Ausnahmezustand? Können wir auch!

Gestern der Beschluss einer Sondersitzung der Regierung, morgen tritt alles in Kraft:

Keine Passagierflüge mehr aus Coronagebeiten für mindestens 3 Wochen, keine Versammlungen mit mehr als 50 Leuten, Schulen geschlossen, Bars, Nachtclubs etc. ebenfalls zu. Dabei konnte noch kein einziger Coronafall in Mali nachgewiesen werden, aber was bringt es, den erst abzuwarten?

Somit war mein erster Gang heute zur Fluggesellschaft. Dort warteten schon viele Menschen und ich trug mich auf Listenplatz 97 ein und wartete mehrere Stunden bei bald 40°C. Im Laufe der Zeit standen dann ca. 200 Menschen Schlange und ich machte darauf aufmerksam, dass das nach dem präsidialen Gebot ja gar nicht mehr erlaubt war…

Dann war ich an der Reihe, meine Personalien wurden aufgenommen, ich wurde kurz durchsucht, meine Hände desinfiziert und durfte dann ins Büro von AF. Meine Unterredung mit der zwar freundlichen aber nicht gerade auskunftswilligen Dame am Schalter dauerte vielleicht 2 Minuten: Da mein Flug in die besagte Zeitspanne fallen würden, was ich denn nun machen könnte – wisse sie leider nicht. Ob denn heute noch ein Flug gehen würden – das schon, aber der sei schon übervoll. Ob AF denn noch ein zweites Flugzeug schicken würde – nein. Wie es denn nun weiter gehen würde – da könne sie mir leider auch nicht helfen.

Und so fuhr ich dann wieder nach Hause und kontaktierte die Botschaft. Diese war deutlich hilfsbereiten, konnte aber im jetzigen Zeitpunkt auch noch nichts sagen. Somit sitze ich hier in Bamako, die Hauptversammlung der Kirche, die für nächste Woche geplant war, musste abgesagt werden, ebenso das Seminar, das ich Freitag über das Coronavirus in einer Kirche halten wollte. Es wäre ja auch paradox zu diesem Thema ein Seminar anzubieten und gleichzeitig die verordneten Verhaltensregeln zu sabotieren (erwartet wurde einige 100 Teilnehmer) – schade!

Somit ist also alles offen – wie eigentlich meistens im Leben, nur merken wir das sonst nicht so deutlich.

 

Völlig bizarr!

Wir sitzen im Hof bei Pastor Ezechiel. Ein sanfter Wind verscheucht die Hitze des Tages. Das Getreidestampfen der jungen Frauen lässt die Erde zittern. Hier und da schreit ein Kind, eine Ziege sucht einen Schlafplatz auf einem Handwagen, einem Hahn wird kurzerhand von einem Jungen die Kehle durchgeschnitten – den gibt es gleich zum Abendbrot. Die anderen Hühner, die den ganzen Tag über versucht haben, in die kleine Kirche zu gelangen, um der Hitze zu entkommen, hüpfen jetzt auf einen Strauch, um dort die Nacht zu verbringen. Wir spielen Memory miteinander – die ganz jungen und die schon älteren. Eine Achtjährige bindet sich die kleine Schwester auf den Rücken und trägt sie rum, damit sie einschläft. Ein einfacher, fast romantischer malischer Abend – so wie immer. Nach dem Essen, das wir im Schein einer Taschenlampe draußen zu uns nehmen, kommen alle ca. 15 Hofbewohner zusammen und wir beten gemeinsam: für die kranken Familienmitglieder, für meine Reise und auch für Deutschland…

Deutschland – von dort erreichen mich in all der malischen Stille immer wieder Nachrichten: Grenzen dicht, Schulen dicht, Hamsterkäufe, Abschottung, Beatmungsgeräte werden gekauft, Medikamente zur Testung freigegeben. Trump versucht mit großen Summen ein deutsches Unternehmen nach USA zu holen, weil sie in der Impfstoffentwicklung schon weiter sind – America fist – wundert mich das? Aber auch Solidarität, junge Leute, die für die älteren einkaufen gehen wollen. Der Nachbar first – geht auch. Morgen dann die Entscheidung in Deutschland, was mit dem Flugverkehr wird. Muss ich früher zurück? Geht alles wie geplant oder komme ich erst mal gar nicht irgendwo anders hin?

