Erstaunliche Phänomene

Als ich heute morgen vor die Türe trat, sah ich folgendes Bild vor mir:

Schuhe

Lange rätselte ich über die Bedeutung dieses seltsamen Phänomens, bis sich mir dann auf dem Weg zum Gottesdienst ein irgendwie ähnliches Bild bot:

schuhe2

Höchst erstaunlich, was da für Dinge in Mali passieren. Was hat das wohl zu bedeuten? Doch dann, nach reiflicher Überlegung dämmerte es mir: Heute ist Nikolaustag!! Natürlich, wie konnte ich das vergessen? Aber der Nikolaus… hat der etwa Mali vergessen? Traut er sich etwa auch nicht mehr hier hin? Lassen sich Nikoläuse von Terrorwarnungen abhalten? Oder hatte er schon im letzten Jahr aufgrund von Ebola Mali ein für allemal den Rücken gekehrt? Gibt es für Nikoläuse Krisenpläne? Halten sie sich an die Reisewarnungen des auswärtigen Amtes? So scheint es jedenfalls heute gewesen zu sein. Ich bin enttäuscht, da hätte ich ihm mehr zugetraut!

Und die Schuhe von Badjo? Keiner hat sie gefüllt. Und doch, der Wächter, der nun seit 26 Jahren bei der Allianz-Mission arbeitet und der, als wir das erste Mal nach Mali kamen, unseren 1,5 Meter langen Überseekoffer einfach unter den Arm klemmte und ihn die Treppe hinauftrug, kann immer noch lächeln. Na klar, schließlich weiß er auch, dass Schokolade bei der Wärme in Mali keinen Sinn macht! Und er hat schon so viele kommen und gehen sehen, da kommt es auf einen Nikolaus mehr oder weniger auch nicht mehr an.

Badjo

Omas Sehnsucht

Da sitzen wir vor unseren Laptops. Die Kinder haben einen kurzen Videoclip der Enkel geschickt und Gerlind schaut ihn sich an. Einmal, zweimal und noch einmal bis ich sage, sie solle doch aufhören sich zu quälen. Irgendwann steht sie auf und geht in ein anderes Zimmer und kommt erst nach vielen Skype1Minuten wieder. 5 x hat sie in der Zwischenzeit das Video geschaut ohne von mir gestört zu werden…

Wie anders ist unsere Situation jetzt als damals. Auch wenn wir jetzt nur für jeweils ein paar Wochen in Mali sind, merken wir doch den Unterschied. Einmal ist es etwas völlig anderes hier als Ehepaar zu sein, denn sowohl für uns selbst als auch für die Malier sind wir ohne familiäres Umfeld. Aber auch die technischen Möglichkeiten gestalten das Leben ganz anders. Also wir vor 20 Jahren nach Mali gingen, setzten wir uns manchmal am Sonntag morgen vor dem Gottesdienst eine Stunde lang vor das Faxgerät. Weil der Kontakt so schlecht war, war dies die einzige Zeit, wo man hoffen konnte, dass die Verbindung ausreichen würde um ein paar Nachrichten nach Deutschland zu schicken. Telefon war schrecklich, weil man oft Sekunden später sein eigenes Reden als Echo hörte und dann erst die Antwort kam. Man fiel sich ständig ins Wort: „sag, Du erst! Nein, Du“. Und wir waren noch glücklich, dass wir Fax hatten und nicht 4 Wochen auf einen Brief warten mussten. Heute gibt es Skype, Whats-app, E-Mail, Handy… Ist das besser? Manches ist leichter, weil man sich schneller informieren kann, weil man sich sieht, hört, Neuigkeiten austauscht. Aber andererseits hören wir dadurch auch nicht auf, gleichzeitig in zwei Welten zu leben, teilen unsere Gefühle und unsere Gedanken auf. Wir hören, wer von unseren Patienten verstorben ist, denken mit, leiden mit. Keine Ahnung ob es das schwerer oder leichter macht.

