Besuch einer Madrasa

Wenn man in Mali auf die Schule gehen will, dann stellt sich nicht nur die Frage auf welche Schule man gehen möchte, ob es eine öffentliche oder eine privat geleitete Schule ist, sondern man darf oder muss sich auch für ein Schulsystem entscheiden. Neben der klassisch französischen und der muttersprachlichen Alternative gibt es nämlich noch die franko-arabischen Schulen und die Madrasa. Und die Möglichkeit eine solche zu besuchen hatten wir vor 2 Tagen. Zunächst sieht fast alles so aus wie überall: Viele Klassenräume mitten in Bamako mit einem großen Schulhof, ein paar Lehrer- und Direktorenbüros. Nur fällt auf, dass die Mädchen durch die Bank verschleiert sind, was ja auch nicht verwundert und Jungen und Mädchen auf getrennten Seiten sitzen. Auch die Sprache, in der hier die Lehrer untereinander oder die Lehrer mit den Schülern kommunizieren, ist nicht Bambara oder Französisch, sondern Arabisch. Etienne und ich erklären, dass wir selbst mit dem Betrieb einer Schule begonnen haben und gerne besser verstehen möchten, wie andere Schulen arbeiten. Die Verantwortlichen geben uns bereitwillig Auskunft und so erfahren wir, dass es hier 2 Schulformen gibt: die franko-arabische Schule ist eigentlich nicht viel anders als wir es vom klassischen Schulsystem kennen, nur dass Arabisch die erste Fremdsprache ist. Die Fächer werden ansonsten fast alle in Französisch unterrichtet. Auf der anderen Seite des Schulhofs gibt es dann die Arabisch-französische Schule oder auch Madrasa. Hier sieht das Ganze schon etwas anders aus: Arabisch ist die Hauptsprache und Französisch die erste Fremdsprache. Neben den klassischen Fächern (Mathe, Bio und was nicht alles) werden auch der Koran, der Hadith, islamische Theologie und islamische Verhaltenskunde unterrichtet. Lehrbücher werden aus dem Französischen ins Arabische übersetzt und trotz dieser völlig anderen Schwerpunktsetzung wird auch in diesem Zweig das Abitur gemacht. Und danach können die Abiturienten für einige Fächer auf eine arabischsprachige Universität hier in Bamako gehen. Die Schulgebühren für die Madrasa sind sehr niedrig im Vergleich zu anderen öffentlichen Schulen, die des franko-arabischen Zweigs mehr als doppelt so hoch und der Direktor macht kein Geheimnis daraus, dass dies ein häufiger Grund ist, warum Eltern sich für die Madrasa entscheiden…

Fotoshooting mit Pastor Enoc

Im Mai kommt eine Delegation von 5 Maliern zu uns nach Deutschland und wir planen schon lange das Programm und freuen uns auf die gemeinsame

eine von Enocs Töchtern

Zeit – wenn sich die Gegebenheiten mal umdrehen und wir die Gastgeber und die Malier die Gäste sind. Pastor Enoc wird auf dem AM-Freundestag die Predigt halten und da er davor mit einem kurzen Clip vorgestellt werden soll, war gestern ein Foto- oder vielmehr Filmshooting angesagt. Und so hatte ich Gelegenheit an einem Nachmittag durch die wichtigen Lebensräume dieses vielseitigen Pastors geführt zu werden. Zwar waren mir seine Aktivitäten an sich bekannt, aber wenn man sie dann mal so alle hintereinander besucht, kommt man aus dem Staunen nicht heraus:

Wir begannen in seiner Familie. Enoc und Madeleine haben 5 Mädchen und

REMAR

3 Jungs, einige davon schon erwachsen, aber immer noch viel zu tun und auch für die Ausbildung zu bezahlen. Dann machten wir uns auf den Weg zu einem Projekt „REMAR“, wo sich ein Team von Leuten aus verschiedenen afrikanischen Ländern um Straßenkinder kümmert. Enoc ist da – wie soll man sagen – so eine Art Vorstandsmitglied und nicht selten auch mal gefordert, wenn man ganz praktisch den Kids helfen muss.