Der Kontrast könnte kaum größer sein. 2 völlig unterschiedliche Welten, zwei komplett entgegengesetzte Situationen. Oder doch nicht? Hier husten im Moment alle. Der Gottesdienst war ein einziges Hustenkonzert heute. Ist Corona vielleicht längst hier und keiner merkt es, weil keiner getestet wird? Aber alle schütteln sich die Hand, trinken Tee aus demselben Glas und lächeln, weil ich mir ständig die Hände wasche…

Mali – Deutschland, der Kontrast war schon immer groß, aber diesmal ist er so ganz anders und es ist gut, dass unsere malischen Geschwister unsere Verletzlichkeit wahrnehmen.

Wer hat den Koranlehrer gesehen?

Vor ein paar Jahren habe ich ihn kennen gelernt, kam zufällig an ihm und seiner Koranschule vorbei, wir haben ein bisschen geschwätzt und ich durfte ihn und seine Schüler filmen. Später habe ich ihn erneut besucht – diesmal hat er mich zu Hause empfangen und wir haben uns auf der Sprache der Peulh nett unterhalten. Vorgestern habe ich erneut versucht ihn aufzusuchen, aber Bamako verändert sich ständig, immer werden neue Häuser gebaut, Wege verändert, da erkennt man nichts wieder. Und, so ein Mist, ich habe seinen Namen vergessen – war es nicht Aboulaye oder Abdramane? Und dann irgendwas mit T… Als ich mich der Gegend nähere, in der sein Haus gestanden haben muss, treffe ich auf ein paar Koranschüler, die auf dem Flachdach eines Rohbaus sitzen und Koranverse rezitieren. Ich frage sie nach ihrem Lehren und tatsächlich: Abdoulaye Traoré heißt er – nur leider nicht zu Hause, aber er käme morgen früh wieder. Und sie zeigen mir noch grob, wo sein Haus ist – gar nicht weit, da vorne, nur die Straße zu Ende gehen. Also bestelle ich Grüße und sage, ich käme morgen wieder. Dann gestern wieder los: leider ist es ein bisschen zu warm für Koranschüler, um auf Betondächern zu sitzen und so finde ich meine freundlichen Wegweiser von gestern nicht wieder. Also den Weg eingeschlagen, so wie sie es mir gezeigt haben. An der Häuserzeile angekommen frage ich einen jungen Mann in seinem kleinen Lädchen, der nicht so ganz versteht, was ich eigentlich will und einigermaßen abweisend scheint – bis ich ihn dann auf Peulh anspreche und sofort geht ein Lächeln über sein Gesicht und sein Verständnis und seine Auskunftsfähigkeit ändern sich schlagartig. Richtig, der Koranlehrer, ja den kennt er, nur noch die Straße runter und dann rechts. Also weiter – am Ende der Straße treffe ich 2 junge Koranschüler und frage nach Abdoulaye Traoré – oh, geben sie mir zur Antwort, der sei leider gestorben! Nanu, gestern war er doch noch auf Reisen, ob das wohl stimmt? Also noch ein bisschen weiter – dort treffe ich auf eine ganze Mannschaft von schon älteren Koranschülern mit ihren mit Koranversen beschriebenen Brettchen. Abdoulaye Traoré? Ne, den gibt es hier nicht – also es gäbe hier viele Koranlehrer, aber keinen mit diesem Namen. So plaudern wir noch ein bisschen und ich mache mich enttäuscht auf den Rückweg: Auf Reisen? Gestorben? Unbekannt verzogen? Was denn nun? Da komme ich an einer Gasse vorbei, die mir bekannt vorkommt (oder scheint mir das nur so?) – auch da sitzen wieder ein paar Koranschüler und ich lass wieder mein Sprüchlein los. Na, klar, Abdoulaye, den gibt es hier – allerdings heißt er nicht Traoré sondern Cissé. Und er sei gerade unterwegs bei einer seiner zahlreichen Frauen in Mopti und keiner weiß, wann er wieder kommt…

Ob ich ihn gefunden habe? Zumindest seinen Wohnort? Dass er geheiratet hat und deshalb statt Traoré jetzt Cissé heißt, ist in Mali eher unwahrscheinlich. Oder waren die, die angaben ihn zu kennen (bis vielleicht auf meine beiden jungen Gesprächspartner) nur höflich, um mich nicht zu enttäuschen?

