplette Sure. Die Sitzenden beginnen nun vor sich hin murmelnd diese zu lesen – jeder in seinem Tempo. Verwundert stelle ich fest, dass, wenn einer zum Ende gekommen ist, er das Heftchen in die Mitte legt, sich ein anderes nimmt und wieder von vorne anfängt. Später erfahre ich, dass diese Sure 50-mal gelesen werden muss und, weil aber nur vielleicht 20 Leute rezitieren, jeder mehrfach dran kommt – keine Ahnung wer da dann wirklich mitzählt. Schließlich ergreift vermutlich der Imam das Wort, erst zitiert er eine lange Reihe von Koranversen auf Arabisch, dann wechselt er ins Bambara. Unter anderem erklärt er den Leuten, dass sie nach Abschluss der Zeremonie noch zum Essen eingeladen sind und dass das bei einer Beerdigung durchaus auch im Ramadan in Ordnung ist – die Sonne ist ja noch lange nicht unter gegangen. Dann zitiert er wieder singenderweise Koranverse. Die anderen Männer stimmen immer wieder mit „Aamina“ ein. Minutenlang Vers um Vers und immer wieder das gemeinsame „Aamina“.

Dann der Abschluss der Zeremonie: alle zusammen murmeln die 1. Sure „Al-Fatiha“ sozusagen im Chor, bevor das Essen in Schüsseln gebracht wird, sich die Menge auflöst und auch wir wieder unserer Wege gehen.

Während der Teilnahme an der Beerdigung bete ich immer wieder zu Jesus, dem Erlöser der Welt. Ich bete für den Verstorbenen, der ihn wahrscheinlich nie kennen gelernt hat, ich bete für die Menschen, mit denen ich hier zusammen sitze und bitte den, der alles getan hat, damit sie Gott nahe kommen können, dass er ihnen die Herzen und Augen öffnet für seine Liebe und die Hoffnung über den Tod hinaus.

 

 

Dusche!

Es ist definitiv der schönste Moment des Tages: nach gemeinsamem Gebet und ein bisschen Organisation hier und da fahren wir ca. 3 Stunden in ein Dorf, wo das Beersheba-Mali-Projekt gestartet hat. Dann den ganzen Tag in der Sonne, auch mal zwar im Schatten aber immer noch über 40°C. Wir gießen die Pflanzen, laufen über das Grundstück, schauen uns die Bäume und deren Früchte an, diskutieren über das, was verarbeitet und verkauft werden kann – immer den Hut auf, immer die Wasserflasche in der Nähe.

Und dann am Abend: die Sonne geht gerade unter, ein paar Bienen summen, die Vögel sind still geworden – Dusche!! Ein Eimer voller Wasser – dürfte gerne kälter sein, aber wo soll man das her kriegen bei der Wärme! Die „Duschkabine“ steht mitten im Hof, nach oben offen, der Himmel gelblich gefärbt und das Wasser, mit einem Plastikbecher über mich geschüttet, spült den Dreck und den Schweiß ab, kühlt den Körper durch den leichten Wind. Dusche! Definitiv der schönste Moment des Tages!

Na endlich! Na hoffentlich… Wicking bed 3

Vor einem Jahr haben wir mit den Arbeiten angefangen (siehe hier), aber irgendwie hat sich immer kaum etwas getan, während ich in Deutschland war – letztlich war es ja auch meine Initiative und vielleicht die Mitarbeiter nicht unbedingt überzeugt von meinem Enthusiasmus. Aber gestern haben wir es dann endlich fertig stellen können, das Wicking bed – also eine Wasser- und Dünger-sparende Art Gemüse anzubauen. Um kurz nach 7:00 trafen Manuel, Solo und ich uns hinter dem Kirchengelände in Kouloubleni, um die angefangenen Arbeiten zu Ende zu bringen. Erfreulicherweise war das Loch für den Wassertank mittlerweile tief genug gebuddelt und so konnten wir an die Arbeit gehen: das vorbereitete Fass musste mit den Rohrleitungen verbunden werden, wir karrten Kies mit der Schubkarre an und verteilten ihn so, dass das Wasser darin langsam fließen konnte, um dann in einem Wassertank wieder aufgefangen und ins Beet zurück geleitet zu werden. Auch wenn wir uns viel Mühe gegeben haben: die Salatpflanzen, die unabhängig von diesem Projekt schon überall wuchsen, wurden doch hier und da in Mitleidenschaft gezogen. Besonders interessant war, dass auf dem Kirchengelände, also direkt nebenan, die Vorbereitungen für eine Doppelhochzeit liefen, die dann mit zahlreichen Gästen auch um 10 Uhr begann. Während ich also in kurzer Hose, fleckigem Shirt und dreckigen Händen die Kiesschubkarre über das Kirchengrundstück schob, liefen dort gleichzeitig die überaus schicken Damen und Herren und David, der Pastor, in Schlips und Anzug herum. Immer wieder schauten dann Hochzeitsgäste hinter die Mauer – interessiert daran, was die Weißen in ihrem originellen Aufzug wohl in Pastors Garten trieben…