Später besuchten wir seine Schule, die er vor Jahren gegründet hat und in der

als Bauherr der Schule

jetzt hunderte von Kindern lernen und die immer noch weiter aufgestockt wird. Enoc stellt die Lehrer ein, kümmert sich mit Hilfe anderer um die Finanzen, hat die Bauaufsicht und fragt mich dann noch, ob ich mir mal ein Kind anschauen könne, das an Asthma leide und um das er sich Sorgen mache – selbst dafür hat er noch einen Blick.

als Viehzüchter

Und weiter geht die Reise, vorbei an seinem Reisfeld, wo er dieses Jahr 42 Sack Reis ernten konnte, zu dem, was mich am meisten beeindruckt: Enocs Schweinefarm! Ein Pastor der bei den Schweinen gelandet ist??? Ca. 45 Minuten von der Hauptstadt entfernt liegt sein Viehzuchtprojekt – die 35 Rinder sind mit den Hirten unterwegs, aber die Schweine sind alle in ihrem Gehege. Da stapft er mit seinem blauen Anzug zwischen den Schweinen herum, gibt mal hier, mal da einer Sau einen Klaps auf den

und nochmal als Viehzüchter
Imam

Hintern und erklärt mir, was er hier tut: Schweinefleisch ist sehr gefragt – sowohl von Restaurants als auch von Privatleuten. Und so fing Enoc vor Jahren mit 2 Schweinen sein Projekt an auf einem Grundstück, das für die Leute im Dorf wertlos schien. Mittlerweile holt jemand jeden Tag fässerweise Essensreste kostenlos aus den Restaurants in Bamako ab und bringt sie zur Schweinefarm. Dort arbeiten eine Reihe von Leuten, füttern und tränken die Schweine, bewachen das Grundstück vor Schweinedieben und bringen den Schweinkot zusammen, damit er sowohl für Enocs Reisfeld als auch für so Manchen im Dorf als Dünger dient. „Das Projekt“, so erklärt er mir, „bringt nicht nur mir ein gutes Auskommen. Ich habe damit auch die Möglichkeit einer Reihe von Leuten Arbeit zu geben. Außerdem ist das auch für meine Arbeit als Pastor wichtig: die Leute sehen, dass ich nicht nur im Büro sitze oder auf der Kanzel stehe, sondern dass ich mit meinen Händen arbeite wie sie auch – das bringt so manchen Kontakt auf eine persönliche Ebene.“ „Kontakte zur Dorfbevölkerung durch Schweinezucht im islamischen Umfeld??“, denke ich und rümpfe innerlich eine bisschen die Nase, aber dann werde ich eines Besseren belehrt: vor der Schweinefarm sitzt der Imam des Dorfes und hat ein offensichtlich sehr herzliches Verhältnis zu Enoc – die zwei begrüßen sich freundschaftlich und sind sofort miteinander im Gespräch – Schweine hin Schweine her…

Ins Gefängnis fahren wir heute nicht mehr, da waren wir schon beim letzten Besuch, aber auch da arbeitet Enoc mit als Gefängnispastor. Dass er außerdem noch Pastor der Zentralgemeinde und Präses unseres Gemeindebundes ist, sei nur am Rande erwähnt.

Wie macht er das? Hat bei ihm der Tag 72 Stunden? Enoc hat ein Händchen dafür, Arbeit an andere zu delegieren. Er muss nicht alles selbst machen und er fängt klein an, lernt aus Rückschlägen und ist immer neugierig. Ich freue mich drauf, wenn Enoc im Mai zu uns kommt. Ich glaube, wir können in Deutschland viel von ihm lernen – z.B., dass ein Pastor bei den Schweinen nicht unbedingt der verlorene Sohn ist, sondern vielleicht der, der den verlorenen Söhnen und Töchtern in ihrem Mist begegnet.