Profitable Frauenpower

Bei unseren Treffen geht es oft um‘ s Geld und – oh Wunder- um die Frage, ob „die Mission“ denn nicht mehr geben könnte, da man dann doch noch soviel mehr machen könnte…
Unsere Gegenüber sind zu 90% Männer, nein falsch: 90% unserer Gegenüber sind Männer… Nicht dass ich falsch verstanden werde…
Im kommenden Jahr gibt es einige Veränderungen in der finanziellen Unterstützung unserer Partnergemeinden zur Förderung ihrer Selbstständigkeit. Dies bringt viele Fragen und Verunsicherung mit sich. Obwohl dies einem Konzept folgt, das schon seit Jahr(zehnt)en umgesetzt und kommuniziert wird, haben viele die konkreten Auswirkungen entweder nicht verstanden oder sich nicht darauf Warieingestellt.
Nicht so die Frauen! Generell werden Frauen hier in Projekten als zuverlässigere Partner erlebt, nicht zuletzt weil sie – auch laut vielen malischen Männern – besser mit Geld umgehen können. In den letzten Jahren hat das nationale Leitungskomitee der Frauen zunehmend Profit gemacht mit dem Verkauf von Stoffen und anderen kleineren einkommensfördernden Aktivitäten.
Aus diesen Mitteln haben sie ein Grundstück gekauft, auf dem sie eine christliche Privatschule errichten wollen und damit finanzieren sie ihre jährlichen Konferenzen. In den Ortsgemeinden entwickeln sie Konzepte für eine gemeinsame Kasse, in die jede Frau einzahlt, dabei gibt es verschiedene Varianten:
Die Üblichste: Alle Frauen zahlen gleich viel ein und reihum bekommt eine Frau die Summe, um sich eine besondere Anschaffung zu ermöglichen.
Eine weitere Variante ist die individuell unterschiedliche Einzahlung, abhängig von den jeweiligen Möglichkeiten. Alles wird schriftlich festgehalten und geschieht im Beisein aller Frauen, d.h. es geschieht völlig transparent. Bei Bedarf können sich die Frauen dann einen vereinbarten Betrag als Kredit nehmen und müssen diesen unter den miteinander vereinbarten Konditionen spätestens bis zum Jahresende zurückzahlen. Das funktioniere gut und die Kasse sei nie leer, erklärt uns eine der beteiligten Frauen.
Auch das hören wir von Männern oft anders: Es gibt zwar Absprachen und Regeln im Umgang mit Finanzen, aber die (konsequente) Umsetzung gelingt nicht.
Sparen wird von vielen Maliern schwierig bis unmöglich empfunden, da so oft dringende und unvorhersehbare Ereignisse eintreten für die man das Geld dann einsetzt. Und da man hier nicht so individualistisch denkt und lebt wie in Deutschland, betrifft einen eine Notlage in der Großfamilie/ Verwandtschaft genauso wie die eigene…
Nun darf man nicht unterschätzen, dass Männer für deutlich mehr und unterschiedlichere Bereiche die finanzielle Verantwortung tragen. Diese Bereiche sind in einer malischen Familie getrennt und klar definiert. Und doch bleibt uns die Frage: Warum gelingt ein solch an sich einfaches Prinzip in unzähligen Frauengruppen, während viele Männerkomites unter ständigem Geldmangel leiden?
Die Initiative, das Engagement, die Konsequenz, die Effizienz der Frauen beeindrucken uns.
Weihnachtsstoff
Der Stoff, den die Frauen verkaufen, wird jedes Jahr extra zu Weihnachten produziert. Am 25.12. kommen dann (fast) alle in festlichen Kleidern aus dem gleichen Stoff genäht, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Das ist ein Anblick!

Klagelied

Bamako!

Hauptstadt MalisBlechhütten

Du Zentrum westafrikanischen Lebens

Man sagt, Du seist die

authentischste unter den afrikanischen Hauptstädten;

ein großes Dorf

Weiß eigentlich jemand,

wie viele Menschen in Dir wohnen?

Weiß jemand,

wo Du anfängst und wo Du aufhörst?

Bamako, Du authentischste unter den afrikanischen Hauptstädten

Deine Verkehrsregeln kennst nur Du,

aber Du scheinst welche zu haben.

Dein Lärm lässt einen immer wieder erwachen,

ob es die Nachtclubs sind oder der Muezzin.Bamako4

Deine Kontraste sind faszinierend

und erschreckend:

Klapprige Eselskarren neben

Porsche Cayenne;

Papp- und Wellblechhütten neben

Privatpalästen mit riesigen parkähnlichen Gärten;

aufgemotzte Prostituierte neben verschleierten Wahabitinnen;

klares Nigerwasser neben stinkenden Abwasserkanälen.