Jetzt sind wir sehr gespannt, ob das Projekt auch funktioniert. Dazu muss nun erst einmal reichlich Wasser in den Kreislauf eingespeist werden und dann werden wir sehen, ob der Salat (oder was sonst noch dort angebaut wird) auch wirklich besser, schneller und Ressourcen-sparender wächst.

Solo hat schon recht: vieles lief noch nicht so optimal, aber wir haben experimentiert und ausprobiert und der zweite und dritte Versuch wird dann schon leichter von der Hand gehen. Und hoffentlich werden dann einige den Nutzen erkennen und sich ebenfalls daran machen so ein Wicking bed anzulegen!

Raus aus der Stadt

Heute besuchen wir N’Gouraba, einen Ort, ca. 2,5 Stunden von Bamako entfernt. Nach 30 Minuten verlassen wir die Teerstraße und wühlen uns durch staubige Sand- und Schotterpisten. Erst seit ein paar Jahren arbeiten wir in dieser Gegend: Mithilfe in der Gesundheitsarbeit und seit kurzem auch landwirtschaftliche Projekte. Deutlich früher als erwartet treffen wir ein und ersparen uns damit den offiziellen Empfang mit Trommeln, Rasseln, Tanz – wenn Vertreter der Partnerorganisation kommen, muss man schon ein bisschen was bieten. Aber, wie gesagt, unser Überraschungsangriff hat das vereitelt. Zunächst also Besuch beim Bürgermeister, ein sehr freundlicher, offener Typ, bei dem man nicht groß mit Förmlichkeiten beginnen muss.

Nachdem die Leute aus dem Dorf dann zusammengerufen sind, treffen wir uns im „Bürgermeisteramt“: 45 Leute in einem vielleicht 30 m² großen Raum: die Luft steht, der Schweiß trieft. Zunächst begrüßt uns der Dorfchef – also das traditionelle Oberhaupt und überreicht uns 10 Kolanüsse und 500 F CFA (umgerechnet 75 Cent) – eine Geste des Willkommens. Dann ergreifen Bürgermeister, Koordinator, ich selbst und einige Vertreter der Frauen oder der Landwirte das Wort – das geht alles schön geordnet und jetzt irgendwie auch recht förmlich zu. Andererseits wird auch viel gewitzelt, der Bürgermeister auf dem Arm genommen, gelacht. Wir sprechen über die vergangenen und zukünftigen Projekte – was ist gelungen und was nicht? Dieses Jahr wurden erste Erfahrungen mit verbessertem Saatgut gemacht und einige berichten, dass sie nur dadurch in diesem regenarmen Jahr etwas ernten konnten. Andere erzählen aber auch, wo es nicht so gut funktioniert hat. Mich begeistert die Idee, dass nach der Ernte ein standardisiertes Probeessen veranstaltet wurde: man wollte ja nicht nur wissen, ob das neue Saatgut auch gute Erträge bringt, sondern ebenso, wie Hirse, Mais und Bohnen nachher schmecken!

Dann wird uns noch das Grundstück gezeigt, auf dem dieses Jahr ein Garten für die Frauen angelegt werden soll. Ausgesprochen überrascht stellen wir fest, dass direkt daneben ein verwaister Garten angelegt wurde, mit Zaun und mehreren Brunnen – eigentlich allem, was dazu gehört – nur eben kein Gemüse. Stück für Stück versuchen wir zu verstehen, was dahinter steht, bekommen ein paar Informationen, die nicht alle stimmig sind und auch kein schlüssiges Bild ergeben. Warum aber sollten wir neben dem schon existierenden, aber ungenutzten Garten nun noch einen anlegen?

