Heute mal 2 Beispiele wie nett und anschaulich Malier manches ausdrücken können:
Wir sprachen darüber, wie mehr und mehr Menschen aus z.B. südamerikanischen oder afrikanischen Ländern zu uns kommen, um uns bei unserer Gemeindearbeit zu unterstützen – sei es, um Kontakte zu geflüchteten Menschen ihres Kulturkreises herzustellen oder auch um Deutsche zu erreichen. „Mission in return“ nennt man das und wir bewegten die Frage, ob so etwas langfristig auch für Malier möglich wäre. Schnell kam da die Frage der Finanzen auf – wer würde denn die Kosten dafür übernehmen? Bei allem guten Willen, was will man machen, wenn die Mittel fehlen: „Das Kamel würde sich zum Schlafen ja gerne auch mal auf den Rücken legen, aber leider ist ihm da immer sein Höcker im Weg!“
In einer anderen Runde sprachen wir über junge Pastoren und die Tendenz zu viel von ihnen zu erwarten, zu fordern, dass sie Dinge tun, für die ihnen die nötige Erfahrung und Reife fehlt. „Das ist“, so ein älterer Pastor, „als versuche man ein Ei zu rupfen“.
Alle Jahre wieder, die Jahresmitgliederversammlung unseres malische Partnerkirchenbundes. Sehr ambivalente Gefühle löst das bei mir aus: 3 Tage sitzen und schwitzen und bei 40° im Schatten in irgendeiner Bude auf furchtbar unbequemen Metallstühlen zu hocken, um wichtige Dinge des Kirchenlebens und der Zusammenarbeit mit der Allianz-Mission zu besprechen: Das ist wichtig, wird aber nie mein Hobby werden. Andererseits ist es aber auch immer eine super Gelegenheit, um Mitarbeiter und Verantwortungsträger aus dem ganzen Land zu treffen und besonders dann, wenn keine Sitzungen sind, miteinander mal zu plaudern, mal zu erzählen und mal auch tiefe strategische Gespräche zu führen – das sind enorm wichtige Zeiten. Zu meiner Freude findet das Treffen dieses Jahr in San statt, also ca. 450 km nordöstlich von Bamako. Endlich dem Mief und Lärm der Stadt entkommen und abends wieder Sterne sehen, die sonst durch den Smog verborgen bleiben.
Warten aufs Frühstück…
Übernachten kann ich auch tatsächlich im Zelt, genieße den frischen Wind in den Abendstunden und schlafe so gut, wie schon lange nicht mehr. Zum Frühstück gibt es sowas wie Baguette mit Mayonnaise und Nescafé. Bei irgendeiner Gelegenheit versuche ich zu erklären, warum ich Produkte dieser Firma sonst meide – gerade die Malier sollten doch dafür sensibilisiert werden können, sind doch etliche der Kinder, die wie Sklaven auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste arbeiten, aus ihrem Land. Aber ich fürchte, meine Erläuterungen fallen eher in die Rubrik „so ein Ding der Weißen“.
Bei meinem Bericht über die Arbeit der Allianz-Mission erzähle ich erst einmal viel von Deutschland. 200.000 – 300.000 neue Coronafälle jeden Tag, da fragt der Übersetzer erst 3 x nach, ob er das wirklich richtig übersetzt und sich nicht verhört hat. Und dass so viele Menschen aus der Ukraine zu uns kommen, dass die öffentlichen Aufnahmestellen das nicht bewältigen können und viele Deutsche die Geflüchteten in ihre Wohnungen aufnehmen, ist mal ein Bild von Europa, das bisher die Wenigsten vor Augen hatten. Und wir reden viel über Politik. Seitdem andere „Partner“ als bisher an der Seite des malischen Militärs gegen die radikalen Kräfte kämpfen, sei vieles in Mali sicherer geworden – man spürt deutlich die Hoffnung, dass es endlich wieder aufwärts geht. Gleichzeitig kommt Pastor Sory mit einem Tag Verspätung, weil er einen jungen Mann aus seiner Kirche beerdigen musste, der bei einem Angriff radikaler Gruppen auf eine Polizeistation ums Leben kam – Hoffnung und Sorge gleichzeitig.