Bamako, Du authentischste unter den afrikanischen Hauptstädten

Feinstaub ist bei Dir ein Grundnahrungsmittel

Salatköpfe gepflanzt neben Hauptstraßen im Abgasnebel

Metzger mit frischem Fleisch,

das Rot unter dem Schwarz der Fliegenschwärme kaum zu sehen.

Ein Meer an Plastiktüten,

zerrissen, verbrannt, weggeworfen.

Bamako, Du authentischste unter den afrikanischen Hauptstädten

Wer bist Du?

Was glaubst Du?

Was soll aus Dir werden?Abwasser

Straßenverkäufer beklagen, dass die Klienten wegbleiben

und werden hartnäckiger.

Fehlende Kundschaft in den Kunstgewerbemärkten,

dafür Hotels vermietet an UN-Truppen,

gepanzerte Fahrzeuge mitten im Straßenverkehr.

Bamako, Du authentischste unter den afrikanischen Hauptstädten

Viele von uns haben Dich nicht geliebt,

zogen das Kleinstädtische oder Ländliche Deinen Bequemlichkeiten vor.

Jetzt bist Du unser Rückzugsort.

Nicht weil Du

sicherer bist als andere Orte.

Nicht weil in Dir

keine Anschläge passieren.

Einfach nur weil wir

weniger auffallen in Dir.

Weil wir leichter

in Dir unterzutauchen hoffen.

Manchmal denkt man, man glaubt es nicht.

Ein Seminar in der FATMES, der theologischen Ausbildungsstätte in Bamako. Auf der Tagesordnung steht das Thema Ehe, Scheidung, Wiederheirat. Wir sind gespannt darauf, wie malische Theologen diese Fragen behandeln. Aber dazu ist erst einmal Geduld angesagt. Als wir eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn ankommen, ist bisher nur der Moderator anwesend und wir fangen schon mal ein bisschen an über das Thema zu reden. Alfred soll mal eben in einem Schnelldurchgang seine Position schildern. Langsam gesellen sich andere Verantwortungsträger malischer Kirchen hinzu. Dann aber wird das Thema spontan gewechselt: Er habe seit einer Flugreise so einen hartnäckigen Husten, erklärt uns der Präses einer der größten evangelischen Gemeindebünde Malis und da habe man ihm ein Mittel verschrieben. Er habe nicht gewusst, dass das müde macht und als er dann nachts auf Clo gegangen sei, da sei er dort einfach in hockender Stellung eingeschlafen. Eine Stunde später habe sich seine Frau lampenwechselSorgen gemacht und ihn dort gefunden. Irgendwie ist das völlig natürlich, wie wir da so im lockeren Gespräch miteinander sind und über die Geschichte lachen, bis ich mir plötzlich vorstelle, der Vorsitzende von einem unserer Gemeindebünde in Deutschland hat Besuch von 3 ausländischen Gästen und trifft zusammen mit anderen Kirchenvertretern und erzählt uns… ihr wisst schon… Einmal mehr wird mir deutlich, wie kontextbezogen unser Reden und Handeln ist.

Als dann das Seminar anfangen soll, sitzen ganze vier junge Frauen außer uns vor dem Redner. Der Techniker, der eigentlich vorgesehen war, ist nicht gekommen und so bastelt Alfred schon mal ein bisschen an den Kabeln für die Lautsprecher rum. Als der Techniker dann doch noch kommt und alles angeschlossen hat wird festgestellt, dass man für 10 Leute ja eigentlich gar kein Mikro braucht. Auf abenteuerliche Weise wird noch schnell eine Birne gewechselt und dann wird gewartet… Als eine halbe Stunde später dann ganze 6 Frauen und 2 Männer da sind (neben uns und eben einigen Repräsentanten der Kirchenbünde und des theologischen Seminars) fangen wir dann doch noch an. Das Referat hält eine alter Pastor, der schon seit Jahren in Rente ist (hätten wir vermutlich auch anders entschieden…). Er gibt einen guten und ausgewogenen Überblick über verschiedene Ansichten, positioniert sich aber auch klar. Danach ist Referentnoch Zeit für Fragen und Diskussionen und ich sitze da und denke, ich bin im falschen Film: Die jungen Teilnehmer stellen so glasklare Fragen vor den betagten kirchlichen Würdenträgern, dass mir Hören und Sehen vergeht: Welche Konsequenzen das für eine Ehe hat, wenn sich nach der Hochzeit herausstellt, dass der Mann impotent ist und wie das mit Masturbation und Sexspielzeugen in der Ehe ist, wenn der Partner nicht befriedigt werden kann … Und die Pastoren antworten in aller Gelassenheit mal eher theologisch, mal eher seelsorglich und ich sitze da und bin fasziniert von diesem respektvollen und gleichzeitig so offenen Miteinander der Generationen. Manchmal denkt man, man glaubt es nicht…

