Der Eckstein und einfache Leute

ReginaAnne-Marie

Anfang der Woche konnte ich (Gerlind) Regina und Anne Marie bei einem Besuch begleiten. Die beiden arbeiten schwerpunktmäßig in der Sprachforschung und Bibelübersetzung für das Fischervolk der Bozo. Meistens sitzt man hier bei solchen Besuchen im Hof, was ich sehr genieße. In diesem Hof wohnen allerdings mehrere Familien, sodass wir in das kleine Wohnzimmer geführt werden. Das Zimmer ist relativ dunkel, weil es kein Fenster gibt. Wo keine Öffnung ist, bleiben Hitze und Staub besser draußen. Wir sitzen mit der Mutter, zwei erwachsenen Söhnen und einer weiteren Verwandten zusammen. Weitere Kinder gehen aus und ein, eines schläft neben uns auf dem Sofa ein. Insgesamt leben z.Zt. 21 Personen hier. Ich frage erstaunt, wie groß die Wohnung ist, da es mir so aussieht, dass hinter dem Wohnzimmer nur ein, vielleicht noch zwei Zimmer liegen. Draußen hätten sie noch ein kleines Zimmer, da würden die 15 Jungen schlafen. Ah….

Die ganze Zeit läuft der Fernseher, das ist üblich hier. Als Beobachterin stört es mich heute nicht, aber konzentrieren könnte ich mich so nicht. Anne Marie kommt hier regelmäßig zum Sprache lernen hin. Nach einer Zeit des Smaltalks holt sie einen Bibeltext (Apg 4) heraus, den sie gerne von den „Muttersprachlern“ getestet haben möchte. Und schon sind wir mittendrin in einer spannenden Bibelarbeit. Was heißt in diesem Bozodialekt „Eckstein“ und wie kann man erklären, dass dieses Bild für Christus gebraucht wird. Ah, Matas Mann ist Maurer, das hilft natürlich! Es ist interessant zu beobachten, wie engagiert die 4 Personen miteinander reden und nach dem passenden Ausdruck suchen… und gleichzeitig werden biblische Inhalte vermittelt. Ich verstehe kein Wort von dieser Sprache, aber allein die Beobachtung der Dynamik fasziniert mich. Und wenn es mal langweilig werden sollte, ist da ja immer noch der Fernseher…;-)

SchulbankAls man sich auf einen verständlichen Begriff geeinigt hat und dieser notiert wurde, geht’s weiter: Die Pharisäer wunderten sich über die Predigt von Petrus und Johannes, da sie eigentlich „einfache“ Leute waren. Ja, das klingt im Deutschen und für Deutsche „ganz einfach“. Interessanterweise kommen unsere Sprachhelfer ganz schnell auf Schulabbrecher, bzw. Leute, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht lange zur Schule gegangen sind. Solche gibt es bei uns in Deutschland ja nicht so viele, in Mali aber in hoher Zahl. Und die beiden Frauen vor uns sind vermutlich auch nie zur Schule gegangen. Spannend mit „einfachen“ Leuten herauszufinden, wie man für sie am besten „einfache Leute“ ausdrückt und im Moment sind sie eindeutig die „Experten“!

Ich bewundere meine Kollegen in der Sprachforschung, eine Arbeit, in der ich mir mich überhaupt nicht vorstellen kann. Und mich begeistert, wie Gott hier hochbegabte und gut ausgebildete Leute mit „einfachen“ zusammen bringt und arbeiten lässt und alle darin bereichert werden.

Die Bibel in seiner Muttersprache lesen oder hören zu können ist ein Privileg. Dieses Bewusstsein ist vielen von uns Deutschen verloren gegangen. Ich habe allein in meinem eBook 3 verschiedene Übersetzungen, ganz zu schweigen von den weiteren im Regal. Ein immenser Reichtum! Und eine krasse Ungleichheit. Ein Reichtum, den ich mit den Bozos und Milliarden anderen Menschen nicht teilen kann, in dem ich ihnen eine meiner Bibeln in die Hand drücke mit Worten, die sie weder lesen noch verstehen können. Ich bin sehr dankbar für Kolleginnen wie Regina und Anne Marie, die bereit sind, einen langen, mühsamen und angefochtenen Weg mit „einfachen Menschen“ zu gehen, weil sie den kennen, den Gott zum „Eckstein“ gesetzt hat.