Auf der Rückfahrt versuchen wir mit Daniel, dem Leiter unserer malischen Hilfsorganisation, die Dinge zu verstehen und zu überlegen, was jetzt sinnvolle nächste Schritte sind. Es bleibt eine gewisse Ratlosigkeit – immer wieder stellen wir fest, wie schwer es ist die internen Abläufe und Probleme in der Welt der Dörfler zu verstehen. Wie gut, dass unsere malischen Partner dann oft noch kulturell sinnvolle Lösungswege finden!

… und immer weiter sinnloses Töten

Kurz hinter der malischen Grenze in Burkina Faso, wobei die Grenze letztlich ja nur auf dem Papier besteht: 14 Dörfer von Terroristen dem Erdboden gleich gemacht. Vermutlich fast 200 Menschen getötet, darunter 3 Familienmitglieder des Verwalters unserer Zentrale in Bamako. In der Vergangenheit gab es Verträge zwischen den Dorfbewohnern und den Terroristen – kaum jemand weiß genau, was es neben Schutzgeldzahlungen noch für Bedingungen gab. „Haltet ihr euch an die Abmachungen, lassen wir euch in Ruhe.“ Terroristen fahren so durchs Dorf, grüßen, kassieren und verschwinden wieder. Durch die stärkere Militärpräsenz sahen sich die Leute aus den Dörfern nun in der Lage diese Maffia-artigen Abmachungen aufzukündigen in der Hoffnung, dass sich die Terroristen nicht mehr so viel rausnehmen können. Aber die Rechnung ging nicht auf: zunächst kündigten die Dschihadisten an, dass sie kommen würden, so sicher fühlen sie sich. Daraufhin verließen viele die Dörfer, darunter auch die 98-jährige Mutter unseres Mitarbeiters. Andere schlugen die Warnungen in den Wind, immer noch sicher, dass die Militärs zur Stelle sein würden. Waren sie nicht. 14 Dörfer – ausgelöscht – die Menschen getötet – die Getreidespeicher niedergebrannt. Als das Militär endlich kam, war schon längst alles vorbei.

14 Dörfer – Opfer eines sinnlosen Machtkampfes. 14 Dörfer – innerhalb weniger Stunden Geschichte. Die 98-jährige Mutter hat überlebt. Viele junge Leute nicht.

Gesegneter Stromausfall

Seit Monaten ist es eins der größten Probleme hier in der Hauptstadt: öffentlichen Strom gibt es fast nur noch ein paar Stunden in der Nacht. Während der normalen Arbeitszeiten hat man entweder einen Generator, Solarenergie oder Pause – was für viele Menschen ein existenzielles Problem darstellt.

Heute allerdings war es ein Segen: Ich sitze mit Etienne zusammen und wir reden über die Projekte, die er betreut, als plötzlich ein Geräusch zu uns dringt, als prassele massiv Regen auf die Blechdächer. Wir befinden uns allerdings in der Trockenzeit – das kann es also nicht sein. Daher gehen wir raus, um zu schauen, was da vor sich geht und sehen, dass uns gegenüber ein strohbedeckter Hangar lichterloh brennt, sich das Feuer im Hof immer weiter ausbreitet und schon die Bäume erfasst. Schwarzer Rauch steigt auf, überall stehen Autos herum, die anfangen Feuer zu fangen. Ich nehme die Beine in die Hand und mache mich vom Acker. Andere kommen mir entgegen: sie wollen wissen, was da los ist und warum alles qualmt. Keine sehr sinnvolle Strategie – wer weiß schon, wieviel Benzin in den parkenden Autos darauf wartet, dieselben in die Luft zu jagen. Im Katastrophentraining habe ich gelernt, was das Wichtigste ist: so schnell und so weit weg vom Gefahrenort wie möglich.