430 Schüler nach 6 Jahren

Enoc, unser Präses, hat vor 6 Jahren ganz klein in einem unverputzten Raum mit Blechdach begonnen mit seiner Schule. Nur die erste Klasse und ein Lehrer. „Schritt für Schritt“ hat er die Schule genannt und genau so hat er es auch gemacht: Eine Klasse nach der anderen, ein Gebäude nach dem anderen. Aber schnell wurden die Schritte immer größer… Ich weiß, es ist nicht das erste Mal, dass ich davon erzähle, aber es beeindruckt mich immer wieder und gestern habe ich mit ihm erneut der Schule einen Besuch abgestattet: 430 Schüler hat er mittlerweile, 10 Lehrkräfte und bis zur 6. Klasse vorgearbeitet. Mittlerweile ist das ein sehr emsiges Treiben auf dem Schulhof und man fragt sich, wie das in den Pausen aussehen soll, wenn die Schule wie vorgesehen noch bis zur neunten Klasse weiter geht. Aber darüber hat sich Enoc schon Gedanken gemacht: Dann können halt nicht alle auf einmal Pause machen…

Finanziell trägt sich das Ganze so eben. Die Schulgebühren sind deutlich niedriger als in anderen privat aufgebauten Schulen, aber es geht Enoc nicht darum ein Geschäft zu machen. Somit reicht es ihm, wenn das, was reinkommt, genug ist, um die Lehrer zu bezahlen und die laufenden Kosten bestreiten zu können.

reichte der Platz auf der Tafel nicht??

 

Besuch vom Gummibärchenmann

Schulgong

Na klar, das gehört ja zum Standartprogramm, dass ich mich dort blicken lasse und mittlerweile kennen die Kids mich auch – wissen zumindest, dass sie mit Gummibärchen zu rechnen haben, wenn ich auftauche. Daher erfreue ich mich einer gewissen – nicht sehr teuer erkauften – Beliebtheit. Allerdings wird es langsam eng im Koffer, denn dieses Jahr sind es 85 Schüler, bei unserem nächsten Besuch sicher über 100…

im Klassenzimmer
Vorschule

Heue sehe ich die Schüler zum ersten Mal in ihrer neuen Schuluniform. Das ist hier sehr üblich und drückt einerseits ein Zusammengehörigkeitsgefühl aus und sorgt dann auch dafür, dass der Unterschied zwischen reicheren und ärmeren Kindern nicht so leicht an der Kleidung zu erkennen ist. Außerdem sieht es einfach schnuckelig aus! Aber diese Uniform hat in den letzten Wochen für einigen Unmut gesorgt: vielleicht ein bisschen vorschnell hat die Verantwort

Kälteschutz 🙂

liche des Schulkomitees den Preis kommuniziert (die Uniform zahlen die Eltern), aber nach der Herstellung musste dieser dann um 25% erhöht werden. Da war der erste Gedanke, dass der Direktor das Geld draufschlagen wollte, um es in die eigene Tasche zu stecken – so brauchte es viel Überzeugungsarbeit und finanzielle Hilfe eines Nachbarn, dass sich die Wogen wieder glätteten.

Schon vor sieben brechen Etienne und ich auf, damit wir auch ja pünktlich zur Nationalhymne da sind. Erinnert Ihr euch noch an die Handvoll Kinder, die das im ersten Jahr „gesungen“ haben? Das klang heute dann schon ganz anders und dem malischen Nationalstolz eher angemessen. Vielleicht schaffe ich es morgen Euch zumindest die Audioversion zugänglich zu machen.

Es ist noch lange nicht alles super hier in der Schule in Niamana, aber es ist ein vielversprechender Anfang und jetzt die eifrigen Drittklässler zu sehen, die noch vor Kurzen schüchtern in der ersten Klasse gesessen haben, ist eine große Freude!

Der Herr der Ente

Heute ein längeres Gespräch mit dem Präses unseres Kirchenbundes über ihre Pläne eine neue Arbeit im Raum Sikasso im Dorf Tousséguéla zu beginnen: 300-400 km entfernt von der Hauptstadt – 5 mühevolle Autofahrtstunde – mal ganz abgesehen von den Kosten – kein Personal, es sind ja eh schon zu wenig Pastoren für die ganzen Kirchengemeinden – kaum Kenntnisse der Region; da spricht eigentlich alles dagegen. Andererseits: 21 Dörfer und keine einzige Kirche – Offenheit in der Bevölkerung – ein Kommandant, der selbst Christ ist – und bei allem, was sachlich dagegen spricht bei allen Beteiligten der Eindruck: Gott macht hier eine Tür auf.