Tatsächlich erlebe ich die malischen Geschwister in politischen Fragen sehr zweigeteilt: entweder ist alles jetzt auf einem guten Weg oder wir stehen vor dem Abgrund – dazwischen scheint es nicht viel zu geben. Es wird heftig, aber respektvoll diskutiert, das Gegenüber mit seiner anderen Überzeugung stehen gelassen und dann auch wieder, ohne sich festzubeißen, ein anderes Thema angesprochen. Ich lausche diesen Diskussionen aufmerksam, bringe aber auch meine Sichtweise ein. Aber dass wir Europäer da eine frankreichgefärbte Sicht haben, davon sind die meisten überzeugt, noch bevor ich den Mund aufmache. Möglicherweise haben sie ja recht!?!
Prospère und Djong kommen aus Kamerun und sie arbeiten seit bald 14 Jahren in Mali. In Kamerun waren sie Pastoren einer lutherischen Kirche. Etwa zeitgleich dachten Anfang des damals noch jungen Jahrhunderts die Leiter ihrer Kirche und die Verantwortlichen derer dänischen Muttermission darüber nach, wie es möglich sein könnte, Missionare von Kamerun nach Mali zu senden – also in ein Land, wo deutlich weniger Christen und viel mehr Muslime leben. Man unternahm mehrere Reisen nach Mali und trat dort mit Verantwortlichen der Kirchen in Verbindung. Was erst ein Gedanke war, wird
Prospère
zu einem Entschluss: Die dänische Missionsgesellschaft hilft mit den Finanzen, die kamerunische Kirche sucht nach Menschen, die bereit sind, in Mali von Jesus zu erzählen. Die Information geht in die Kirchen und Prospère und Djong werden von Glaubensbrüdern angesprochen, ob sie sich das vorstellen können. Sie bewerben sich, müssen erst von ihrer Ortsgemeinde und dann von den übergeordneten Stellen Empfehlungsschreiben bekommen, bis es dann zu einem Vorstellungsgespräch kommt. Die „Werbung“ durch die kamerunische Kirchenleitung sieht anders aus, als man sich das vorstellt: in schillernden Beschreibungen wird ihnen dargestellt, wie furchtbar Mali sei: Wüste, wenig Christen, schwierige Lebensverhältnisse… Aber sie lassen sich nicht abbringen. Es bewerben sich deutlich mehr Leute, als genommen werden können. Warum? Was bewegt sie, verantwortungsvolle Aufgaben in der Kirche ihres Heimatlandes aufzugeben, um als Missionare nach Mali zu gehen? Die Antwort darauf bekomme ich indirekt durch die Andacht, die Djong gestern und heute bei unserer jährlichen Mitgliederversammlung hält: „Hast Du mich lieb?“ – die Frage, die Jesus nach seiner Auferstehung an Petrus stellt, beleuchtet er für uns. Und diese Liebe zu Jesus kann man ihnen abspüren. Prospère hat eine feine Art und ein so verschmitztes Lächeln, dass es eine Freude ist ihn zu erleben. Djong lacht so aus vollen Herzen und Bauch, dass man den Eindruck hat, die Erde vibriert und man mitlachen muss.
Djong
Aber zurück zu ihrer Geschichte: gemeinsam mit ihren Familien und 4 anderen Pastoren plus Anhang machen sie sich 2008 auf den Weg nach Mali. Aber nicht mit Auto oder Flugzeug: mit all ihrem Gepäck fahren sie nur mit öffentlichen Transportmitteln – und das sind keine ICEs, sondern Klein- und Reisebusse zum Teil in erbärmlichem Zustand. Zuerst geht es durch Nigeria, dann durch den Niger – dort werden sie an der Grenze aufgehalten. 12 Erwachsene mit reichlich Kindern, die vorgeben, von Kamerun nach Mali zu wollen – das ist suspekt. Keine Weiterreise! Unterkünfte gibt es nicht. Sie müssen unter freiem Himmel campen, 8 Tage lang und nichts passiert, mit Sack und Pack und allen Kindern. Prospères Frau ist im sieben Monat schwanger, aber auch sie bekommt keine Sonderbehandlung. Warten, beten, die Kinder trösten. Nach 8 Tagen kommt die Polizei und will alle zusammen aufs Kommissariat bringen, was in der Regel eher eine Verschlechterung der Situation erwarten lässt. Da steht ein Wachmann auf: er habe diese Leute jetzt 8 Tage lang beobachtet und er habe nur Gutes an ihnen gesehen. Wenn die Polizei sie auf die Wache bringen will, dann sollen sie lieber ihn nehmen. Und zur Verblüffung der Polizisten steigt er in ihr Auto ein. Das scheint zu helfen, dieser Engel von Wachmann war wohl so überzeugend, dass die 6 Familien ihr Visum bekommen und nach Mali reisen dürfen.
