Fortschritt, Umwelt und die Bodenschätze

Sauberes Trinkwasser – na klar wird das gebraucht. Das ist eines der Millenniumsziele und niemand hat Zweifel daran, wie wichtig Trinkwasser für die Entwicklung eines Landes ist. Und diesbezüglich hat Mali sich deutlich gewandelt. Während im Dorf oft aus Gemeinschaftsbrunnen und in der Stadt das nicht immer keimsichere Wasser aus dem Hahn getrunken wurde, hat sich das Bewusstsein der Leute stark verändert und immer mehr Menschen kaufen sich Trinkwasser aus Flaschen, (hoffentlich) sauber aufbereitet und keimarm. Selbst Besuchern wird jetzt oft eine Wasserflasche angeboten, statt ihnen das „normale“ Wasser zu trinken zu geben. Und vermutlich werden dadurch einige Erkrankungen nicht nur bei den empfindlichen Europäermägen vermieden. Das ist die eine Seite, aber plötzlich hat das Land, das eh schon an Plastiktüten erstickt, auch noch tonnenweise Plastikflaschen, die dann irgendwo außerhalb der Stadt auf freiem Feld verbrannt werden oder einfach in der „Kanalisation“ landen. Und so ist das, was zunächst so fortschrittlich aussah, andererseits ein großes Problem. Soll man diese Entwicklung jetzt begrüßen oder eher ablehnen? Ist sie gut für die Malier oder langfristig eher kontraproduktiv? Entwicklung ist ein so komplexer Prozess, dass es gerade dann, wenn sie nur punktuell geschieht, schwer abzuschätzen ist, ob es sich um einen Fort- oder einen Rückschritt handelt.

Und dann sind da noch die Bodenschätze, von denen Mali vermutlich mehr hat, als man das lange dachte: Gold, Uran und vermutlich auch Erdöl – mit Sicherheit Dinge, an denen viele andere, reichere Staaten Interesse haben und wegen derer sie sehr bemüht sind – auf welche Art auch immer – ihren Einfluss auszubauen. Heute aber konnte ich mit eigenen Augen sehen, wie reich Mali an „Erdöl“ ist: Eine Lehmstraße in Bamako auf dem Weg zum Niger wurde kurzerhand mit Altöl begossen, damit es nicht so staubt in dieser reichen Gegend. Altöl hat den „Vorteil“, dass es nicht verdunstet wie Wasser, das man ja auch auf die Lehmstraßen sprühen könnte. So klebt der Staub lange fest, bis das Öl in den Boden gesickert ist. Direkt neben der Straße läuft ein offener Kanal in Richtung Niger und eine klebrig schwarze Brühe schiebt sich in den wenige 100 Meter entfernten Fluss an dem die jungen Leute fröhlich mit ihren Angeln sitzen und die Fische aus dem „Wasser“ ziehen…

Manchmal ist es zum Verzweifeln und die Dimensionen unserer Umweltprobleme im Vergleich zu der Situation hier scheinen so unbedeutend zu sein.

Weg sind sie…

Und schon ist die Woche mit den 3 Herren von Radfahren für Mali (RfM) vorbei. Gestern waren wir in N’Gouraba – die Aussprache des Ortsnamens ist für deutsche Zungen genauso holprig wie der Weg dorthin: 4 Stunden meist über Huckelpisten mit Gerlind und Manuel auf den Hinterbänken, wo Knie nicht vorgesehen sind. Und dann sind wir mitten im Busch – eine ganz andere Welt als Bamako oder Ségou. Hier in dieser Gegend hat einerseits die malische Kirche und andererseits die Hilfsorganisation eine Arbeit begonnen und dieser Besuch dient besonders dem gegenseitigen Kennenlernen. Daniel erzählt uns, dass die Bevölkerung grundsätzlich erst einmal recht skeptisch war, weil sie nicht

so recht wusste, auf wen sie sich da einließen und ob da nicht doch andere Motive hinter steckten als die Bereitschaft die Menschen in dieser Gegend zu unterstützen. Somit sind solche Besuche sehr wichtig. Erst empfängt uns der Bürgermeister im Hof seiner „Amtsstube“, dann lädt er uns zum Essen

Das obligatorische Gruppenbild (wer ist wohl der Bürgermeister?!?)