Was machen unsere malischen Brüder und Schwestern? Sie wagen es einfach, machen sich schon verschiedene Gedanken, aber wissen auch nicht, wie das gehen soll – beten dafür, dass Gott Arbeiter schickt. Arbeiter müssen ja keine Pastoren sein – vielleicht hat Jesus da noch ganz andere Ideen.

Und wie stark wäre das, wenn ich in der nächsten Leitungssitzung in 2 Wochen erzählen könnte, dass da 30 Leute in Deutschland versprochen haben mitzubeten: mindestens 1 x pro Woche und mindestens 6 Monate lang, das macht 30×26 Gebete an den Herrn der Ernte, der uns dazu aufgefordert hat genau das zu tun!

Eine kurze Mail reicht, wenn Jesus Euch das aufs Herz legt.

Hyäne, Elefant oder Termite?

Nach einer Nacht, in der mich auch die Wärme nach der Reisemüdigkeit nicht vom Schlafen abhalten konnte, war ich heute im Gottesdienst in Fombabougou (übrigens, wie Ihr möglicherweise schon rausgehört habt, ist Gerlind diesmal nicht mit nach Mali geflogen). Zwar habe ich nicht gezählt, aber als die Kinder nach 90 Minuten gemeinsamem Programm in ihren eigenen Gottesdienst gehen, scheint nur noch 1/3 der Kirche besetzt zu sein – was für eine Geburtenrate!!! Freundlicherweise werde ich auch hier gebeten zu predigen und das tue ich gerne über 1. Korinther 12; die Gemeinde Jesu als ein Körper mit vielen Organen: jeder hat seinen Platz und seine Aufgabe im Zusammenspiel mit den anderen Christen und das sowohl in der Ortsgemeinde als auch in der weltweiten Gemeinde Christi. Spannend wird es, als wir darüber nachdenken, dass Paulus deutlich macht, dass gerade die Schwachen die besonders von Gott Berufenen sind, nicht die Reichen, die zahlenmäßig Starken oder die theologisch gut Ausgebildeten. Besonderen Spaß haben wir immer wieder, wenn die biblischen Wahrheiten anhand einer Fabel verdeutlicht werden (Warum mache ich das eigentlich in Deutschland nie? Wir hören doch auch gerne Geschichten…): Ein riesiger Baum stürzte auf einen wichtigen Weg im Urwald und blockierte den Weg zur Tränke. Weder die Hyäne mit ihrer Schläue noch der Elefant mit seiner Stärke vermochten daran etwas zu ändern. …bis dann die Termite, auf die keiner hören wollte, mit ihren Kumpels in der Nacht für eine definitive Lösung sorgte.

Auf der Fahrt zurück nach Hause kam dann die Frage in mir auf, ob ich meine eigene Predigt eigentlich nur theoretisch glaube oder auch in meinem Leben umsetze. Traue ich einer kleinen Dorfgemeinde irgendwo tief im Busch in Mali tatsächlich zu, dass sie für Gottes Reich mindestens ebenso viel Bedeutung hat, wie eine Megachurch in den USA? Können wir von ihr genauso viel lernen? Und wenn Gott das so sieht, welche praktischen Schlüsse kann ich daraus ziehen? Ich hoffe, Paulus Botschaft hat die Zuhörer heute ermutigt – mich hat sie (wenn auch erst im Nachhinein) nachdenklich gemacht.

Bamako, j’arrive !