Dangassa

90 km von Bamako entfernt liegt dieses recht große Dorf, Missionsgebiet, weit und breit keine christliche Gemeindearbeit. Ein kamerunischer Pastor, angestellt bei einer norwegisch lutherischen Missionsgesellschaft arbeitet mit unserer malischen evangelikalen Partnerkirche als Missionar – super! Das ist Globalisierung im positivsten Sinne! Nach 45 km Straße geht es über eben soviel rote Staubpiste, die durch die Regenzeit völlig ausgefahren ist, so dass wir 2,5 Stunden bis Dangassa brauchen. Im Gottesdienst sitzen neben der Familie des Pastors nur wenige andere Christen. Aber der Gottesdienst ist fröhlich und lebendig. Noch bis vor einem halben Jahr hatte ein einflussreicher älterer Mann aus dem Dorf am Gottesdienst teilgenommen und auch viele Kinder aus seiner Großfamilie mitgebracht. Das hatte die Akzeptanz in der Bevölkerung enorm gesteigert. Dann starb er ganz plötzlich und ohne bekannte Vorerkrankung. Pastor Prospère spricht seine Frustration nachher im persönlichen Gespräch deutlich aus. Mit dem alten Mann blieben auch die Kinder weg und die aufblühende Gemeindearbeit wurde fast von heute auf Morgen wieder fast auf Ausgangsniveau zurückgeworfen. Warum hat Gott das Gerlind Lämmchengeschehen lassen? Prospère und seine Frau Pauline lieben dieses Dorf und ihre Arbeit, das ist ihnen deutlich anzumerken. Und sie halten durch, bleiben da, machen weiter. Auch als vor einiger Zeit ihr Sohn beim Baden im Fluss ums Leben gekommen ist. Sein Leichnam wurde nie gefunden und Prospère und seine Frau leiden bis heute an dem Schmerz. Hilfreich für sie ist ein Projekt, das sie in den umliegenden Dörfern seit 3 Jahren durchführen. Nichts weltbewegendes aber doch sehr hilfreich: etliche Frauen bekommen Geld für 3 Ziegen oder ein paar Hühner geliehen. Sie werden geschult in Tierhaltung, lernen Lesen und Schreiben und müssen dann nach 2 Jahren das Geld zurückzahlen. Ob das funktioniert? Obwohl die Regeln ziemlich hart sind, scheint es zu gehen: die Frauen zahlen zurück und erwirtschaften einen Gewinn. Und alle sind sich einig: bei Männern ginge das nicht. Woran das liegt, fragen wir und bekommen zu hören, dass Frauen besser in der Lage sind, Geld Dorfchefbeieinander zu halten und gewissenhaft mit geliehenem umzugehen. Prospère ist in einer Art Aufsichts- und Beratungsgremium dieses Projektes und eine Christin in seiner Gemeinde betreut und begleitet die Frauen. Auch das imponiert uns: die junge Frau hat Soziologie/Anthropologie studiert und ist sich nicht zu fein, jetzt jenseits von Nirgendwo mit Frauen in Hühnerställen und Ziegengattern ihre Zeit zu verbringen. Wir dürfen uns in einem Dorf die kleine Tierzucht anschauen, sitzen noch ein bisschen plaudernd beim Dorfchef, dem man das gute Verhältnis zu Prospère und seinem Team abspüren kann.