Zwischen Tradition und Moderne

Irgendwie wird es mir nicht langweilig immer wieder zu erzählen von den Gottesdiensten – euch? Diesmal in San, 450 km nordöstlich der Hauptstadt. Bis dahin kann ich noch vordringen, danach fängt die „rote Zone“ an. San ist noch eine der wenigen Kirchen, die kein eigenes Gebäude haben und sich deshalb die Gottesdienstbesucher unter einem Strohdach treffen. Daher fangen die Gottesdienstvorbereitungen schon früh an, denn alle Stühle müssen aus dem Lager geholt und aufgebaut werden, ebenso wie die Verstärkeranlage, denn es sind immerhin über 100 Leute, die sich da versammeln. Das Ambiente hat schon etwas Rühriges: Mitten im Hof des Pastorenhauses sitzen wir dicht beieinander unter einem vielleicht 1,90 Meter hohen Strohdach – wer größer ist, lernt da Demut, denn immer wieder stehen wir zum Singen oder Beten auf. Die Kinder sitzen wie immer auf dem Boden auf einer Matte. Neben uns wühlen ein paar kleine Ferkel im Dreck, der Hahn kräht ab und zu mal seine Bestätigung – nur der Esel gibt glücklicherweise heute keinen Laut von sich. Der Aufbau der Musikanlage geht noch den halben Gottesdienst weiter. Auf abenteuerliche Art und Weise werden mit den Zähnen Kabel abisoliert, verbunden und der Verstärker mit der Autobatterie im Pastorenhaus verbunden. Und dann das Kontrastprogramm. Ich habe mein Liederbuch in der Sprache der Bambara vergessen und da holt Pastor Ezechiel seit Smartphone aus der Tasche und öffnet seine Liederbuch-App. Uff, damit hatte ich nicht gerechnet! Zwischendurch kommt immer mal sein Enkel zu im gelaufen. Die beiden hängen aneinander, das ist zu schön zu sehen. Auch bei den Instrumenten mischt sich Tradition und Moderne: Balaphon und Djembe sind genauso dabei wie E-Gitarre und Digitalschlagzeug. Als die Bambaralieder zu Ende sind, kommen die der Bobos: eigenwilliger Rhythmus und pentatonische Melodieführung (wem das was sagt…) und man merkt sofort den Unterschied: fast alle hier gehören der Ethnie der Bobos an und das ist ihre Sprache, das ist ihre Musik. Die jungen Leute hält es nicht auf ihren Stühlen. Sie gehen neben das Strohdach und fangen an zu tanzen – echt beeindruckend die Schrittfolge und Bewegungsmuster und alles im Einklang. Das ist wirklich mal ein ganzheitlicher Lobpreis! Und außerdem kommt man vor der Predigt noch mal richtig außer Atem, so dass man sich dann besser konzentrieren kann. Netterweise darf ich hier predigen und es macht immer wieder Freude wie uns Gottes Wort über die kulturellen und sprachlichen Grenzen hinweg zusammenbringt.

Gottesdienst in San, nach 2,5 Stunden werden die Stühle wieder abgeräumt, die Anlage abgebaut aber die Jugend macht noch weiter Musik. In Kürze müssen sie nicht mehr unter dem Strohdach sitzen, denn bald ist ein Gebäude fertig, das zumindest vorübergehend als Gottesdienstraum genutzt werden kann. Da freuen sich alle drauf. Nur, wo tanzt dann die Jugend???