Wie schön, pünktlich sitzen alle Passagiere im Flugzeug, da erklärt uns ein deutlich genervter Flugkapitän, dass aufgrund eines Streiks in Frankreich (ich habe den Eindruck, die machen das noch öfter als wir in Deutschland…) die Maschine erst mal in Frankfurt am Boden bleiben muss und vermutlich eine Stunde Verspätung hat. Das ist kritisch, denn da wird es möglicherweise knapp mit dem Weiterflug und auch das Frühstück wurde noch nicht serviert… Letztlich war dann aber alles noch gerade rechtzeitig: am neuen Gate in Paris angekommen, konnte ich mich an die Schlange anstellen und somit ohne Unterbrechung direkt weiter fliegen. Was aber die Auslastung des Fliegers nach Mali anging, hatte ich mich kräftig getäuscht: da war so ziemlich jeder Platz ausgebucht! Neben mir saß ein junger Malier, der seit Jahren in Spanien (glücklicherweise nicht in Italien…) sein Geld verdiente und jetzt zur Familie flog. Zu meiner Überraschung wurden wir in Bamako noch vor Betreten des eigentlichen Flughafengeländes von einem komplett in Schutzkleidung eingepackten Gesundheitsmitarbeiter abgefangen und bei jedem die Temperatur gemessen. Ein paar Meter weiter dann bekam jeder Desinfektionsmittel in die Hände gesprüht und wir mussten – egal woher wir kamen – einen Zettel ausfüllen mit allem Drum und Dran: hatten wir irgendwelche Symptome? Wo kamen wir her? Hatten wir Kontakt zu einem Coronakranken? Auf welchem Sitz im Flieger saßen wir etc. Dann bei der Passkontrolle wieder Desinfektionsmittel, denn über den Fingerabdruckleser können ja auch Keime übertragen werden. Mali braucht da nicht lange zu überlegen und zu diskutieren. Nach der Ebola-Epidemie vor ein paar Jahren ist das Gesundheitssystem vorbereitet. Mir scheint, da tun wir uns in Deutschland deutlich schwerer.

Niangaly allerdings, der mich vom Flughafen abholte, hatte keine Probleme damit, dass ich als Deutscher ja aus eine Coronaland komme und machte keinen Bogen um mich. Das wäre allerdings anders, gab er mir lachend zu verstehen, wenn ich gerade aus China gekommen wäre.

Und so bin ich wieder hier – alles scheint wie immer, fühlt sich an, als sei ich nur kurz auf Urlaub gewesen. Schön wieder in Mali zu sein!

Aus dem Staub oder in den Staub gemacht?

Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man online einchecken will und Air-France bietet einem auf dem Eingangsbildschirm an, den Flug wegen Corona kostenlos zu stornieren. Und dann bei der Sitzplatzauswahl: gähnende Leere im Flieger. Bin ich gefährlich für die Umwelt oder die Umwelt für mich? Wieder steht eine Reise nach Mali an – schon lange geplant und in den letzten Wochen immer wieder die Frage, ob das überhaupt möglich sein wird. Vor wenigen Jahren gab es die Ebola-Epidemie in West-Afrika und nachdem wir wieder in Deutschland waren, hielt dann doch der ein oder andere Abstand von uns – wer wusste schon, ob wir da nicht was mitgebracht hatten… Und jetzt? Diesmal umgekehrt: heute wurde der erste Fall von Corona in Leipzig bekannt – werden jetzt die Malier einen Bogen um mich machen? In Mali wurde bisher noch niemand positiv auf Corona getestet… Auch fällt es mir nicht ganz leicht meine Kollegen „alleine“ zu lassen in dieser Situation, wo keiner wissen kann, wie es weiter geht. Da mache ich mich also aus dem Staub und komme doch in den Staub, die Hitze und den Schweiß, denn in Mali ist es schon gut heiß und das Thermometer klettert regelmäßig auf 40°C – kann man nur hoffen, dass dem Virus das auch zu heiß ist.

Und nun bin ich gespannt, ob das in Mali überhaupt Thema ist. Hamsterkäufe wird es wohl kaum geben, denn die meisten Menschen leben ja nicht vom Supermarkt, sondern von dem, was sie selbst angebaut haben – zumindest ein Problem weniger! Und so erwarten mich statt der Frage, ob Schutzanzüge exportiert werden dürfen, viele Gespräche und Begegnungen dazu, welche Schritte in nächster Zeit gegangen werden sollen: So möchte die Kirche ihre Arbeit in den Süden des Landes ausdehnen und hat erste Schritte unternommen, damit in einer Region, in der die gute Nachricht von Jesus fast unbekannt ist, Gemeinden gegründet werden können. Außerdem sind Kirche und NGO in Dörfern um Bassian (ca. 70 km von Bamako entfernt) tätig und auch da braucht man Mitarbeiter. Überall werden Leute gesucht, die die Arbeit fördern können: mal wird ein P

Gruppenfoto in Bassian

raktikant dorthin geschickt oder auch ein Pastor in Rente wieder mobilisiert, weil viel zu wenig Nachwuchs da ist. (Es hapert natürlich nicht an der Geburtenrate, sondern daran, dass sich nur so wenig Christen theologisch ausbilden lassen) Ist das also Mut im Glauben oder realitätsfremde Expansionsbemühung? Auf jeden Fall imponiert mir, dass bei allen Schwierigkeiten, die das Land hat, die Zeichen nicht auf ängstlichen Rückzug, sondern auf vorwärts gerichteten Aufbruch stehen. Ich bin auf den Austausch mit unseren Geschwistern gespannt und freue mich, dass mein Horizont erneut erweitert werden wird.