Dort geht es über Gao, die Straße nach Timbouktou und dann Richtung Mopti: die Verantwortlichen hatten nicht zu viel versprochen: Wüste, Wüste, Wüste! Dann endlich, nach ewig langer Reise kommen sie bei Benjamin, einem unserer Pastoren, in Téné an. Es gibt doch Bäume in Mali, man findet freundliche Leute und zu essen! Weiter nach Bamako: dort bekommen sie provisorisch eine Wohnung: jede Familie ein Zimmer – welche ein „Luxus“! Und auch das Geld ist alle durch die unerwartet lange Reise. Aber damit nicht genug: in der Nacht klettern Diebe über die Mauern und wollen sie ausrauben. Zum Glück sind sie schlecht informiert, dachten, die Fremden seien nur zu zweit und stehen plötzlich 6 Familien gegenüber – einige nehmen gleich den Rückweg über die Mauer, die anderen versuchen sich mit irgendwelchen Sprüchen rauszureden…
Das war der Anfang. Mehr Stoff zum Entmutigen kann man sich wohl kaum vorstellen. „Habt Ihr manchmal gedacht die Sachen zu packen und zurückzugehen?“ Ein klares „Nein“ kommt aus ihrem Mund. Rückzug war keine Option. Nicht weil sie so charakterstark sind, nicht weil sie fest entschlossen einer Überzeugung folgen und erst recht nicht, weil sie dickköpfig sind. Die Liebe zu Jesus hat sie nach Mali gehen lassen und dort leben sie jetzt seit 13-14 Jahren, vermissen einen Teil ihrer Kinder und ihre Enkel, die in Kamerun geblieben sind und erzählen mir ihre Geschichte ohne Bitterkeit, ohne Vorwurf gegen irgendwen, sondern oft laut lachend und voll Dankbarkeit gegenüber Gott und denen, die ihnen auf dem Weg und in Mali geholfen haben.
Es ist schon imponierend, wie aktiv die malischen Gemeinden gerade hier in der Hauptstadt sind. Absolut in der Minderheit verstecken sich die Christen nicht im Geringsten. Und statt irgendwo eine „Megachurch“ aufzubauen, ist ihre Strategie eine andere: kaum entsteht ein neues Stadtviertel (und das passiert aufgrund der Landflucht häufig), setzen die Verantwortlichen alles daran, ein Grundstück zu finden, damit sie eine Kirche für die sich dort ansiedelnden Gläubigen errichten können. Häufig wird von den lokalen Behörden sogar extra dafür ein Grundstück reserviert und einer Kirche übergeben (genauso wie ein Grundstück für eine Moschee den Muslimen zugeteilt wird). Und der Anspruch ist nicht einen perfekten Gottesdienst in hübschem Gebäude zu organisieren, sondern Menschennah mit den bescheidenen Möglichkeiten zu leben, die man eben hat. Häufig bedeutet das, dass der Gottesdienst zu Beginn unter einem simplen Strohdach stattfindet, Stufe 2 ist dann ein Blechdach auf Metallstützen und wenn das Geld reicht, wird ein kleines Gebäude aus Lehm- oder Zementziegeln errichtet.
Und der Gottesdienst findet dann unter sehr einfachen Bedingungen statt: Gesang zunächst mit einer simplen Trommel und schnell finden sich auch ein paar Leute zusammen, die einen „Chor“ bilden, der dann meist unisono singt. Auch an die Gottesdienstleitung werden keine großen Ansprüche gestellt. In den meisten Gemeinden in Mali läuft der Gottesdienst nach einem weitestgehend festgelegten Muster ab. Da fällt es leicht sich bereit zu erklären, die Leitung zu übernehmen: eine Gemeinde von 10-20 Leuten ohne die Erwartung, dass hier besonders kreativ agiert wird. Das wirkt für uns manchmal eintönig – hilft aber gerade in solchen Situationen die Latte nicht hochzulegen.