 

Ein Tag mit meinem Ex-Team

An diesem Tag bin ich von vorne bis hinten mit den Mitarbeitern unserer Partner NGO (nicht-Regierungsorganisation) zusammen. Am Morgen eine lange Sitzung, wo sie mich Stück für Stück einführen in das, was sie an Aktivitäten im letzten Jahr hatten: über 200 AIDS-Kranke wurden betreut, ein neues Gartenprojekt gegründet, viele Landwirte mit verbessertem Saatgut versorgt und angeleitet, ein paar Brunnen gegraben, die Buchhaltung überarbeitet… Und dann sprechen wir über Sicherheit: dort, wo sie in die Dörfer fahren, gehen immer wieder Mienen hoch, die dort versteckt werden, oder sie kommen in ein Dorf und bekommen einen Anruf, sie sollen so schnell wie möglich wieder wegfahren – irgendjemand warnt sie, weil wieder Motoradattentäter mit ihren Kalaschnikows unterwegs sind. Und wir reden über Geld: weil nur noch so wenig Organisationen in diesem Gebiet arbeiten, ist es schwer Partner zur Projektfinanzierung zu finden und damit sind ihre Gehälter sehr bescheiden. Ich erzähle von Deutschland, berichte über die Neuigkeiten aus der Allianz-Misssion. Gemeinsam füreinander betend beschließen wir die Sitzung.

Am Nachmittag nehme ich die gesamte Mannschaft mit in den gepflegten Stadtpark von Bamako – sie waren, wenn überhaupt, schon ewig nicht mehr da und wir schlendern gemütlich durch das satte Grün und die hohen Bäume. Spazieren gehen ist für viele Malier eine fast unbekannte Tätigkeit, aber da müssen sie heute durch – dem Besuch aus Deutschland zuliebe. Und ich hoffe, es hat ihnen auch ein bisschen Freude bereitet.

Am Abend holen wir dann noch ein paar Hähnchen vom Grill und Fritten dazu, setzen uns unters Strohdach, vertreiben die Mücken mit Insektenspiralen (keine Ahnung, wie man das auf Deutsch nennt) und plaudern bis tief in den Abend. Menschen, die ich zum Teil seit 25 Jahren kenne, die mir ans Herz gewachsen sind, die mir manchmal ganz nah und dann auch wieder ganz fremd sind.

Strömungsverhältnisse

Nach einem langen Sitzungsvormittag mit Daniel, dem Leiter unserer Hilfsorganisation, kommen am Nachmittag auch die anderen Mitglieder des Leitungskomitees an: fünf Herren und eine Frau. Es ist schön, ihnen hier so miteinander zu begegnen, denn seitdem wir nicht mehr in den Norden fahren können, sehen wir uns nur noch selten und so sitzen wir unter einem Strohdach zusammen und plaudern. Das Gespräch kommt auf die staatliche Stromerzeugergesellschaft zu sprechen. Alle leiden unter den ständigen Stromausfällen – besonders in der heißen Zeit, wo man ihn am dringendsten braucht. Man weiß aus sicherer Quelle zu berichten, wo der ganze Strom und das viele Geld abbleiben. Viele Politiker beziehen reichlich Strom (und versorgen damit die gesamte Großfamilie), bezahlen aber keine Rechnungen und niemand traut sich, ihnen den Strom abzustellen. Und dann gibt es die Leute von der Stromgesellschaft selbst, die Deals mit Großabnehmern machen nach dem Motto: die Rechnung wird nur auf 1/3 des Verbrauchs ausgestellt und die anderen 2/3 teilen wir uns. Weiterhin gibt es da die Elektriker, die sich darauf spezialisiert haben, Zähler entweder zu manipulieren oder die Zugangsleitung so anzuzapfen, dass der Zähler umgangen wird. Aber auch der Kleinverbraucher hat so seine Mittel und Wege: der Zähler wird zwar ordnungsgemäß draußen gut zugänglich angebracht, aber dann der Hund unmittelbar darunter festgebunden, sodass der Stromableser freiwillig unverrichteter Dinge weitergeht. Oder der Nachbar bekommt großzügig einen Unterzähler angeboten. Das spart eine Menge Geld, weil die Installationskosten des Stromunternehmens wegfallen – aber dann werden die Kabel so geschickt verlegt, dass auch der Verbrauch des Stromgebers über den Nebenzähler läuft und der Nachbar so alles zahlt. Die Tricks sind reichhaltig und alle kennen sie. Kürzlich wurde jemand Chef des Stromanbieters, der vorher bei einer Großbank gearbeitet hatte und seinen Job begann er damit, dass er sagte, er habe eigentlich alles, was er brauche und benötige kein Schmiergeld. Und dann fing er an aufzuräumen: Brachte Regelungen auf den Weg, durch die auch die hohen Tiere plötzlich ihre Stromrechnung zahlen mussten, deckte die heimlichen Absprachen auf usw. Aber es dauerte nicht lange, da war er im wahrsten Sinne des Wortes in den Ruhestand befördert worden, sprich: nun sitzt er irgendwo im Ministerium, wo er niemandem etwas tun kann, liest Zeitung und wartet auf Dienstschluss. Es ist überall dasselbe auf dieser Welt: wenn du zu vielen oder zu wichtigen Menschen gleichzeitig auf die Füße trittst, zieht dir das bald selbst die Beine weg…