bei sich zuhause ein. Die Sitzung ist anschließend ganz typisch, wie es in einem malischen Dorf sein muss: Einer nach dem anderen, der Bürgermeister, der Repräsentant des Dorfchefs, der Leiter des Gesundheitstationsvereins, der Sekretär und noch der ein oder andere, den ich mir nicht gemerkt habe, richtet ein paar freundliche Worte an uns, das meiste wiederholt sich ständig und so scharren die eher zielorientierten Mitglieder unserer RfM-Delegation vor Ungeduld mit den Hufen, während die eher beziehungsorientierten ihre Freude haben (nein, ich sage nicht, wen ich jeweils meine…). Außerdem wird dann ein gan

Markus versucht sich auf einem „einheimischen“ Fahrrad

zer Eimer von guten Vorschlägen über uns ausgeschüttet, was man so alles besorgen und geben könnte, damit die nicht enden wollenden Probleme und Bedürfnisse des Dorfes eine Antwort finden. Es kommen nicht alle Tage 6 Weiße auf einmal in diese Gegend, da muss man den Stier bei den Hörnern fassen… Leider haben wir durch die lange Fahrt längs nicht genug Zeit, um uns alles anzuschauen und alle zu begrüßen, denn wer weiß, wie lange die Rückfahrt dauert und um 18:30 ist es dunkel. Am Abend sind wir alle todmüde und verabschieden uns früh in die Kiste…

3 Herren vom Fahrradclub „Bamako Niarela“
Gruppenbild mit Fahrrad und „Président“

Und eine kleine Zwischenepisode von gestern brachte heute noch ein unerwartetes Highlight: Als wir morgens die Nigerbrücke überqueren, schreit Markus plötzlich auf: „Halt, sofort anhalten, der hat ein Cervelo“. Er hatte doch tatsächlich im Vorbeifahren einen Malier auf einem qualitativ hochwertigen Fahrrad beim Training gesehen. Ob ich wollte oder nicht: Auf einer viel befahrenen Straße musste ich anhalten, Markus sprang aus dem Auto, lief auf den Fahrradfahrer zu und brachte ihn – offensichtlich durch seine Begeisterung – zum Stehen. Der junge Mann war etwas verwirrt, ließ sich aber von Markus alles erklären, wobei mir nicht klar ist, was er wirklich verstanden hat, denn eine gemeinsame Sprache (außer Fahrradfahren) hatten die beiden nicht… Als er dann bei uns am Auto war, erklärte er uns, dass es im Stadtviertel, in dem wir wohnen, tatsächlich einen Radsportverein gibt und da war natürlich klar, dass wir den heute noch suchen mussten. Nach einigen Recherchen unserer malischen Mitarbeiter konnten wir uns dann tatsächlich vor Ort überzeugen, dass jeden Samstag ca. 60 Leute miteinander Fahrradfahren. In einem abschließbaren Raum standen mindestens 30 zum Teil recht ordentliche Fahrräder. Fahrer zwischen 20 und über 60 machen hier Sport miteinander, weil sie Freude daran haben und das nur 10 Minuten zu Fuß von hier entfernt. Der Vereinsvorsitzende stattete uns kurz darauf noch einen Besuch ab und so knüpften wir die ersten Kontakte. Bisher waren unsere sportmissionarischen Aktivitäten ja vor allem auf Fußball und Volleyball konzentriert – warum nicht über RfM jetzt auch einen Radsportzweig beginnen? Auf jeden Fall werde ich nächste Woche Samstag versuchen an der wöchentlichen Tour teilzunehmen – ein Fahrrad haben die 3 ja hier gelassen…

sind sie nicht hübsch?!?

Traumhaft schönes Mali

Manchmal kann man das vergessen, wenn man nur im (Fein-)Staub Bamakos rumwurschtelt, wenn man immer wieder von den Anschlägen hört, wenn einen die ständige Hitze müde macht, wenn es einen nervt, immer aufzufallen, weil man weiß ist… Heute Nachmittag erinnerte mich Gott dran, wie schön Er dieses Land geschaffen hat:

Nach einem informativen und sehr persönlichen Treffen mit den Verantwortlichen eines Straßenkinderprojektes gönnen Arno, Markus und ich uns am Nachmittag eine Fahrradfahrt entlang des Kanals, der zur Bewässerung von Reisfeldern neben dem Niger fließt. Markus Fahrrad ist aus Karbon, Arnos aus Stahl, meins, was wir irgendwo hier in einem Schuppen finden konnten, ist gefühlt aus Gusseisen, dafür aber ohne Gangschaltung (so hatte ich eine Ausrede, wenn ich mit ihrer Geschwindigkeit nicht mithalten konnte 😊). Die Temperatur war mittlerweile fast angenehm – besonders mit der Frische des Wassers neben uns. Rechts der Kanal mit lauter Seerosen, links Reisfelder, Bananenstauden und Papayas. Wir fahren auf einer Piste aus roter Erde, die unsere Haare langsam aber sicher zu einer interessanten Farbe verändert. Ein Junge fährt neben uns mit seinem viel zu großen Fahrrad – das kann er nur im Stehen, denn der Sattel ist für ihn nicht erreichbar. Er freut sich die 3 Weißen auch auf Fahrrädern neben sich zu sehen und gibt Gas, damit er trotz seiner Körpergröße mithalten kann. In der Ferne sieht man auf der anderen Nigerseite Stadtrandbezirke auf langgestreckten Sandsteinhügeln. Männer mit Motorrädern kommen uns entgegen, beladen mit Gräsern oder Viehfutter, Schüler aus dem Nachbarort mit ihren Rucksäcken sind auf dem Weg nach Hause. Drei von ihnen stellen sich in einer Reihe auf, strecken die Hände aus und klatschen uns ab. Hier und da stehen junge Leute mit selbstgebauten Angeln und versuchen ein paar kleine Fische fürs Abendbrot aus dem Kanal zu holen. An anderen Stellen habe Leute Fischreusen aufgestellt, damit sich der Fang auch lohnt. Das ganze Ambiente ist so ruhig, entspannt, freundlich und idyllisch, dass man den Eindruck hat, hier richtig durchatmen zu können. Bei der Brücke nach Dougourakoro drehen wir um. Hier ist die Gemeinde, deren Pastor vor wenigen Wochen so plötzlich verstorben ist, aber für einen Beileidsbesuch bei seiner Familie haben wir nicht das richtige Outfit. Als wir den Rückweg antreten steht die Sonne tief über dem Niger, groß und rot. Man möchte sich ans Nigerufer setzen und einfach zuschauen, wie sie immer tiefer tritt, aber bei der Nähe zum Äquator kommt die Dunkelheit viel schneller als in Deutschland – daher können wir uns keine Pause können, sondern müssen zurück, denn Licht haben unsere Fahrräder alle nicht. 20 km entlang am Kanal – so schön ist Mali auch!

Fahrradrallye in Bamako

Auf geht’s nach Niamana – zur Schule. Das müssen die „Jungs von RfM“ schon auch sehen. Und diesmal werden die Fahrräder mitgenommen, also nach dem Frühstück 2 Räder auf’s Dach geschnallt und ab durch die Stadt zur I-ni-sini-Schule. Mittlerweile gibt es dort 3 Klassen und eine Vorschulgruppe – insgesamt um die 80 Kinder. Und unsere drei Herren freuen sich Unterricht und Pause miterleben zu können. Aber da sie ja nun einmal die Fahrräder mitgebracht haben, ziehen sie sich zwischendurch um. So soll dann ein Gruppenbild mit den Kids gemacht werden. Markus braucht irgendwie länger als Arno und so stehen die Kids Minute um Minute vor dem Schulgebäude und warten darauf, dass er sich endlich zu ihnen gesellt. Als dann so gar nichts passiert, kommt irgendwer auf den Gedanken, ihn gemeinsam zu rufen und plötzlich skandieren 80 Kinder im Chor „Markus, Markus“, bis er dann endlich auftaucht. „Markus, Markus“ – das wird dann so eine Art Schlachtruf und bei jeder Gelegenheit, auch während des Unterrichts, brüllen plötzlich alle wieder den neuen Slogan.

Etwas gewöhnungsbedürftig für malische Augen sind die Radlerhosen der beiden und wir möchten gar nicht wissen, was die Schüler ihren Eltern später zuhause über die enganliegenden gepolsterten kurzen Hosen der beiden erzählt haben…

Nach dem Besuch der Schule gehen wir dann noch bei einem Nachbarn vorbei. Der offensichtlich gut betuchte Herr hat in der Vergangenheit immer wieder Geld und Material an die Schule gespendet, weil ihm das Wohl der Kinder ein Anliegen ist. So hat er Geld gegeben, damit die schwächeren Kinder in den Ferien Nachhilfe bekommen können, auch ein Strahler und sogar eine Überwachungskamera für die Sicherheit des Geländes hat er installieren lassen. Wir statten ihm einen Höflichkeitsbesuch ab, tauschen uns ein bisschen aus und er lädt uns spontan zum Essen am nächsten Samstag ein. Ein Muslim, der eine christliche Schule finanziell unterstützt – das ist schon erstaunlich!