Die meisten Pastoren haben 2-4 Gemeinden zu betreuen und daher können sie auch nur alle paar Wochen in derselben Gemeinde predigen. Auch das führt dazu, dass andere schnell Verantwortung übernehmen und lernen auch diese Aufgabe zu übernehmen.
Zumindest für malische Großstädte ein überzeugendes Konzept: nah an den Menschen, nicht pastorenzentriert, die Mitarbeit von allen ist gefragt und ökologisch ist es auch: statt mit seiner Familie ewig im Stau zu stehen (wenn man denn ein Auto hat), besucht man halt die Kirche um die Ecke (na ja, um ehrlich zu sein: für ein paar Hundert Meter nutzen viele Malier ihr kleines Motorrad!).
Aber auch das gibt es: Ein Pastor erzählt mir etwas frustriert, dass immer wieder Gemeindemitglieder kilometerlange Wege in Kauf nehmen, an 3-4 Kirchen vorbeifahren, „nur“ um in eine angesehene Kirche mit großer Ausstattung, schickem Chor und bekanntem Pastor am Gottesdienst teilzunehmen. Lieber wäre es ihm, wenn jeder sich da engagiert, wo er zu Hause ist.
So hat Gerlind sie jedenfalls immer genannt. Sie heißt Kora und unsere Liebe begann vor über 20 Jahren. Dann lang sie lange brach und erst vor wenigen Monaten traten wir wieder in Kontakt. Sie hat nur gute Seiten – ach nein, Saiten! Dass sie aus Angelschnur gemacht sind, stört da gar nicht. Sie sind auch das Einzige, was nicht von hier in Mali stammt. Alles andere zu ihrer Herstellung findet man hier: Holz für Steg, Hals und Händehalter, eine mit Kuhhaut überspannte Kalebasse (eine Kürbisart) als Korpus, geflochtene Lederriemen zum Stimmen der Saiten (o.k. das Rundeisen, an dem die Saiten befestigt sind, wird vermutlich auch importiert).
Als wir noch dauerhaft in Mali lebten, hatte ich ein paar Unterrichtsstunden genommen, aber als wir dann zurück in Deutschland waren, stand die Kora lange herum, ohne gespielt zu werden. Vor einigen Monaten begann ich dann wieder ein bisschen zu spielen und meine Kids fanden sogar für mich einen Lehrer aus Gambia, der mir beibringt dieses schöne Instrument zu gebrauchen.
Nach langem Verhandeln und viel Zeit habe ich jetzt hier wieder ein Instrument kaufen können und kann die Kora in ihrer Heimat spielen – wenigstens ein bisschen. Früher, wenn meine Frau sich schon auf unserem Flachdach in Sévaré zum Schlafen gelegt hatte, setzte ich mich oft dazu und spielte im Mondschein auf ihren Saiten. Daran muss ich denken, wenn ich jetzt in der Hitze Bamakos diese sogenannte Stegharfe versuche zum Klingen zu bringen.
Musik drückt so viel über die Kultur eines Landes aus und es ist charakteristisch für Mali, dass neben der lauten Djembe (westafrikanische Trommel) genauso die sensiblen Klänge der Kora ihren Platz haben.
P.S.: Wem die Klänge nicht geläufig sind, der kann bei Youtube z.B. mal „Ballaké Sissoko“ eingeben.