Sprache

Wir verlassen Bamako, die turbulente Hauptstadt und fahren ins nördliche Arbeitsgebiet der Allianz-Mission und der UEPEM. Es tut immer wieder gut „aufs Ländle“ zu fahren. Zuerst der obligatorische Stopp in Fana: hier MUSS am Straßenrand ein Omelett gegessen werden. Hier MUSS ich das verdutzte Gesicht und das Kopfschütteln sehen, wenn ich darauf bestehe, den Nescafé ohne, ja wirklich ganz ohne Zucker zu trinken. Hier MUSS ein Schwätzchen in einer Mischung aus Bambara, Französisch und Peulh gehalten werden. Das ist ein Gefühl von Heimat – auch wenn das vermutlich schwer zu vermitteln ist. Irgendwann halten wir nochmal am Straßenrand, weil wir mal müssen. Der Fahrer hinter uns bleibt direkt stehen und fragt, ob wir eine Panne hätten und Hilfe brauchen. „Ich muss nur mal pullern“, sagt man in Sachsen, aber das spricht man hier nicht so aus. Als ich ein bisschen drum herum rede, meint er, wir wollten nur mal spazieren gehen. Also werde ich etwas direkter: Nein, wir wollen „hinters Haus P2gehen“. Ja, das wird sofort verstanden und der freundliche Mann fährt taktvoll weiter. Peulh ist eine schöne Sprache! Weiter nördlich kommen wir an einem Tümpel vorbei, in dem einige Fischer versuchen die letzten paar Fische ins Netz zu bekommen. Ich will ein paar Fotos machen, aber ich merke, wie sie unwillig reagieren. Also brülle ich aus 50 Meter Entfernung eine Begrüßung auf Peuhl zu ihnen und sie grüßen freundlich zurück. Das geht ein bisschen hin und her und als ich dann frage, ob ich sie fotografieren kann, ist das überhaupt kein Problem. Noch ein Stück weiter an einer Fernbushaltestelle essen wir dann zu Mittag: Kartoffelragout mit mal mehr mal weniger Fleisch (ich hab den Knochen erwischt) für 1,10 Euro die Portion von einem Plastikteller mit einer Alugabel. Schnell noch ein paar Erdnüsse gekauft und weiter geht es. Wie gut, dass das Auto klimatisiert ist. Früher gab es diesen Luxus bei unseren Autos nicht und die Fahrten waren deutlich anstrengender.

Dann stoßen wir auf eine Kuhherde, die zu einem Wasserloch geführt wird. Auch hier wollen wir P3fotografieren, auch hier dieselbe skeptische Reaktion und auch hier 2 freundliche Sätze auf Peulh und die ganze Szenerie verändert sich: Fotografieren kein Problem, nicht nur die Kühe sondern auch den Hirten (oh Hilfe, dunkelhäutige Menschen bei strahlendem Sonnenschein zu fotografieren ist schon eine Kunst aber wenn er dann noch einen großen Hut aufhat…). Wer je daran zweifeln sollte, wie wichtig in der Missionsarbeit das Erlernen einer einheimischen Sprache ist, der sollte nur mal so eine Fahrt mitmachen und erleben, wie schon 2 Sätze eines Grußes in der Muttersprache einen völlig anderen Zugang zueinander entstehen lassen!P4