Dann die Rückfahrt auf dem Fahrrad: tatsächlich sind Markus und Arno schneller als wir mit dem Auto – auch wenn sie nachher durch den Staub und die Hitze ein bisschen rötlich im Gesicht sind. Den zweiten Teil der Strecke darf ich dann fahren und die malische Art mit den Zweirad (hier sind es eher Motorroller…) zu fahren ausprobieren: hemmungslos mal links mal rechts überholen, sich in den Windschatten eines LKW hängen (und zu hoffen, dass das Hinterrad an Ort und Stelle bleibt…) und in abenteuerlichen Schlangenlinien die Schlaglöcher umfahren. Es macht super Spaß, aber eigentlich ist Radfahren in der Hauptstadt langfristig eher ein Selbstmordkommando.

Zwischenstation ist Missabougou, wo die Gemeindefrauen ein Projekt durchführen, um ein bisschen Geld zu erwirtschaften: Fonio, eine besondere Getreideart, wird von ihnen sehr aufwendig zubereitet, getrocknet und dann in Tüten verpackt zum Verkauf. Die Frauen sind sehr engagiert bei der Arbeit, aber der erwirtschaftete Gewinn ist nicht gerade überwältigend. „Lohnt sich das wirklich?“ – das ist eine Frage, die man sich häufig bei solchen Projekten stellen muss, die durchgeführt werden, um Geld zu erwirtschaften. Oft ist die Idee gut, die Durchführung aber sehr mühsam und voller Hindernisse sowie unvorhergesehener Ausgaben hier und da, sodass am Schluss kaum mehr etwas übrigbleibt, wenn man alle Ausgaben zusammennimmt. Immer wieder stellen wir fest, dass hier etwas unternehmerische Unterstützung hilfreich wäre, damit das beeindruckende Engagement der Frauen auch finanziell Früchte trägt.

Nur Fliegen ist schöner!

Um 6 geht’s los nach Ségou. 3 Stunden Fahrt und Gottesdienstbeginn pünktlich um 9, das heißt: aufstehen um 5. Und weil der Muezzin der Nachbarmoschee schon immer um 4 bis 4:30 mit seiner wirklich schlagkräftigen Lautsprecheranlage ruft (Wer steht um diese Zeit auf?? Das ist lange vor Dämmerung…), ist ein Wecker eigentlich überflüssig. Auf der Nigerbrücke beten wir für eine bewahrte Autofahrt und es dauert keine 2 Minuten, bis wir merken, wie nötig wir das haben: Das Sammeltaxi vor uns qualmt so doll, dass ich ansetze es zu überholen, dies dann aber doch lasse, weil die Fahrspuren sich verengen. Und als wir so hinter ihm herfahren, löst sich plötzlich das linke hintere Rad, überholt das Taxi und rast mit überraschender Geschwindigkeit über die Straße. Dem Fahrer gelingt es noch auf der funkensprühenden Achse das Fahrzeug unter Kontrolle zu bringen und das Rad bleibt irgendwo stecken, ohne jemanden zu verletzen. … haben wir so auch noch nicht erlebt…

2 Stunden später nach kurzer Pipipause wollen wir das Auto starten, aber die Batterie macht schlapp und der Anlasser dreht nur ein paarmal mürrisch und ohne Effekt: also Gerlind ans Steuer und 4 Männer schieben das Auto bis die Kupplung schnappt und der Motor anspringt – Halleluja! Und so kommen wir dann mit 10 Minuten Verspätung noch einigermaßen pünktlich zum Gottesdienst. Spontan werde ich gebeten, die Predigt zu halten – aber da wir ja die Gebräuche hier kennen, habe ich mich natürlich vorbereitet….

Als später die Nachmittagshitze langsam abebbt, machen wir noch einen Bootsausflug auf dem Niger und genießen die Ruhe und den sanften Wind über dem Wasser. Ein wunderschöner Ausklang eines Tages, der dann doch etwas spannender war, als wir das erwartet hatten.