Die 4 Tage mit Ansgar sind um. Nach einem Besuch der theologischen Ausbildungsstätte „FATMES“ machen wir nicht den Fehler uns nochmal durch den wirklich unerträglichen Verkehr zu wühlen, sondern setzen uns in ein recht nettes Kaffee, lassen die letzten Tage Revue passieren und plaudern entspannt nach dem straffen Programm der letzten Tage. Mit ausreichend Zeit geht’s dann Richtung Flughafen, diesmal kein Stau, kurz das Gepäck ausladen, verabschieden und auf geht es, zurück nach Hause. Nach ca. 20 Minuten dann aber ein Anruf: Ansgar hat sich von einem freundlichen Menschen am Flughafen das Handy geliehen und sagt mir, man würde ihn nicht durchlassen, irgendwas würde fehlen. Er reicht dem Beamten das Telefon und der erklärt mir, auf dem Visum stände als Grund der Reise „Mission“, in diesem Falle brauche man aber eine „Ordre de mission“, also eine Bescheinigung, warum man unterwegs ist und wer dafür die Verantwortung trägt. Ich versuche am Telefon zu erklären, dass wir Missionare sind und daher das Wort Mission in einem anderen Kontext zu sehen ist, das überzeugt ihn gar nicht. Somit hätte es wohl auch nicht geholfen, ihm die „Ordre de Mission“ Jesu im neuen Testament zu zeigen… Also bleibt mir nichts anderes übrig als zurückzufahren. Zum Glück sind die Polizisten an der nächsten Kreuzung gerade beschäftigt, so dass ich verbotenerweise drehen kann, ohne aufzufallen – das hätte noch gefehlt!
Also die Strecke wieder zurück! Kurz vor dem Flughafen klingelt mein Handy und ich schöpfe Hoffnung, dass sie doch noch eine Lösung gefunden haben. Aber just als ich dran gehen will, macht mein Akku schlapp. Oh, sch…! Aber ich habe zur Sicherheit noch ein anderes Handy dabei. Also SIM-Karte wechseln. Nur leider habe ich den kleinen Stift vergessen, den man braucht, um den Schacht zu öffnen. Also erst mal weiter zum Flughafen. Auto parken, einen jungen Peulh ansprechen, der dann bei einem Kumpel auch tatsächlich so einen Stift findet und mir hilft, die Karte zu wechseln. Aber was jetzt? Die Nummer, mit der ich angerufen wurde, befindet sich auf dem anderen Handy, das aber nicht mehr an geht. Und Ansgar ruft auch nicht mehr an. Also zum nächsten Polizisten und ihm die Situation erklärt. Probleme wegen „Ordre de mission“? – keine Ahnung, hat er nichts von mitbekommen. Ich darf eine Etappe weiter zu seinem Kollegen. Der Ist genauso ratlos. Also bei ihm war der nicht… Jetzt klingelt erst mal sein Telefon und dann, endlich, sehe ich Ansgar am Schalter, der mir winkt und den Daumen nach oben streckt. Yeah! Keine Ahnung, wie er das hinbekommen hat, aber nun scheint alles in Ordnung.
Also nun zum zweiten Mal den Rückweg angetreten. Mittlerweile ist es dunkel und ich arbeite mich durch den jetzt dichteren Verkehr. Leider ist die Straße, die ich normalerweise fahre, gesperrt – Bauarbeiten. Ich zwänge das Auto durch kleine holprige Gässchen und versuche irgendwie die Richtung beizubehalten, was sich im Dunkeln als unmögliches Unterfangen herausstellt. Irgendwie weiter auf eine größere Straße. Ich fahre durch mir völlig unbekannte Gassen – manche machen verdächtig den Eindruck, dass man nur in eine Richtung fahren darf – leider nicht in meine… Trotzdem! Ich will nach Hause. Dann ist Schluss: Links wird ein Kleinbus beladen, rechts steht ein dreirädriges Motorrad. Kein Durchkommen! Netterweise packen ein paar Männer an und heben das Motorrad Stück für Stück zu Seite. Ich packe mein GPS aus – mein kleiner Helfer muss mich jetzt nach Hause leiten, auch wenn der keine Ahnung von Einbahnstraßen, Baustellen oder Hochzeitsfeiern mitten auf der Straße hat. Und tatsächlich: nach wieder ein paar Straßen, wo die geparkten Autos auf beiden Seiten der Straße verdächtigerweise in meine Richtung schauen, aber glücklicherweise keine Polizisten auftauchen, treffe ich auf eine mir bekannte Straße und komme glücklich zu Hause an. Da ich von Ansgar nichts mehr gehört habe, gehe ich davon aus, dass auch er angekommen ist – wenn auch nicht in Deutschland so aber doch im Flieger. Na dann, uns beiden eine gute Nacht!