Es ist überall dasselbe, nur scheinen sich die Malier daran so gewöhnt zu haben, dass sie diese Geschichten lachend erzählen. So sei das halt in Mali. Wut kommt da keine mehr auf, obwohl sie die Leittragenden sind. Und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gibt es hier dann für solche „Kleinigkeiten“ auch nicht.

Der Streik wider den Streik

Es kann einen schon manchmal zur Verzweiflung bringen: Mali hat so viele Probleme und dazu noch eine Schulbildung, die allen im Lande Sorge macht. Wie würde man sich da wünschen, dass alle an einem Strick ziehen: Schüler, Eltern, Lehrer, Politiker… Stattdessen wird gestreikt, was das Zeug hält. Die Lehrer haben alle möglichen Forderungen: mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen, ausgewogenen Vertretung in was-weiß-ich-für Gremien… Ich kann nicht beurteilen, was davon berechtigt ist und was nicht. Die Folge ist aber, dass der Schulunterricht an den öffentlichen Schulen alle Nas lang ausfällt: schon am ersten Schultag im Herbst begann der erste Streik und die Eröffnung musste verschoben werden und seitdem wechseln Streik und Schulzeit sich ab – jedoch hat es seitdem mehr Zeiten ohne als mit Schule gegeben und langsam mehren sich die Stimmen, die davon ausgehen, dass das „une année blanche“ wird: ein Jahr, wo keine Prüfungen stattfinden können, weil nicht genug Schulzeit war – also: alle müssen wiederholen.

Jetzt reicht es den Schülern und die Schülervereinigung hat einen Streik wider den Streik organisiert. Regierung und Lehren sollen sich endlich einigen und die Streiks beenden, sonst kommen die Schüler nicht zum Unterricht. Was sich zunächst völlig paradox anhört, hat doch seine Berechtigung. Denn diesmal bestreiken die Schüler auch die Schulen privater Träger. Vor Jahren hatte der damalige Premierminister und jetzige Präsident den Schülern gesagt, sie würden sich mit Streiks ja nur ins eigene Fleisch schneiden, denn die Kinder der Reichen und Politiker würden auf private Schulen gehen und somit der Unterschied zwischen ihnen nur noch größer. Also schicken jetzt die Schüler Streikposten auch an private, ausländische und konfessionelle Schulen und fordern die Schüler auf, den Unterricht zu verlassen. Schulen, die trotzdem weiter Unterricht geben, laufen Gefahr Opfer von Vandalismus zu werden. Ob das hilft? Leidtragend sind immer die Kinder und was das beste Mittel ist, die Verantwortlichen zur Verständigung zu bringen, ist schwer zu sagen. Aber verstehen kann ich die Schüler allemal. Was bleibt an Zukunft, wenn man dir die Schulbildung nimmt oder auf ein Minimum reduziert?