Lebensschule

Schulbesuch in Sabalibougou wo Christiane einmal pro Woche unterrichtet. Zuerst wird wieder – die Unterricht christianeNationalhymne singend – die malische Flagge gehisst, dann geht es ab in die Klassen. Mittlerweile ist eine Vorschulklasse mit dazu gekommen und so werden die Kleinen schon mal ein paar Stunden am Tag an Schulalltag und die französische Sprache gewöhnt. Die Begeisterung mit der die Kinder bei der Sache sind und wie stolz sie zeigen, wenn sie etwas gelernt haben, das ist schon beeindruckend. Das Schulgebäude ist ein Rohbau: kein Putz, kein Anstrich und kein fester Boden – aber wen stört das? Wenn man einen Tisch und eine Bank hat und dann sogar noch eine Tafel an der Wand, braucht Schulkinder2man kein repräsentatives Gebäude. Christiane spricht kurze Sätze, mal in Bambara mal in Französisch, die die Kinder nachsprechen, damit sich Dinge des täglichen Lebens einprägen und dann hoffentlich auch umgesetzt werden. Der Erfolg ist nicht immer so unmittelbar erkennbar. So wiederholt Christiane heute immer wieder den Satz: “Immer esse ich das Fleisch gut durch gegart.” (Das klingt auf Französisch natürlich besser…) Rohes Fleisch kann hier leicht Erkrankungen übertragen (auch ohne europäische SchulkinderMassenviehhaltung) und wer Hunger hat, der wartet nicht immer darauf, dass auch alles lang genug gekocht oder gebraten wurde. Also nochmal: “Immer esse ich das Fleisch gut durch gegart!” Leider sind längere Sätze so viel schwieriger zu behalten als kurze und so wiederholt die Klasse begeistert im Chor:”Immer esse ich das Fleisch!” Na also, die wichtigste Botschaft ist doch angekommen!

 

Auf verschiedenen Märkten kaufen wir dann Dinge ein, die in Deutschland weiter verkauft werden sollen, damit weitere Schulprojekte in Mali finanziert werden können. Die Verkäufer freuen sich, denn wir kaufen nicht nur hier und dort ein bisschen, sondern, wenn wir uns über den Preis einig geworden sind, gleich alles in zig-facher Ausfertigung. Als wir dann an 2 Verkaufsbuden fast 60 Steinschleudern kaufen, staunen die Leute nicht schlecht und wir hätten zu gerne nachher die Gespräche belauscht, was die Weißen wohl mit so vielen Zwillen wollen. Nein, wir sichern nicht Europas Außengrenzen, falls das jetzt jemand gedacht hat…

Was ist schon sicher?

Vor unserer letzten Reise war das Thema Sicherheit besonders spannend. Während unseres Aufenthaltes hier gab es den Anschlag auf ein Hotel in Bamako, bei dem manche von euch um uns gebangt haben, da sie nicht wussten, dass wir 1. hier nicht in Luxushotels „verkehren“ und 2. an dem Tag gar nicht mehr in Bamako waren.

Diesmal haben viele im Vorfeld gefragt, ob es denn nun sicherer sei.

Wer kann das schon sagen?

Wir halten uns als Team nach wie vor an die Regeln, die wir gemeinsam mit den Verantwortlichen der AM in Ewersbach aufgestellt haben. In der Region Mopti, in der Sévaré liegt, konnten einige kriminelle Aktivitäten reduziert werden. Das war beim letzten Mal noch anders, sodass wir unser Reiseprogramm kaum jemandem mitgeteilt, unseren Aufenthalt dort auf ein Minimum reduziert hatten und als eine Vorsichtsmaßnahme an verschiedenen Orten übernachtet haben. Letzteres werden wir diesmal durch die Planung der Besuche in der Umgebung ähnlich handhaben.

Aber Anschläge geschehen ja auch häufig, wenn sich die Situation nach Ereignissen wieder beruhigt hat und sich die Menschen wieder „sicher“ fühlen (wollen?). Hier machen wir uns nichts vor: Dieses Risiko kann weder in Mali noch an der Elfenbeinküste oder in Frankreich oder Deutschland eingeschätzt bzw. vermieden werden.

Uns helfen die Erfahrungen und das Empfinden der letzten Reise. Damals waren wir permanent verunsichert, weil wir uns nicht bedroht fühlten, Sévaré nach wie vor ein Stück Heimat für uns ist, wir uns vom Kopf her aber ständig fragen mussten: Handeln wir verantwortlich? Begeben wir uns unnötig in Gefahr?

Diese Fragen müssen wir uns weiter stellen, sind aber darin auch wieder gelassener geworden. Ob in einem guten Maß oder nicht, das weiß Gott allein. Wir sind hier, weil wir uns von IHM berufen wissen. Wir suchen kein Abenteuer und keine gefährlichen Situationen.