Ich hänge in meinem Sessel, Füße auf dem Tisch, sehe vermutlich gerade nicht besonders jung und dynamisch aus – fühle mich auch nicht so… Über mir rotiert der Ventilator. Wenn sich die Luft bewegt, schwitzt man nicht so. Das war die letzten beiden Tage nicht immer so: Gestern und heute war Pastorenkonferenz mit Ansgar Hörsting als Gastredner. Ansgar, der viele Jahre als Leiter der Allianz-Mission für Mali zuständig war und jedes Jahr für ein paar Wochen hierhin kam, war nun seit 15 Jahren zum ersten Mal wieder hier. Ich hätte ihm ja gegönnt, nicht bei 40°C unterm Blechdach die Gespräche mit den Pastoren führen zu müssen, aber jetzt ist einfach für die Malier die beste Zeit dafür: Die Ernte vorbei, noch nicht am Höhepunkt der heißen Zeit angekommen und die Aussaht zu Beginn der Regenzeit auch noch nicht in Sicht. Außerdem noch genug Zeit bis zu den Osterfeierlichkeiten.
Zwei Tage sitzen alle zusammen, hören auf Ansgars Bibelarbeit, tauschen sich aus, erzählen von den Freuden und Problemen ihrer Arbeit. Immer wieder wird deutlich, dass die Pastoren hier in Mali keinen leichten Stand haben: materiell gesehen ist das kein Traumjob und auch der Respekt, der einem Pastor noch vor nicht allzu langer Zeit entgegen gebracht wurde, scheint mittlerweile an vielen Stellen zu fehlen. Wir hören so mache Geschichte, bei der wir mit den Ohren schlackern und sind froh, dass offensichtlich eine Atmosphäre bei unserem Treffen entstanden ist, in der auch mal Dinge rausgelassen werden, die man sich sonst nicht traut zu sagen. Und immer wieder erinnern wir uns gegenseitig daran, dass es nicht Geld oder Anerkennung ist, die uns die Arbeit hier tun lässt, sondern Gottes liebevolle und gnädige Berufung. Und ich durfte (oder musste?) übersetzen: von Deutsch auf Französisch und dann wieder von Französisch auf Deutsch. Da qualmt einem nach 2 Tagen der Kopf.
Gestern entstand in einer Diskussionsrunde der Eindruck die „alten“ Pastoren, sozusagen die Gründergeneration, das waren noch die Richtigen, die Engagierten, die Unermüdlichen und die neue Generation habe allen Eifer verloren und hätte mal dringend nötig, wieder mehr Engagement zu zeigen. Früher war doch so ziemlich alles besser! Auch die Allianz-Mission war da noch viel großzügiger und die finanziellen Mittel flossen nur so. Wurde da vielleicht die Vergangenheit etwas verklärt? Heute gab es dann diesbezüglich reichlich Diskussionsbedarf: Die jungen Pastoren wehrten sich, vielleicht habe sich manche Strategie verändert, aber weniger eifrig seien sie nicht. Dann wurde manches doch etwas differenzierter betrachtet, manches richtig gestellt und vielleicht war früher doch auch nicht alles sooo rosig.
Hören auf Gottes Wort, persönlicher Austausch, miteinander beten, gemeinsames Singen, heftiges Diskutieren – aber auch gemütliches Zusammensitzen, unter dem Blechdach braten, Tee schlürfen, laut lachen und sich gegenseitig auf die Schippe nehmen: Eine wertvolle Zeit war das für uns alle und das Fazit war eindeutig, dass solche Pastorentreffen in einer gewissen Regelmäßigkeit absolut notwendig sind.
Jean, der Pastor von Konna macht sich mit seiner Frau und 2 weiteren Gemeindemitglieder auf den Weg nach Sévaré. Dort findet ein Seminar statt zu einem neuen Projekt, das wir seit diesem Jahr durchführen: die Vergabe von Kleinkrediten an Menschen, die kein geregeltes Einkommen haben. Damit sollen sie in die Lage versetzt werden, ein Miniunternehmen zu beginnen, mit dem sie Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen können. Sie stellen etwas her, kaufen en Gros ein und verkaufen es im Detail mit Gewinnspanne oder fangen eine kleine Hühner- oder Fischzucht an. Damit auch wirklich ein Gewinn dabei herausspringt und ein sinnvolles Projekt begonnen wird, treffen sich erst alle Beteiligten zu einer Schulung. Dabei geht um ganz elementare Dinge: Berechnung von Kosten und Einnahmen, Gefahren und Möglichkeiten der verschiedenen Aktivitäten, Rückzahlungsmodi etc.