3 Männer und 2 Fahrräder

Da sind sie, die Herrn von „Radfahren für Mali“ und da sie hier auch zeigen wollen, wie sie in Deutschland Geld für Mali erradeln, haben sie zwei Fahrräder mitgebracht. Gar nicht so leicht, dem Herrn am Zoll zu erklären, dass in dem großen Karton kein riesiger Fernseher drin ist, wie außen drauf seht, sondern ein Fahrrad – was will ein Deutscher hier mit seinem Drahtesel??? Aber da Zollbeamter und Arno nicht die gleiche Sprache sprechen und nur über Englische und Hände und Füße kommunizieren können, gibt der erstere irgendwann auf.

Kaum „zuhause“ angekommen können die 3 es dann auch gar nicht abwarten und basteln sofort ihre Räder zusammen – dabei wollen wir heute natürlich nicht mehr weg, denn es wird schon dunkel und geschlafen haben Markus, Martin und Arno auch nur wenig in der letzten Nacht.

Jetzt erwarten uns ein paar dichte Tage mit Projektbesichtigungen, einem Besuch in der Stadt Ségou, Gesprächen mit Gemeindevertretern und NGO-Mitarbeitern. 11 Jahre ist es her, seitdem eine Delegation von RfM zuletzt in Mali war. Super, dass trotzdem das Engagement nicht nachgelassen hat und wie schön, dass die Kontakte jetzt wieder aufgefrischt werden können.

Und von uns fast unbemerkt wird wieder einmal eine malische Militärbasis von radikalen Kräften angegriffen und über 50 Menschen getötet. Über 1.000 km weg ist das von uns – aber dasselbe Mali.

Ausgeschweint?

Erinnert Ihr Euch noch an Enocs Schweinezucht? Vermutlich – wenn man einmal davon gehört hat, vergisst man das nicht so leicht. Gestern Morgen trafen wir uns mit Enoc und er erzählte uns ausführlicher, was wir schon aus einer Mail vor ein paar Wochen erfahren hatten: dass fast alle seine Schweine durch eine Seuche ums Leben kamen. Es fing bei ein paar wenigen an: morgens wollten sie nicht fressen, wurden immer schlapper, abends waren sie tot. Dann ging die Erkrankung auf die anderen über, nahm denselben Verlauf und innerhalb weniger Tage war Enocs große Schweineherde reduziert auf 3-4 Exemplare, die die Seuche aus irgendwelchen Gründen überlebt haben – die afrikanische Schweinepest! Natürlich holte er schon nach kurzem einen Veterinär, der gab Spritzen und andere Medikamente, aber das half alles nichts: die Sterberate bei der afrikanischen Schweinpest liegt bei fast 100% – mit und ohne Medikamente. Aber weder aus finanziellen noch aus kulturellen Gründen würde ein Veterinär einfach sagen, „da kann man nichts machen“. Das ist bitter – nur ein paar Tage, keine Chance etwas zu tun und das seit Jahrzehnten aufgebaute Projekt am Ende. Wo kommt die Erkrankung her, wie kann sie vermieden werden? Die Ansteckung geht von Schwein zu Schwein – aber auch über Zecken und verseuchte Lebensmittel kann die Krankheit übertragen werden. Und da das Schweinefutter vor allem aus Essensresten von Hotels in Bamako besteht, gibt es wohl kaum eine Chance, herauszufinden, wie die Epidemie in den Schweinestall kam und somit in Zukunft auch vermieden werden könnte.

Nahezu die gesamte Schweinzucht innerhalb von einer Woche dahin. Finanziell entspricht das ca. 3 durchschnittlichen Jahresgehältern in Mali. Und keine staatlichen Mittel, keine Förderung des Landes kommen einem da zu Hilfe. Was weg ist, ist weg. Wie gut nur, dass die Schweinepest – anders als die Schweinegrippe – für den Menschen nicht gefährlich ist.

Und jetzt? Spontan denke ich an die Geschichte Hiobs, die ich gerade lese: wie ein Bote nach dem anderen kam, um zu berichten, dass die Viehherden Hiobs umgekommen oder gestohlen wurden. Aber bei Enoc sind es „nur“ die Schweine. Seine Rinder, sein Reisfeld und seine anderen Projekte sind von dem Unglück nicht betroffen, doch auch er erzählt uns mit großer Gelassenheit von der Seuche. „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Namen des Herrn sei gelobt“… sagt er zwar nicht ausdrücklich, aber dieselbe Haltung wird bei ihm deutlich. Und er fängt wieder an, mit 4-5 Schweinen – schließlich hängen auch einige Arbeitsplätze an dem Projekt Schweinezucht. Möge Gott ihm Gelingen geben!