Und deshalb hätte ich heute eigentlich gar nicht „unsere“ Schule in Niamana besuchen können, denn der Unterricht sollte aus Vorsichtsgründen auch dort ausfallen. Aber da die Ferien vor der Tür stehen, haben sie doch ein bisschen Unterricht gemacht, damit ich nicht nur leere Gebäude sehe. Und wie immer war es eine Freude, dem Unterricht beizuwohnen: Spielerisch in kleinen Theaterstückchen lernten die Erstklässler in Alltagssituationen Französisch zu sprechen: Ein Einkauf auf dem Markt, wo kleine Stöckchen die Tomaten und Bananen darstellten. Und dann ein Gespräch über Kopfschmerzen und wo man am Besten Hilfe finden kann. Manche Kinder brüllten ihren Text geradezu hinaus, andere flüsterten kaum hörbar vor sich hin – aber allen schien es Spaß zu machen. Und dann die Pause: die neu angeschafften Spielgeräte waren der Renner: unter einem kleinen Wellblechdach tummelten sich alle 40 Schüler und bevölkerten die soliden Schaukeln, Wippen, Rutschen… Deutliches Zeichen ihrer Begeisterung: als ich zum Auto ging und die obligatorischen Gummibärchen rausholte, wären normalerweise alle Kids im Eiltempo bei mir gewesen – heute war keiner vom Spielplatz wegzukriegen und ich konnte die Tüten in aller Ruhe an Lehrer Bamadio und Dolo geben.

Herr Dolo und Herr Bamadio haben Pause
Karussell fahren

Gerade heraus

Er ist kein Intellektueller. Französisch sprechen geht, aber das Schreiben ist oft abenteuerlich. Und er arbeitet schon lange mit uns zusammen. Früher ist er oft hochgegangen, wenn ihm etwas gegen den Strich ging, heute ist er ruhiger geworden. Aber Temperament hat er immer noch. Und je länger ich ihn kenne, desto mehr lerne ich manches an ihm schätzen. Denn er hat etwas, was ich hier oft vermisse. Letztens habe ich eine Entscheidung getroffen, die seinen Verantwortungsbereich betraf, ohne mich mit ihm abzusprechen. Bei unserem nächsten Treffen kam das auf den Tisch: „Pascher, das war nicht in Ordnung“, sagte er mir gerade heraus. Ich bin de facto sein Chef, letztlich sein Brötchengeber. Aber das spielte jetzt bei ihm keine Rolle. Und Recht hatte er – ohne Frage. Und das erlebe ich auch bei ihm in Kontakt mit anderen: seine Worte sind manchmal hart, seine Vorgehensweise oft nicht gerade diplomatisch, aber er lässt heraus, was in seinem Herzen ist. „Manche Weiße denken immer noch, sie sein etwas Besseres nur weil sie weiß sind“, sagt er mir heute ungeschminkt. „Aber die Zeiten haben sich geändert“. Und das kommt nicht rebellisch oder plakativ, sondern entspannt, sachlich – erwachsen halt; unbeeinflusst von Bildung, Stand, Abhängigkeiten. Stimmt das, was er da über uns sagt? Wieviel „Patron“ steckt tatsächlich in uns drin? (Dazu in den nächsten Tage mal mehr.) Und dann aber das zweite, was ich an ihm schätze: ich entschuldige mich bei ihm für mein Vorgehen, gebe ihm Recht und er nimmt spontan die Entschuldigung an und es ist ihm ernst damit. Und sowohl bei mir als auch bei anderen habe ich noch nie erlebt, dass er wieder etwas hervorholt, was er einmal vergeben hat.

P.S.: Das Bild ist nur beispielhaft und zeigt jemand anderen!