Jean
Nach beendeter Schulung wird noch in Sévaré kräftig eingekauft – das, was es in Konna nur teurer zu erwerben gibt. Am Ende haben die 4 so viel Gepäck mit sich, dass der Bus, den sie zurück nach Konna nehmen wollten, sie als Fahrgäste ablehnt: das Be- und Entladen, das kostet zu viel Zeit und nimmt zu viel Platz in Anspruch. Jean und seine Mitfahrer ärgern sich.
Und dann passiert etwas, wo wir nicht wissen, ob wir lachen oder weinen sollen: auf seinem Weg fährt der Bus über eine Mine, wie sie immer wieder von Islamisten auf den Straßen platziert werden. Sie explodiert, 8 Menschen sterben, 46 werden verletzt. Ich weiß nicht, ob das vor oder hinter Konna passiert ist. Ich weiß nicht, ob Jean und seine 3 Mitfahrer betroffen gewesen wären, hätten sie im Bus gesessen. Aber einmal mehr wird sehr deutlich, wie gefährlich das Leben in der Mitte Malis (wo ich deshalb auch nicht mehr hinfahre) sein kann und auch, dass Gottes Schutz jeden Tag so nötig ist!
So stellt man sich das doch in Mali vor, oder? Echter Gesang, Trommeln, Tanz – das wars. Nix elektrisches oder sowas. Aber der Mix im wirklichen Leben ist völlig anders. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich vor wenigen Jahren in Dougourakoro begeistert war, mit was für einem zusammengeschusterten Schlagzeug Musik gemacht wurde, ohne dass sich die Musiker von der geringen Qualität des Instrumentes frustrieren ließen. Heute im Gottesdienst nur wenige Kilometer davon entfernt im Dorf Bougouda haut mich die Mischung von traditionell und modern von den Socken: na klar, getrommelt wird auf einer Djembe und einem viereckigen mit Fell überspannten Holzkasten. Aber auch eine E-Gitarre darf nicht fehlen und die Solisten nutzen Mikro und Verstärker mit Autobatterie, um gegen die Gemeinde anzukommen. So weit so gut, aber dann sitzt neben mir auf der Bank ein junger Mann und tippt immer auf sein Smartphone. Was macht der denn da mitten im Gottesdienst? Ich schiele rüber auf sein Display und entdecke dann auch das Kabel, was sich – in abenteuerlicher Weise zusammen gelötet – zum Verstärker schlängelt. Und der tippt keine Nachrichten an seine Kumpels, der hat eine Schlagzeug-App und haut mit 2 Fingern auf Becken und Snare-Drum rum. Ne, oder? Draußen kochen die Frauen das Essen in einem riesigen Topf auf dem offenen Feuer, das Dach wird von der abenteuerlichen Konstruktion eines Gerbergelenkes mit Motorradketten gehalten (da schlägt doch das Herz eines Zimmermanns höher – oder rutscht es ihm eher in die Hose??) und daneben wird Schlagzeug per App gespielt.
Für mich scheinen das 2 Welten zu sein, die nicht zusammen passen – für die Menschen hier ist das völlig selbstverständlich. Digitalisierung in Mali – in manchen Dingen sind die jungen Leute hier viel weiter als so mancher Altersgenosse in Deutschland (und als ich schon allemal…). Denn die Möglichkeiten, die das eröffnet, werden hier vielleicht noch deutlicher: ein Schlagzeug zu kaufen kostet viel Geld in der Anschaffung und dann auch in der Pflege – eine App kostet ein paar Euro oder auch gar nichts. Und Smartphones haben hier fast alle.
Irgendwie bin ich begeistert von der Selbstverständlichkeit, mit der hier alles zusammen zu gehen scheint, irgendwie sehne ich mich auch zurück nach „unplugged“. Und ich frage mich, was das für unsere Arbeit für Auswirkungen hat oder haben könnte – wo wir in unserem Denken und Handeln moderner werden sollten und die Chancen der digitalen vernetzenden Technik besser nutzen können.