Somewhere over the rainbow…

…befinden wir uns vermutlich gerade, wenn Ihr diese Zeilen lest. Wie üblich, es ist November (na ja, fast) und damit Zeit für unseren 2. Malibesuch in diesem Jahr. Gestern Nachmittag konnten wir die Arbeit in der Praxis beenden und Alex, mein Kollege, muss nun in den nächsten 3 Wochen den „Laden schmeißen“. Was erwartet uns diesmal? Alles nur Routine? Die üblichen Besuche, Sitzungen, Gespräche? Ja und nein, natürlich sind die Begegnungen mit unseren malischen Freunden und auch die Gespräche in den verschiedenen Komitees wichtiger Bestandteil von jedem unserer Besuche. Aber ein paar Besonderheiten gibt es diesmal doch:

In zwei Tagen stoßen 3 Mitglieder vom Verein „Radfahren für Mali“ zu uns. Seit 15 Jahren führen sie regelmäßig Sponsorenradtouren durch und finanzieren damit etliche Projekte in Mali. Nach vielen Jahren kann jetzt endlich wieder einmal eine Delegation nach Mali kommen, um zu schauen, was aus den Projekten entstanden ist, aber besonders auch, um den Menschen in Mali zu begegnen und „malische Luft“ zu schnuppern.

Dann ist Manuel Müller, Kandidat der Allianz-Mission für Mali, im Rahmen seiner Masterarbeit zurzeit ebenfalls in Mali und wir werden einiges miteinander unternehmen, um seinen Start als „AMler“ im nächsten Jahr vorzubereiten.

Und sicherlich wird uns auch beschäftigen, dass kürzlich ein malischer Pastor, den wir schon seit wir 1993 nach Mali kamen, kennen, ganz plötzlich verstorben ist. Er hatte noch viel geplant, wollte in diesem Jahr seine theologischen Studien fortführen und war dazu an der FATMES, der theologischen Ausbildungsstätte in Mali, eingeschrieben und hat nun die kleine malische Kirche so plötzlich verlassen.

Somewhere over the rainbow – der Regenbogen als Zeichen, dass Gott diese Welt liebt und nicht im Stich lässt. Manchmal könnte man in Mali ja den gegenteiligen Eindruck gewinnen. Wir beten, dass unsere Besuche von den malischen Christen auch als ein Zeichen der Solidarität der deutschen Christen verstanden werden – ein Zeichen, dass weder Gott noch die weltweite Kirche sie vergessen.

Ende einer Männer-WG

Drei Tage schweißtriefend Sitzungen in der Kirche in Missabougou. Jochen weiß gar nicht, woher er das ganze Wasser nehmen soll, das er das ausschwitzt. Am ersten Tag dann noch Stromausfall für mehrere Stunden – ohne Ventilator hört der Spaß nun wirklich auf… Aber dann gestern Abend: Regen! Richtiger Regen – nicht nur ein paar Tropfen. Wir stehen auf der überdachten Veranda unserer Zentrale und genießen den Wind und die Frische. Was für ein Geschenk doch Regen sein kann!

Und heute dann die Wahl des Kirchenleitungskomitees. Wir sind sehr gespannt, wer die Kirche in den nächsten 5 Jahren führen wird und beten gemeinsam mit unseren malischen Geschwistern um Leitung des Heiligen Geistes in diesen Entscheidungen. Bei manchem Posten gibt es ein echtes Kopf-an-Kopf-Rennen und am Schluss wurden fast alle bisherigen Leitungsmitglieder wiedergewählt – nur einen Wechsel hat es gegeben. Das steht für Konstanz aber auch für Vertrauen der Delegierten in die bisherige Leitung. Enoc, der bisherige Präses, wird nun auch weiter unser erster Ansprechpartner sein und wir freuen uns, dass er – zusammen mit 4 anderen Maliern – uns im Mai in Deutschland besuchen wird.