Unser Leben liegt in Gottes Hand und es gibt keinen sichereren Ort!

… mit dem, was man hat…

Gottesdienst in Dougourakoro, einem Dorf im Randbezirk von Bamako. Amadou, ein ehemaliger Mitarbeiter, der jetzt dort in einem Krankenzentrum arbeitet, sitzt neben mir und übersetzt. Da fällt mein Blick auf das Rhythmusinstrument: ein zusammengeschustertes Etwas, was noch entfernt an ein Schlagzeug erinnert. Das, was mal ein Becken war, hängt nun traurig am Ständer. Die Trommeln stehen auf selbstgebasteltenSchlagzeug4 Dreibeinen und vor der Basstrommel liegt ein schwerer Stein, damit sie nicht wegrutscht. Die „Stöcke“ sind, na, wie der Name schon sagt, eben Stöcke. Ich muss lachen und spreche Amadou auf dieses originelle Teil an. „Na ja“, sagt er, „man muss halt mit dem arbeiten, was man hat – eben bis man etwas Besseres bekommen kann.“ Das gefällt mir und ich denke länger darüber nach:

Da gibt es in Mali die Leute, die sagen: „So ist das bei uns, mehr haben wir leider nicht. Wir sind arm, etwas anderes können wir uns nicht leisten.“ Und bis es völlig auseinanderfällt, werden sie immer auf diesen paar Trommeln spielen. Das Schlagzeug ist dann sozusagen ein Sinnbild für frustrierte Hilflosigkeit.

Und dann gibt es die, die sich dieses behelfsmäßige Teil erst gar nicht aufstellen: Wenn schon ein Schlagzeug, dann muss es auch ein richtiges sein, professionell, komplett und ohne Basteleien. Und Schlagzeug1solange man keinen findet, der das finanziert, spielt man eben gar kein Schlagzeug. Das Prinzip: groß abbeißen und einen Geldgeber suchen… Bei wie vielen sogenannten Projekten erleben wir diese Sicht!

Aber zum Glück gibt es da auch Menschen wie Amadou: Man fängt klein an, schämt sich dessen nicht und arbeitet langsam aber sicher für eine bessere Lösung. Vielleicht hilft einem irgendwann jemand, vielleicht aber auch nicht. Hauptsache man kommt ans Ziel!

Und genauso gibt es in Deutschland verschiedene Reaktionen:

Da sieht jemand das heruntergekommene Schlaginstrument und denkt: die armen Malier! Wie leicht könnte man ihnen helfen. Ein Schlagzeug kostet ja nicht die Welt. Lass uns mal zusammenlegen und ihnen eines kaufen. Das Schlagzeug als Sinnbild für die Auffassung, Geld wäre die Lösung und das haben wir ja.Schlagzeug3

Aber genauso gibt es die, die angesichts des Schlagzeugs die Nase rümpfen: Die traditionellen Instrumente wie die Djembe sind doch viel einheimischer, entsprechen der Kultur. Warum also diese Anpassung an den Westen? Ist es nicht viel besser, die Malier bleiben bei ihrer Tradition?

Die Kunst ist es, die kleinen Anfänge zu achten und zu fördern. Geld so einzusetzen, dass es aufbaut auf das, was schon an Initiative da ist und die Menschen in Mali selbst entscheiden zu lassen, was ihrer Kultur entspricht und was nicht. … und das ist keine einfache Kunst!

Gelungene Teamarbeit

In der Vergangenheit war es nicht selten so, dass wir viel Mühe miteinander hatten in den verschiedenen deutschen Missionarsteams: zu unterschiedlich schienen unsere Persönlichkeiten, zu verschieden auch das, was man voneinander erwartete. Manches Mal haben wir uns gefragt, warum es eigentlich gerade unter uns ApelsDeutschen viel schwieriger zu sein schien als im Zusammenspiel mit den Maliern. Und das nach Deutschland zu kommunizieren ist nicht so einfach: Wir sind doch Missionare, da erwartet man doch, dass es zwischenmenschlich klappt und nicht knirscht…

Und jetzt blicken wir zurück auf 2 Tage, die wir als deutsch/amerikanisches Team miteinander verbracht haben und es macht Spaß miteinander zu diskutieren, zu blödeln, sich zu streiten und zu beten. Wir sind 6 völlig verschiedene Leute und vielleicht zeigen sich ja doch Fredlangsam ein bisschen Reife und Erfahrung :-), denn wir haben oft unterschiedliche Meinungen, aber wir lassen uns stehen, schätzen die Ergänzung und können immer mal wieder über uns selbst und den Anderen lachen. Wir empfinden eine mutmachende gegenseitige Wertschätzung und das tut gut und gibt uns Kraft in den Herausforderungen mit unseren malischen Freunden gelassen zu bleiben.