Um der langen Fahrt über die Piste zu entgehen, entscheiden wir uns auf der Rückfahrt die Fähre zu nehmen. An sich eine gute Idee, aber da die Leute dort aus Kostengründen nicht mehrmals den Fluss überqueren wollen, sitzen wir 2 Stunden am Strand des Nigers und warten, bis es fast dunkel ist und die Fähre endlich kommt, weil jetzt mehrere Autos gekommen sind. Einziger Lichtblick ist da der alte Griot (ein singender Geschichtenerzähler), der auf seiner „Gitarre“ spielt, singt und die Frauen um ihn herum zum Tanzen bringt. Griot

Rüstzeit in Ségou

Benjamin kann leider nicht mitkommen, denn in der letzten Nacht hat ein Zahn im so starke Schmerzen bereitet, dass er zum Zahnarzt in die Nachbarstadt muss, um sich den Zahn ziehen zu lassen. Er sieht wirklich ziemlich mitgenommen aus. Seine Frau Rachel aber kommt mit uns. In Ségou angekommen ruft uns der Präses an, dass es bei ihm später wird. Der Bus, der um 14:00 fahren sollte, steht 2 Stunden später immer noch in der Hauptstadt. Irgendwann ruft er noch mal an, wir sollen schon mal anfangen, es würde wohl Nacht werden, bis er da ist… Wir, das sind 2 Frauen und 6 Männer, sitzen draußen auf einer Kirchenbank und ein paar Plastikstühlen und plaudern über die verschiedensten Themen. Es macht uns immer wieder Freude einfach dabei zu sein, zuzuhören, wenn Geschichten erzählt werden, über die besten Fernbusgesellschaften philosophiert oder über Politik diskutiert wird. Es fällt uns immer wieder auf, wie viel einfach miteinander gelacht wird – selbst bei kurzen spontanen Begegnungen. Zwischendurch fahren wir ein Stück aus der Stadt raus. Hier hat das nationale Frauenkomitee der Kirche schon vor ein paar Jahren eEcksteinin Grundstück gekauft und wünscht sich, dort eine Schule bauen zu können. Gewissenhaft wird uns jeder Grenzstein gezeigt, der Brunnen begutachtet und ebenfalls ein kleines Zimmerchen, das schon gebaut wurde. Beim Plumpsklo wagen wir dann doch mal zu sagen, dass er nicht unbedingt nötig ist, uns alles zu zeigen… Abdias bekommt einen Anruf seiner Frau, dass seine Tochter bei einem Verkehrsunfall wohl den Arm gebrochen hat und ins Krankenhaus gebracht wird. Wir beten miteinander für ihre Gesundheit und eine Stunde später kommt die Nachricht, dass der Arm nicht gebrochen ist. Ein Mann kam bei dem Unfall ums Leben – auch das gehört hier zum Alltag; gerade im Verkehrt sterben so viele Leute. Nach dem Abendessen, das die Frauen aus der Gemeinde gemeinsam im Hof gekocht haben, wird Hezechiel dann doch sehr müde, so dass wir es irgendwann nicht mehr mit ansehen können und die Gesellschaft auflösen, damit er ins „Bett“ kann. Wir dürfen auf dem Dach unser Zelt aufschlagen und genießen es einmal mehr unter freiem Himmel bei Vollmond schlafen zu können. Irgendwann in der Nacht ist dann Enoc auch noch gekommen und so können wir am Morgen mit dem eigentlichen Programm starten. Zuerst denken für über einen Bibeltext nach. Ich wurde gebeten, die Bibelarbeit zu halten und bei den verschiedenen Gedanken ist mal ein zustimmendes Nicken und mal ein nicht zu interpretierendes vor sich hin schauen zu registrieren. Als ich dann allerdings einen Abschnitt des Textes anhand einer Tierfabel erläutere, sind alle hellwach, lachen, gehen mit, schütteln den Kopf und sagen mir nachher, dass sie zu diesem Text noch nie eine so leicht verständliche Auslegung gehört hätten – ich verstehe schon, warum Jesus so viel in Gleichnissen geredet hat. Und dann beten wir ein paar Stunden miteinander. Tatsächlich halten sich alle daran: das ist keine Sitzung, sondern eine Gebetszeit! Es wird nicht diskutiert, sondern verschiedene Dinge kurz erläutert und dann dafür gebetet. Wir sind dankbar, dass wir uns so treffen können und es uns wohl tatsächlich allen gut tut, eine solche Gemeinschaft miteinander zu haben.