Gut angekommen in Mali – entgegen der Nachricht der Fluggesellschaft flog das Flugzeug ungehindert von Paris nach Bamako – konnte ich trotz 30°C Temperaturunterschied gut schlafen und in den ersten Malitag einsteigen. Der begann mit ein paar Gesprächen mit Mitarbeitern unserer Zentrale und dem Leiter unserer Partnerkirche. Dabei ist es besonders interessant, die unterschiedlichen Einschätzungen der politischen Veränderungen in Mali zu hören: von „jetzt wird alles gut“ bis zu „an der Oberfläche scheinen die Konflikte besser zu werden, aber darunter ist es schlimmer als vorher“ ist hier alles zu hören. Die Spannung zwischen der malischen Regierung und Frankreich steigt: Gestern wurden zwei Sender von französischem Radio und Fernsehen in Mali verboten, weil die Berichterstattung über ein Massaker nicht den Tatsachen entsprochen haben soll. Heute ist der Vorsitzende der ECOWAS (westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) in Bamako angekommen, um weiter mit der Übergangsregierung über Neuwahlen zu verhandeln. Und das Leben wird deutlich teuer, denn Mali bekommt nicht nur die Sanktionen der ECOWAS zu spüren, sondern gleichzeitig machen sich die wirtschaftlichen Folgen des Ukrainekrieges bemerkbar.
Und bei all diesen Veränderungen geht das ganz normale Leben weiter. Heute treffen wir Jacques und Naomi, ein Pastorenehepaar, das vor ein paar Jahren in Rente gegangen ist und immer wieder mithilft, wenn ein Pastor gebraucht wird. Vor ein paar Wochen sind sie nach Bamako gezogen, um ein Bibel-Verteilprojekt zu betreuen. Ein zuverlässiger Mann wurde gesucht, der letztlich nicht viel mehr tun muss als die Bibeln an die entsprechenden Kirchen und Organisationen rauszugeben und darüber Buch zu führen. Dafür freies Wohnen in Bamako und einen stattlichen Zuschuss zur Rente: kein schlechter Deal. Jacques und Naomi sind 1991 mit als erste Pastoren zur Arbeit der Allianz-Mission gestoßen und sie haben die meiste Zeit im Norden gearbeitet: zunächst in Sofara, einer sehr islamisch geprägten Stadt, dann in Kouna, wo das Kirchengrundstück und Pastorenhaus auf einem alten Friedhofsgelände standen („Wenn ich die Erde zum Pflanzen umgegraben habe, habe ich immer mal Knochen gefunden“) und sie mühsam versuchten zu den Menschen aus dem Dorf Vertrauen aufzubauen. Und zuletzt haben sie in Soufouroulaye gearbeitet: auch da haben sie über viele Jahre eine kleine Gemeinde betreut, gearbeitet und gebetet, dass Menschen dort den Mut finden, sich für Jesus zu öffnen. Treue Arbeiter, treue Beter, die nie viel Aufhebens um sich gemacht haben. Jacques und Naomi haben 11 Kinder. „Wieviel Enkel hast Du jetzt eigentlich, Jacques?“, frage ich, um mit meinen 8 Enkeln angeben zu können. Aber da bin ich an den Falschen geraten: „10“, antwortet er, ohne groß zu überlegen. Dann fängt er an seine Kinder durchzugehen. Die erste Tochter hat 8 Kinder, dann noch eine 8, ein Sohn 2… und so geht es weiter und weiter. Bei Enkel Nr. 28 komme ich nicht mehr mit. Fängt er jetzt wieder von vorne an oder geht das wirklich noch weiter? Enoc lacht und sagt: „Wenn Du in Afrika jemanden zum Beispiel fragst, wieviel Kühe er hat und er antwortet ‚wenigsten 2‘, dann kannst Du davon ausgehen, dass Du mindestens mit dem Faktor 10 multiplizieren musst, um die wirkliche Anzahl zu kennen.“ Na gut, aber Enkel sind ja keine Kühe – denn 100 haben Jacques und Naomi nun wirklich (noch) nicht!