… und damit ihr wisst, dass man es sich in Mali auch richtig gut gehen lassen kann, haben wir im Blog ein paar Fotos von unserem gestrigen Teamausflug mitgeschickt.

Phil

Am Rande erwähnt: Ein Malier und ein Norweger telefonieren “Bei uns hat es minus 30 Grad”, sagt der Norweger. “Wenn ich meinen frisch gekochten Kaffe aus der dritten Etage aus dem Fenster schütte, dann kannst du ihn unten als Eis wieder auffangen.” “Oh”, erwidert der Malier, “das ist bei uns anders. Wir haben es zurzeit 45 Grad. Wenn ich da meinen frisch aufgegossenen Nescafé aus der dritten Etage schütte, dann kannst du unten das Instantpulver auffangen.”

Warum Kommunikation so schwer ist

Eigentlich sollte man doch annehmen, dass wir es mittlerweile gelernt haben. Alle Missionare, die zurzeit in Mali sind, Meiers, Apels, Paschers, haben schon lange Jahre hier gelebt. Und wir sind jeden Tag im Gespräch mit Maliern – da müsste doch langsam aber sicher die Kommunikation einfacher werden.Und doch, bei all unserer Erfahrung haben wir oft den Eindruck, dass wir uns trotzdem nicht näher kommen. Wie kommt das?

Die normale Art etwas zu sagen ist bei Deutschen und Maliern sehr verschieden.Deutsche gelten als sehr gerade heraus – nicht gerade höflich aber klar und ohne große Umschweife. Malier formulieren eher zurückhaltend, konfrontieren nicht so direkt, wollen mit ihren Aussagen nicht verletzen – wir würden sagen, sie vermitteln einem Kommunikation2eher etwas “durch die Blume”.

Spricht ein Deutscher mit einem Deutschen gibt es zwar immer wieder Missverständnisse, aber die Kommunikation ist kulturell zumindest einigermaßen gleich. Sprechen Malier miteinander ist das ähnlich.

Kommt nun ein Deutscher frisch nach Mali, dann versteht er vermutlich erst mal Vieles nicht oder falsch. Unsere malischen Mitarbeiter kennen allerdings uns Deutsche schon so lange, dass sie das einigermaßen zuordnen können und verstehen den “Frischling” wahrscheinlich besser als umgekehrt.

Aber ganz kompliziert wird es nun, wenn Deutsche mit langjähriger Malierfahrung versuchen zu kommunizieren. Wir versuchen uns anzupassen an das, wie wir malische Kommunikation verstanden haben und bringen unsere Gedanken dementsprechend rüber. Was aber denken unsere malischen Freunde? Ist ihnen klar, dass wir uns auf sie einstellen oder denken sie, dass, wenn ein Deutscher so vorsichtig formuliert, dies wohl kaum eine wichtige Botschaft sein kann, denn die Deutschen würden das anders bringen?

Oder ein Malier sagt etwas zu oder über uns, was so hart und direkt ist für unsere malisch geprägten Ohren, dass wir geradezu schockiert sind, weil er das so nie einem Malier sagen würde und wir fühlen uns diskriminiert. Aber natürlich kann es auch sein, dass der malische Sprecher denkt, dass man einem Deutschen das gerade heraus und sehr klar sagen muss, denn sonst versteht er das ja nicht. Da spricht der Malier “Deutsch” und der Deutsche hört “Malisch” und das Kommunikationschaos ist noch größer, als würde jeder in seiner Kultur bleiben. Nimmt man dann noch hinzu, dass zumindest einer von beiden (aber oft auch beide) nicht in der eigenen Muttersprache miteinander reden, dann könnte man verzweifeln.