Und nun sind wir wieder zurück in Bamako. Eine Woche im Norden, viel zu kurz für unser Empfinden, aber doch eine gute Zeit. Jetzt hat uns die Hauptstadt wieder. Mit allem wüsten Treiben, nahezu kompletter Anarchie im Straßenverkehr, Staub, Lärm, deutlich besserem Baguette und eindeutig mehr „Bleichgesichtern“ als in Sévaré (wo wir tatsächlich in der ganzen Zeit keinen einzigen dieser Gattung – außer uns selbst – zu Gesicht bekommen haben).

Sitzungen und Besichtigungen

Eine Woche in der alten Heimat Sévaré geht zu Ende. Da wir nur so kurz bleiben konnten, waren die letzten Tage mit Sitzungen und Besprechungen gefüllt. Zunächst mit dem Koordinator der malischen Hilfsorganisation, dann mit dem Leitungskomitee, dann noch hier und da Absprachen und ein paar Besuche. Insgesamt haben wir das Gefühl, dass die Zusammenkünfte ein zunehmend konstruktives Klima haben. Das macht uns froh, auch wenn uns klar ist, dass vieles uns gegenüber nicht gesagt wird – wir bleiben halt Leute aus einer anderen Kultur, die von außen kommen. Gestern durften wir in einer SchülerSchule fotografieren und filmen – der Direktor ist ein langjähriger Freund von uns, so war das kein Problem und wir bekamen mit, wie engagiert die Kids hier dem Unterricht folgen (selbst obwohl ein Weißer mit seiner Kamera herumspringt): Wer die Antwort weiß, kann es kaum abwarten, dran genommen zu werden. “Moi, moi, moi” (ich, ich, ich) brüllt es aus allen Ecken durch die Klasse und unzählige Finger fliegen in die Höhe.  “Wir können ihnen tausendmal sagen, dass sie sich nur melden sollen, aber sie sind dann so bei der Sache, dass sie ständig aufspringen und in die Klasse schreien.” … dieses Engagement istGartenarbeit uns aus Deutschland nicht ganz so bekannt… Heute konnten wir zumindest ein Gartenbauprojekt besuchen und somit auch mal die Büros verlassen. Für die Frauen in so einem Dorf ist das immer wieder eine gute Hilfe um die Nahrung vielfältiger zu gestalten oder ein bisschen hier und da zu verkaufen. So Stück für Stück bekommt man mit, wie stark hier die Frau mit Kind im GartenUnsicherheit das Leben der Leute beeinflusst. Viele Leute lebten fast ausschließlich vom Tourismus, der in den kühlen Monaten einiges einbrachte. Das fällt jetzt nahezu komplett weg. Auch die vielen Kunsthandwerker können ihre Produkte fast nur an Weiße verkaufen und die gibt es nun fast nicht mehr. Der Weihnachtsmarkt in Bamako war da für viele noch eine Hoffnung auf etwas Verdienst, weil gerade Menschen aus Europa und den USA dort kaufen gingen. Nach der Attacke auf das Hotel in Bamako scheint auch das jetzt auszufallen. Was soll das für ein Gott sein, in dessen Namen nicht nur Menschen getötet werden, sondern auch vielen anderen die Lebensgrundlage entzogen wird?

Ab morgen werden wir dann gemeinsam mit dem Leitungskomitee unserer malischen Kirche eine “Rüstzeit” haben. Da freuen wir uns sehr drauf: keine Sitzungen, keine Entscheidungen, keine Geldfragen, sondern gemeinsames Bibelstudium, Gebet und auch einfach nur miteinander im Gespräch sein…

Inkognito

Gerlind im Garten
Graue Maus??