Frauenfragen

Gottesdienst in Sabalibougou, einem Vorort von Bamako. Ich weiß nicht, wo genau im Dorf die Kirche liegt, aber da der Ort nicht groß ist, denke ich, ich frage mich durch. Aber Vororte von Bamako wachsen jede Woche und es stellt sich raus, dass ich da etwas naiv drangegangen bin. Bei der Frage nach der Kirche werde ich zuerst zu den Katholiken geleitet, bis mir dann jemand erklärt, dass die evangelische Kirche genau auf der anderen Seite des Dorfes liegt, mir dann aber den Hof einer Familie zeigt – keine 100 Meter entfernt – wo eine protestantische Familie lebt. Und just da fährt ein mir gut bekanntes Gemeindemitglied mit dem Auto aus seinem Hof, sieht und erkennt mich, hupt und geleitet mich dann zur Kirche! Ein Engel am Wegesrand…

Nach dem Gottesdienst dann wie so oft ein Plausch mit ein paar Gemeindemitgliedern – heute vor allem aus dem Leitungskreis. Wir sitzen unter einem abenteuerlich improvisierten Blechdach und der Pastor bringt eine Frage auf: anlässlich des Frauentages möchte die weibliche Fraktion der Gemeinde den nächsten Gottesdienst mit allem drum und dran (außer der Predigt – das ist hier Männersache) allein gestalten, die Männer also auf der Zuhörerbank. Und dann beginnt eine spannende Diskussion: Gegen einen von Frauen gestalteten Gottesdienst hat keiner etwas einzuwenden – im Gegenteil, aber wo ist die Beziehung zwischen Frauentag und Gemeinde? Müssen die Frauen in der Gemeinde für ihre Rechte kämpfen?  Haben sie nicht in der Gemeinde längst klare Aufgaben und Verantwortungen, die sowohl Männer als auch Frauen gut finden? Was verbinden die Frauen damit, wenn sie den Frauentag zum Anlass nehmen, um den Gottesdienst zu gestalten? Der Pastor wird beauftragt mit den Frauen ein Gespräch zu führen, um besser zu verstehen, ob das nur eine Modeerscheinung ist (die großen Kirchen in Bamako haben damit angefangen), oder ob sich mehr dahinter verbirgt. Immerhin: er hat heute schon im Gottesdienst angekündigt, dass es nächsten Sonntag eine Überraschung geben wird, also, ein Zurück gibt’s nicht mehr.

Alsdann wird noch ein anderes Thema diskutiert: Mehrfach sei jetzt im Gottesdienst ein Lied gesungen worden, das eigentlich für Beerdigungen bestimmt ist – vermutlich, weil gar nicht auf den Text geachtet wurde. Ein Gemeindeältester erzählt, dass danach jedes Mal jemand aus der Gemeinde oder dem Umfeld gestorben ist. So richtig sicher ist man sich nicht, ob da ein Zusammenhang besteht, aber ausschließen will das auch keiner. Ist das Aberglaube oder doch eher prophetische Liedauswahl? Auf jeden Fall sind sich alle einig, dass Beerdigungslieder nicht in den „Lobpreisteil“ des Gottesdienstes gehörten, auch wenn die Melodie noch so schön sein mag. Alles hat halt seine Zeit!

Schmecket und seht, wie freundlich der Herr ist!

… eigentlich müsst das „schmecket und riechet“ heißen – zumindest, wenn man nach Mali kommt. (Und damit meine ich nicht die Bordkantine im Flieger…) Auch wenn ich keinen guten Geruchssinn habe: wenn ich malischen Boden betrete, dann ist das eins der Dinge, die ein Stück Zuhause vermitteln: die Gerüche und der Geschmack, die mir mehr als mit allen anderen Sinnen zu verstehen geben: ja, ich bin wieder in Mali. Natürlich sind vieles auch keine Wohlgerüche, aber vertraut, bunt gemischt: Staub, Essen, Schweiß, das frisch gebackene Baguette, Abgase, Früchte, Gewürze, Holzfeuer… ich weiß nicht, was noch alles sonst. Und ohne Zweifel muss ich natürlich am ersten Abend irgendetwas essen, was nach Mali schmeckt; heute gegrillter Fisch vom Straßengrill.