Und doch reden wir seit Jahrzehnten miteinander und, so unglaublich es scheint, manchmal möchte man glauben, wir verstehen uns sogar. Dagegen ist das Pfingstwunder doch schon fast eine Kleinigkeit…

Haben Sie meinen Zahn gesehen?

Heute morgen fahren wir mit Meiers in den Nationalpark Malis. Bei der Vorstellung sollte man sich gedanklich nicht auf eine Safari in Ostafrika verirren. Es handelt sich um einen großen, sehr schön angelegten Park (ohne Tiere, die befinden sich im angrenzenden Zoo), mit diversen Fitnessangeboten. Es tut in einem Land wie Mali, noch dazu in einer Großstadt wie Bamako unglaublich gut, soviel Grün zu sehen und zu genießen. Das tun wir vier dann auch jeder auf seine Weise: Meiers und Karsten betätigen sich sportlich und ich entspanne lieber schlendernd oder lesend. Um diese Zeit sind nur wenige Besucher hier, aber viele Angestellte sind dabei zu gießen, zu kehren und weitere Pflegearbeiten zu verrichten.

Ich sitze auf einer Bank im Schatten und merke, wie sich ein gut gekleideter Malier nähert. Ich überlege, ob ich aufsehen und grüßen oder einfach weiter in meine Zeitschrift blicken soll. Grüßen ist in Mali eigentlich sehr wichtig, aber eine Situation wie diese ist nicht so klar.

Ich entscheide mich für’ s Grüßen. Der Mann kommt auf mich zu, grüßt ebenfalls, sieht dann auf den Boden und fragt: “Haben Sie hier einen Zahn gefunden?”

Es soll ja Listen geben im Sinne von: Die 20 originellsten Arten der Kontaktaufnahme u.ä., aber nein, mir ist sofort klar, dass diese Frage völlig ernst gemeint ist! Da mir bisher kein Zahn aufgefallen ist, ich zugegeben auch noch nicht danach gesucht hatte, stehe ich sofort auf und gemeinsam umrunden wir mit intensiven Blicken auf Schotter und Gras die Bank, auf der er, wie er mir dann erzählt, gestern Abend gesessen und dabei eine Brücke verloren habe… Leider werden wir nicht fündig, überlegen noch gemeinsam, ob hier vielleicht schon gekehrt wurde. Zum Abschied versichere ich ihm, wenn ich den Zahn noch fände, würde ich ihn vorne bei der Frau an der Kasse abgeben… Malische Alltagsbegegnungen – immer wieder eine Freude!

Wenn Jesus heute in Mali leben würde, vielleicht würde er nicht die Geschichte vom verlorenen Groschen oder Schaf erzählen. “Der verlorene Zahn” – das wäre doch mal eine kontexualisierte Fassung des Gleichnisses!

Experten

Besuch von Jean T., einem langjährigen Freund und Berater der Allianz-Mission, seitdem wir in Mali arbeiten. …schon anders, wenn man sich jetzt als Großeltern trifft – die Zeit schreitet voran! Und wir reden über viele Dinge, tauschen uns aus über alte Tage wie über neue Entwicklungen. Als jemand, der mit vielen internationalen Organisationen zusammen gearbeitet hat, ist Jean immer ein interessanter Gesprächspartner. Wir sprechen auch über Entwicklungspolitik und die Notwendigkeit, evangelistische und soziale Arbeit Hand in Hand gehen zu lassen. Irgendwann erzählt er uns dann eine kleine Geschichte:

Ein Viehhirte steht bei seinen Schafen auf der Weide als plötzlich ein Landcruiser heranfährt. Ein Mann steigt aus, schaut sich um und sagt dann zu dem Viehhirten: “Ich kann Dir exakt sagen, wie viele Schafe Du hier hast.” “Hm,” erwidert der Hirte, “das ist eine Leistung! Ich selbst weiß nicht, wie viele Tiere ich habe. Mal stirbt eines, mal wird eines geboren. Da kenne ich die genaue Zahl nicht. Was verlangst Du, Hirteum mir das zu sagen?” “Nun,” sagt der Fremde, “als Entgelt würde ich ein Schaf nehmen”. Die beiden werden sich einig. Der Fremde holt aus seinem Auto einen Laptop, eine kleine Antenne und macht sich an die Arbeit. Im Nu hat er ein Satellitenbild auf dem Bildschirm, zoomt heran, grenzt das Bild auf die Schafherde ein und lässt eine Software darüber laufen und verkündet voller Stolz:”Du hast genau 3.426 Tiere!” Der Hirte ist sichtlich beeindruckt und hält sich an die Abmachungen. “Ich möchte nicht, dass Du mir nachsagst, ich hätte Dir ein schlechtes Tier ausgewählt, daher wähle Du. Such Dir das schönste Schaf aus, es gehört Dir, Du hast es Dir verdient.” Der Fremde blickt abschätzend über die Herde bis er ein Tier entdeckt mit besonders viel Wolle. “Dieses Wollschaf nehme ich”, sagt er und greift nach dem Hund des Hirten. “Oh,” erwidert der Hirte “ich sehe, Du kannst perfekt die Anzahl meiner Schafe bestimmen, aber den Unterschied zwischen einem Schaf und einem Hund erkennst Du nicht, dann lass mich raten, was Du von Beruf bist: Du kannst eigentlich nur ein Experte für Entwicklungshilfe sein!”

Schulsysteme

Istanbul – Niamey – Bamako: nach 9 Stunden Reise betreten wir um 1:15 in der Nacht malischen Boden, warten noch eine Stunde auf unsere Koffer und fallen um 3:00 dann müde ins Bett. Wie schön, dass uns unsere Kollegen abgeholt haben, auch wenn eine Taxifahrt in Bamako vermutlich zielsicherer ausgesehen hätte als in Istanbul… Da wir nur an 3 Sonntagen hier in Mali sind, verzichten wir erst mal auf’s Ausschlafen und fahren nach Kouloubleni zum Gottesdienst. Beim Vorprogramm wird der Kampf mit dem Schlaf zwar manchmal hart erstritten aber doch gewonnen und bei der Predigt hat Karsten dann wieder genug Adrenalin im Blut…

Die Schule ist unsere Zukunft!

Ein Gemeindecafé gibt es hier nicht, aber nach dem Gottesdienst sitzen wir dann noch lange bei Pastor David und ein paar Gemeindeältesten. Da wir planen mit unserer Partnerkirche christliche Schulen in Mali zu gründen, freut es uns, dass einer der Ältesten Lehrer ist und wir kommen über das hiesige Schulsystem ins Gespräch: Der Pastor erzählt, dass seine Kinder nun zum wiederholten Mal versuchen die mittlere Reife bzw. das Abi zu machen. Wie hoch denn die Durchfallrate insgesamt sei, fragen wir. 20% hätten in diesem Jahr die Abschlussprüfungen bestanden – das sei ein komplettes Versagen des Schulsystems. Und woran liegt das? Unsere Gesprächspartner sind sich da schnell einig: Mittlerweile würde an allen staatlichen Schulen die ersten Jahre in der Muttersprache unterrichtet. Erst im 5. – 6. Schuljahr begänne man dann in Französisch zu lehren. Damit seien die Kinder völlig überfordert, weil es z.B. in Mathematik in den Landessprachen gar keine entsprechenden Begriffe gäbe. Würde man das gesamte Schulsystem in der eigenen Sprache bleiben, sei das denkbar, aber nach 5 Jahren zu wechseln… Allerdings wäre dann das Problem auch nur verschoben, denn die Universitäten würden ja doch wieder in Französisch unterrichten. Und warum wird das System trotzdem so durchgezogen? Die Geldgeber würden das so wollen und die Politiker würden davon finanziell gut profitieren… Aber es sei doch wirklich vielsagend, dass gerade die Lehrer öffentlicher Schulen fast alle die eigenen Kinder auf Privatschulen schicken würden, wo von Anfang an Französisch gelehrt wird.

Die Geldgeber… die Politiker… das hören wir immer wieder in Mali. Und es hört sich für unsere Ohren oft etwas fatalistisch an. Ist die Gründung von Privatschulen ein Ausweichen vor dem Problem oder eher eine demokratische Antwort?