Manchmal ist es wirklich zum K…. In einer Beziehungskultur Sicherheitsmaßnahmen zu beachten, das ist so paradox, dass es geradezu wütend macht. Oft schon bei der Begrüßung tauscht man hier Informationen aus: Wo bist du gewesen? Wie lange bleibst du? Wo geht es hin? Und das alles dürfen wir jetzt nicht mehr sagen, um nicht berechenbar zu sein. Graue Maus sollen wir sein – und das in einer Stadt, in der wir als Weiße selbst nachts im Tunnel bei Neumond auffallen würden! Wir lieben es, über den Markt zu gehen, mit den Leuten in ihrer Sprache zu reden, zu lachen, sich gegenseitig aufzuziehen – aber wenn wir das tun, dann kann in kürzester Zeit fast jeden wissen, wer wir sind und wo man uns finden kann. Wie gerne sprechen wir mit den Koranschülern im Nachbarhaus, fragen nach ihrem Leben, ihren Familien, ihren Lehrern. Aber jetzt müssen wir sie als potentielle Informanten der Unabhängigkeitskämpfer der Peulh betrachten: Ein kurzer Gruß und ab ins Haus. Es fühlt sich krank an so zu leben! Auch wenn es nur für wenige Tage ist. Wir sprechen mit einem malischen Freund darüber und er schildert uns, dass vieles bei ihnen ähnlich geworden ist: jeder Fremde ist zunächst suspekt. Seine Frau berichtet, wie sie einen bettelnden Koranschüler laut schreiend aus dem Hof gescheucht habe, als er hineinkam und Wasser von ihr wollte – keine weiß, ob das nur ein Vorwand ist um Dinge auszuspionieren. Ist das Realismus oder sind jetzt alle paranoid? Ich frage mich, ob das in Paris und Brüssel ähnlich ist. Und in Deutschland? Wie gesagt: manchmal macht es einfach wütend!

von Partnern und Namensvettern

Das war heute eine Mut machende Zusammenkunft: Unsere malische Partnerkirche hat seit dem vergangen Jahr ein Komitee eingesetzt, das ab nächstem Jahr die Verantwortung tragen soll für die verschiedenen Projekte, die die Kirche besonders mit Geldmitteln der Allianz-Mission durchführen will. Unsere Schwerpunkte sind nicht immer dieselben und oft ist unser (deutscher) Eindruck, dass die kurzfristigen Notwendigkeiten stärker im Vordergrund stehen als langfristige Planungen und auch als theologische Überzeugungen. So war es für uns heute eine Freude engagierte Menschen in diesem Komitee zu treffen, mit denen wir offen über unterschiedliche Meinungen diskutieren konnten, die aber durchaus auch eigene Vorstellungen haben, die uns beeindruckten. Dass die Verwendung von Geldmitteln ganz transparent abläuft und auch sehr ländliche Dorfgemeinden lernen müssen, wie man Geld und Material so verwaltet, dass sie nachvollziehbar Rechenschaft abgeben können, das begegnet uns nicht immer. Und gerade bei einem oft so sensiblen Thema wie Geld eine so konstruktive und positive Atmosphäre zu haben, das macht uns Mut. … mal ganz abgesehen davon, dass 2 der 5 Gremienmitgliedern für diese 2-3 stündige Sitzung 600 km gefahren sind (pro Strecke!)… Das zeigt, dass hier wirklich engagierte Leute gewählt wurden. Toggere2

Und eine kleine Geschichte am Rande: Auf unserem Grundstück wohnt schon seit vielen Jahren (schon als wir noch hier lebten) eine Familie mit Kind- und Kindeskindern. Nun ist der erwachsene Sohn auf den glorreichen Gedanken gekommen, seinen Neugeborenen nach Karsten zu benennen. Das ist einerseits eine nette Geste der Dankbarkeit, andererseits aber auch der Wunsch, dass der Namensgeber dann auch für gewisse Dinge im Leben seines Namensvetters aufkommt. Nun ist es schon fast ein Verbrechen in Mali jemanden Karsten zu nennen, denn das kann fast keiner aussprechen (deshalb wurde ich auch fast nur „Pascher“ genannt). Die Geburtsurkunde ist mit Beratung langjähriger Mitarbeiter dann sogar korrekt ausgestellt worden. Ein anderes offizielles Papier nennt den armen Säugling allerdings Karçain. Aber auch das geht den Leuten hier nicht gerade leicht über die Lippen, daher wird der Knirps jetzt in der Regel „Docteur“ genannt. Na klasse, ich „freue“ mich schon auf seine Kommentare, wenn ich ihm in vielleicht 15 Jahren als Jugendlichen begegne…