Wenn mich liebe Menschen in meiner Praxis in den letzten Tagen verabschiedet haben, sagte so Mancher „schönen Urlaub“ – und ich war immer bemüht zu erklären, dass das hier kein Urlaub ist. Aber wenn ich dann so durch die Straßen gehe, rieche, schmecke, sehe, höre, dann ist nicht zu leugnen, dass es auch was von Urlaub hat…

Ich freue mich, dass ich mit Euch die nächsten 3 Wochen in Kontakt sein kann und wir manches teilen können, von dem, was hier in Mali – aber auch von dem was bei Euch in Deutschland und anderswo passiert.

FATMES

Da sitzen 11 Studenten im Klassenraum. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen evangelischen Kirchen. Sie gehören zu verschiedenen Ethnien: Dogon, Bobos, sogar ein Peulh ist dabei – unter ihnen gibt es kaum Christen. Männer natürlich – aber auch 2 Frauen studieren hier. Es ist 18:30, die Sonne ist untergegangen. 2 Ventilatoren rühren die immer noch heiße Luft um. Im Hintergrund (manchmal auch im Vordergrund) bearbeitet ein Handwerker mit einer Flex ein Stück Eisen. Dann ruft ein Muezzin zum Gebet. Geräusche und Lärm überall, aber Fenster schließen kommt bei der Wärme nicht in Frage. Und hier sitzen interessierte Christen; alle haben im Laufe des Tages schon viel gearbeitet: manche sind Pastoren und bilden sich jetzt, nach einem Arbeitstag in ihrer Kirche, in Theologie und Missiologie weiter. Andere haben einen „ganz normalen“ Beruf und wollen mehr wissen, um in ihren Kirchen effektiver mitarbeiten zu können. Einer der Studenten muss zwischendurch mal raus seine kleine Tochter abholen, die jetzt auf seinem Schoß sitzt, während er weiter lernt… Im Kurs geht es um Missionsgeschichte in Afrika und zunächst um die Frage, warum die frühe Kirche zwar die Verfolgung durch die verschiedenen römischen Kaiser durchstehen, in Nordafrika aber nicht dem Islam standhalten konnte. Später entwickelt sich eine lebhafte Diskussion über Kolonialismus, Sklaverei und wie das Evangelium nach Afrika südlich der Sahara gekommen ist. Alfred ist einer der Dozenten und kommt zweimal im Jahr hierhin nach Bamako, um im Block die Kurse zu geben. Zahlreiche andere Lehrer, vorwiegende aus Mali, unterrichten hier – bis auf den Dekan niemand hauptberuflich und jeder mit seinem Spezialgebiet.

So etwas wie die FATMES gibt es im frankophonen Bereich nicht mehr in West-Afrika. In der Regel sind die theologischen Ausbildungsstätten von einer einzelnen Denomination geleitet und sie lassen – mal mehr mal weniger – andere Studenten zu. Die FATMES ist eine theologische Schule, die von einem Zusammenschluss ganz verschiedener evangelischer Kirchen getragen wird. Was für ein Reichtum und wie viel hilfreicher, die spärlichen Mittel für eine breite Basis der Christen einzusetzen und nicht jeden sein Süppchen kochen zu lassen.

Mittlerweile hat die FATMES ein großes ansehnliches Gebäude im Zentrum der Hauptstadt. Der Traum ist, dass irgendwann auch aus den französischsprachigen Nachbarländern Studenten hier zum Studium hinkommen und damit den Reichtum des Austauschs noch vergrößern.