Wir gehen – Ihr bleibt

Die drei Wochen sind mal wieder vorbei und in Kürze sitzen wir im Flieger, machen uns ab nach Deutschland, sind ein paar Wochen eingetaucht in malische Kultur, Sprache, Lebensweise. Ein November nicht im deutschen Schmuddelwetter, sondern in malischer Wärme. Das lassen wir jetzt wieder zurück: der Staub bleibt hier, die Hitze, die Malariamücken, der Muezzin der Nachbarmoschee. Wir lassen Coulibaly hier, den Brotverkäufer, der jedes Mal, wenn ich zu ihm komme, mit mir rumblödelt, dass ich doch nun endlich seinen Familiennamen annehmen soll; auch Gouro, den CD-Verkäufer, der schon vor 20 Jahren hier war, nur waren es damals Cassetten – jetzt sind es schwarzgebrannte CDs. Da kaum mehr Touristen da sind, frage ich mich öfter, wovon er eigentlich lebt – und ich glaube, das fragt er sich auch… Die bettelnden Koranschüler lassen wir zurück, die mit ihren Plastikeimerchen täglich von einem zum anderen ziehen und um umgerechnet 15 Cent betteln (die malischen „Hasse ma `n Euro“ – nur deutlich jünger). Auch Hadja und Amadou werden nicht mitkommen, unsere ehemaligen Nachbarn, die weiter in Sévaré wohnen, dort, wo wir nicht mehr hinkönnen und die sich jedes Mal riesig freuen, wenn wir von Bamako aus anrufen (oder manchmal auch von Deutschland). Wir sagen „Tschüss“ zu Diallo, dem Taxifahrer, der uns mit seinem uralten durchgerosteten VW-Golf zum Flughafen bringt und sich über die Polizeikontrollen ärgert, die durch das ständige Abbremsen und Anfahren seine Spritkosten erhöhen. Unsere Mitarbeiter, die Pastoren, unsere Freunde und Bekanntschaften völlig unterschiedlicher Couleur – sie alle bleiben hier in Mali, während wir mal wieder in den Flieger steigen und uns nach Deutschland begeben. Natürlich sind wir keine Malier, natürlich werden wir auch keine werden – aber irgendwie fühlt sich das unfair an: mal eben „Hallo“ zu sagen in einem Land, das zusehends unsicherer wird, das wirtschaftlich, politisch und mittlerweile auch sozial so viel Schwierigkeiten hat, wo aber kaum jemand einfach die Koffer packen und sagen kann: „Mir reicht’s, ich geh!“ – Außer man heißt z.B. Haidara und spielt so gut Fußball, dass RB-Leipzig einen einkauft. Kein Wunder, dass so viele hier Fußballer werden wollen… Sie alle bleiben hier, weil sie hier zu Hause sind, aber wohl auch, weil sie eh nicht anders können. Wir gehen. Manchmal frage ich mich, was aus mir wohl geworden wäre, wenn man mir von klein auf beigebracht hätte, dass es Gott gefällt, wenn man schon mit 8 oder 9 Jahren die Familie verlässt, um den Koran auswendig zu lernen und mit einem Eimerchen in scheinbar selbstgewählter Armut durch die Gegend zu ziehen. Wie hätte ich mich dann wohl entwickelt? Und wie würde ich dann solche Leute wie mich jetzt sehen, die ihre Koffer packen, mir die Hand schütteln und sagen: „Bis nächstes Jahr, so Gott will“. Ob ich dann jemals verstanden hätte, dass Gottes Gnade ausreicht, um sein Kind zu sein, dass er weder mein Auswendiglernen noch mein Betteleimerchen braucht, um mich zu lieben?

All diese Leute lassen wir zurück, froh wieder in die Heimat zu kommen, traurig, weil sie uns nicht egal sind, weil wir sie liebgewonnen haben und weiter lieben lernen.