Etienne ist da nobler. Er läuft zunächst ins Büro, holt die entsprechende Telefonnummer und alarmiert die Feuerwehr (ja, so etwas gibt es hier!). Die scheinen nicht wirklich motiviert, erkundigen sich ausgiebig nach der Brandursache und versichern dann, dass sie den Energieversorger informieren, damit dieser den Strom abstellt. Das wäre tatsächlich unter normalen Bedingungen eine große Gefahr: Nach kurzer Zeit hat sich das Feuer so ausgebreitet, dass es auf die Stromleitungen übergreift und eine davon durchbrennt und zu Boden fällt. Aber – was für ein Segen heute – Strom gibt es ja nur nachts und damit passiert tatsächlich nichts. Irgendwie gelingt es Etienne dann doch noch die Feuerwehr zu überzeugen, dass es durchaus hilfreich wäre, wenn sie mal persönlich vorbeischauen würden.

Nach ca. 30 Minuten tauchen ein paar Polizisten auf. Mittlerweile haben Jugendliche todesmutig begonnen, die zündelnden Autos zu löschen. Eines wird kurzerhand aufs Dach gedreht, damit man den brennenden Boden besser erreichen kann. Schaulustige stehen überall am Straßenrand und werden jetzt von der Polizei erst einmal aus der Gefahrenzone geschickt. 10 Minuten später kommt dann unter jubelndem Gejohle der Zuschauer tatsächlich ein Löschfahrzeug und Stück für Stück gelingt es den Feuerwehrmännern den Brand unter Kontrolle zu bringen.

Ich bleibe so lange in sicherer Entfernung hinter dem nächsten Häuserblock bis die Rauchwolken nur noch weiß sind, dann erst traue ich mich wieder zurück ins Haus und höre, was die Ursache für den Brand war: der Wächter im Hof gegenüber hat Müll verbrannt und dann das Feuer nicht ausreichend gelöscht. Und als erstmal das Strohdach Feuer gefangen hatte, gab es kein Halten mehr.

Wir danken Gott, dass niemandem etwas passiert und alles glimpflich ausgegangen ist und – vermutlich zum ersten Mal – für den Stromausfall!

 

Au revoir Franc CFA?

Das war ein echter Knaller, wenn auch nicht erstaunlich: Vor wenigen Wochen kündigten Mali, Burkina Faso und der Niger ihren Austritt aus der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft an und zwar mit sofortiger Wirkung. Das geht eigentlich gar nicht, weil man das ein Jahr im Voraus ankündigen muss – oder sollte man lieber „müsste“ sagen? Und kurz drauf, dann gar nicht mehr überraschend: die erste Ankündigung, dass man eine eigene Währung auf den Weg bringen will.

alte Zeiten: mit dem Motorrad ins Nigerdelta

Der Franc FCA – seit Jahrzehnten zunächst an den französischen Franc und dann an den Euro gekoppelt – jetzt Zeichen einer Frankophilie von der man Abstand nehmen sollte? Damals, wenige Monate nachdem wir zum ersten Mal nach Mali aufgebrochen waren, wurde der F CFA abgewertet und alle Importartikel kosteten in Mali plötzlich doppelt so viel. Ich hatte zu der Zeit Geld für ein Motorrad zurück gelegt und Niangaly, damals noch Wächter für das Gelände der Allianz-Mission in Bamako, besorgte mir noch in Windeseile eines, bevor die Preise schon nach ein paar Tagen um 70-80% in die Höhe gegangen waren. Aber seitdem ist die Währung stabil. Was passiert, wenn Mali und seine Nachbarn da jetzt ausscheren? Die Wirtschaftskenner und Banker geben teils düstere teils hoffnungsvolle Prognosen aus. Inflation? Was wird aus den Schulden? Bankenkollaps? Endlich ein weiterer Schritt in eine tatsächliche Autonomie?

Mancher hier ist skeptisch: vielleicht ist der Schritt richtig, aber ist das nicht ein wenig überhastet?

Die Nachbarländer reagieren teils panisch teils gelassen: bricht die Wirtschaftsgemeinschaft zusammen, wenn drei Mitglieder sie verlassen? Andere kommentieren es mit einem Achselzucken: „Wenn sie meinen, dass sie ihre Nachbarn nicht mehr brauchen…“

Es ist sehr viel in Bewegung hier, politisch, ökonomisch, gesellschaftlich. Und bei allen Prognosen der Weisen und Gelehrten weiß doch nur Gott, wo die Reise hingeht!