Zum Abschluss konnten wir dann noch mit ca. 70 Maliern Abendmahl feiern. Wir sind in Christus verbunden – bei allen Unterschieden in Sprache, Kultur, Geschichte, Hautfarbe, Lebensweise, sind wir vereint, weil Gott unser gemeinsamer Vater und Christus unser gemeinsamer Herr ist.

Und so sitzen Jochen und ich nach eine vollen Woche auf dem Flughafen und warten aufs Einchecken. Ich bin sicher, Jochen wird die abenteuerlichen Taxifahrten durch Bamakos Straßen vermissen und vielleicht noch so manches mehr… Es war für uns beide eine richtig gute Zeit mit unserer Männer-WG und den zahlreichen Besuchen und Gesprächen und wir stellen fest, wie ganz anders es ist, wenn man mal vor Ort gewesen ist und Infos nicht nur über Mails und Bilder bekommt…

Tod eines Perlhuhns

Auf der Fahrt nach Niamana kommen wir mit Etienne an einem Hühnerverkaufsstand vorbei. Da steht es und lächelt mich an: ein Perlhuhn! Wie lange habe ich kein Perlhuhn mehr gegessen! Die letzten Jahre habe ich mir immer mal wieder vorgenommen ein Perlhuhn in Mali zu verzehren und es dann doch nicht geschafft – aber diesmal kommt es mir nicht davon! Auf der Rückfahrt von unserem Schulbesuch ist es immer noch da und wartet auf mich. Etienne bittet mich nicht so dicht am Stand zu parken, denn es würde den Preis in die Höhe treiben, wenn die Weißen dabei sind. So steigt er aus und kauft mein Perlhuhn, das nach abgeschlossenen Preisverhandlungen mit zusammengebundenen Beinen in unserem Auto landet. Ich weiß, ich sollte mich schämen, aber ich mache mir gar keine Gedanken über artgerechten Perlhuhntransport – immerhin, das Auto ist klimatisiert! Zuhause angekommen hüpft es erst mal trotz Laufhandicap aus dem Auto und versucht zu verschwinden, wird aber mit geschickter Hand und Mithilfe unseres Hundes wieder eingefangen und an eine Leine gelegt. Kurze Zeit später kümmert sich Sidiki, unser Wächter, um sein weiteres Ergehen und schneidet ihm die Kehle durch, rupft es und brennt die restlichen Federn über dem offenen Feuer ab – Männerarbeit. Christine, die uns hier im Haus hilft, ist für das Ausnehmen zuständig – Frauenarbeit. So bekomme ich nun mein Perlhuhn splitterfasernackt in einer Plastiktüte in die Hand gedrückt.

Im Kühlschrank darf es dann noch einen Tag die angenehme Frische genießen, bevor ich heute Abend mit der Tüte in der Hand ein paar Straßen weiter durch Bamako laufe – ein Straßengrill mein Ziel. Herr Tolo hat haufenweise Hühner auf die Spieße gesteckt, die sich nun schmackhaft tropfend auf seinem Grill drehen. Als er mich sieht, bekomme ich erst mal Vorwürfe gemacht, weil ich so lange nicht bei ihm war. Jetzt hofft er darauf ein paar Hähnchen bei mir loswerden zu können. Aber ich hole die Tüte hervor und zeige ihm mein Perlhuhn. Zwar wirkt er nicht gerade glücklich, aber dann zieht er ein Hähnchen vom Spieß, schiebt stattdessen mein Perlhuhn darauf, steckt das Ganze wieder auf den Grill und sagt mir, ich solle in einer Stunde wiederkommen – alles kein Problem.

Das tue ich dann auch gerne – Jochen und ich haben schon den Tisch gedeckt und freuen uns auf ein gutes Mahl. Jedoch als ich ankomme, erklärt mit Herr Tolo, dass es leider einen Stromausfall gegeben hat; somit konnte sich der Spieß nicht drehen und er keine Hähnchen und erst recht nicht mein Perlhuhn grillen – ich möge doch bitte in 20 Minuten wiederkommen. Na, da bleib ich doch lieber direkt eine halbe Stunde. Und dann, tatsächlich, ist mein Perlhuhn gar! Noch schnell gewürzt, ein paar Zwiebeln und ein paar Pommes dazu und ab nach Hause. Dort lassen wir es uns schmecken, stellen aber fest, dass wir uns doch besser nach dem Alter meines Perlhuhns hätten erkundigen sollen.

… wie wunderschön anders das Leben ist ohne Tiefkühlkost!